Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Läufer Scharrvögel. Feldhühner.
kam es von ſeinem Aufenthaltsorte quer durch das Zimmer geſtürzt, lief ſehr ſchnell und erſichtlich höchſt
beſorgt um jenen herum, flog ihm auf den Arm, ſchaute ihm unter haſtigen Bewegungen des Kopfes
ins Geſicht und ſtieß ein ſanftes „Tak“ aus, unverkennbar in der Abſicht, den Knaben zu beruhigen.“
Dieſe Zuneigung hatte ſich ohne alles Zuthun ſeitens des Knaben herausgebildet. Ein anderes Reb-
huhn, welches Jer aufgezogen hatte, wurde ſehr bald zutraulich und gewöhnte ſich an ſeine Pfleger,
ſodaß es in Aufregung gerieth, wenn es Niemanden von der Familie um ſich hatte. „Eines Tages“,
ſagt unſer Gewährsmann, „als ich mit meiner Familie die Wohnung verlaſſen hatte, um einen Spazier-
gang zu machen, rief mich mein Hauswirth mit dem Bemerken zurück, daß das eingeſchloſſene Rebhuhn
ſich im Zimmer wie raſend geberde. Jch ging hierauf in meine Wohnung zurück, und ſobald ich die
Thüre des Zimmers geöffnet hatte, worin der Vogel eingeſperrt war, ſprang derſelbe hoch an mich heran
unter ſteten Freudenbezeigungen. Jch nahm ihn nun mit ins Freie. Dort blieb er ſtets an meiner
Seite, und nur erſt, als ein Hund in unſerer Nähe erſchien, wurde er ängſtlich und unruhig und drohte
davonfliegen zu wollen. Nachdem ich jedoch den Hund entfernt hatte, kehrte die Ruhe bei dem Vogel
wieder zurück, und er vollendete mit uns den kurzen Spaziergang. Späterhin habe ich ihn nicht wieder
mit ins Freie genommen, fürchtend, daß er möglicherweiſe durch einen Hund oder ſonſtwie zu Schaden
kommen könnte. Es mußte jedoch von dieſer Zeit an, der Beruhigung des Vogels halber, ſtets ein
Mitglied meiner Familie zu Hauſe bleiben.“

„Sein größtes Vergnügen beſtand, zum Verdruß meines weiblichen Perſonals, darin, ſich des
Morgens in ſandigem Kehricht zu tummeln, und eine beſondere Eigenthümlichkeit wohnte ihm inſofern
noch bei, als er, ſobald mittags und abends die Speiſen aufgetragen waren, auf den Tiſch geflogen
kam und nachſah, ob dort wohl irgend ein Leckerbiſſen für ihn vorhanden ſei. War eine Schüſſel mit
Nudeln, eines ſeiner Lieblingsgerichte, aufgeſetzt, ſo holte er ſich einige heraus. Fand er, daß ſolche
zu heiß waren, ſo legte er ſie behutſam auf den Rand der Schüſſel und ließ ſie dort bis zur Erkaltung
liegen, worauf ſie dann verzehrt wurden.“

„Um nun aber auch dem Vogel in geſchlechtlicher Beziehung gerecht zu werden, fahndete ich in
ſeinem zweiten Lebensjahre nach einem Weibchen und war ſo glücklich, recht bald eine, wenn auch nicht
ganz zahme, ſo doch völlig geſunde und kräftige Henne zu erlangen. Die erſte Begegnung beider
war in der That beluſtigend. Sobald nämlich der Hahn die Henne bemerkt hatte, näherte er ſich ihr
langſam mit langgeſtrecktem Halſe, geſträubten Federn und unter dem fortwährenden Lockrufe „Kack!
kack! kierreck!“ Als ſodann eine beiderſeitige Zuneigung und Verſtändigung erzielt zu ſein ſchien,
tanzte der Hahn vor lauter Luſt und Freude förmlich um die Henne herum, während letztere ſich dabei
ſetzte und ein leiſes „Krrr“ hören ließ. Nach Verlauf von ungefähr vierzehn Tagen — es war gegen
Ende Mai’s — und nachdem die Henne inzwiſchen etwas zahmer geworden war, fand eines Nach-
mittags mitten in unſerm Wohnzimmer die Begattung ſtatt. Einige Zeit darauf wurde die Henne
ungewöhnlich unruhig und lief haſtig aus einem Zimmer in das andere, indem ſie dabei fortwährend
den Lockton „Kack“ ausſtieß. Dieſer aufgeregte Zuſtand dauerte ununterbrochen einige Tage lang an.
Plötzlich flog ſie, obgleich ihr die Flügel etwas verſchnitten waren, auf das Dach des Nachbarhauſes
und verſchwand von dort aus ſpurlos. Wie ich vermuthe, lag die Urſache ihrer Unruhe und ſpätern
Entweichung darin, daß ſie befruchtet war und einen paſſenden Brüteort ſuchte, ſolchen aber in unſerer
Wohnung nicht aufzufinden vermochte und deshalb anderwärts ſuchte. Sehnſucht nach ſeinem ver-
ſchwundenen Weibchen habe ich übrigens beim Hahne nicht wahrgenommen; er ſchmiegte ſich vielmehr
ſeitdem noch weit inniger als früher an mich und die Meinigen an, und ich fand deshalb auch keine
Veranlaſſung zur Beſchaffung eines zweiten Weibchens.“

„Nachdem wir uns an dieſem beiſpiellos zahmen Vogel drei Jahre lang wahrhaft erfreut hatten,
beſuchte mich eines Tages ein Bekannter. Dieſer ſieht das liebe Thierchen auf dem Sopha liegen, wo
es ſeine Mittagsruhe hält, nimmt es von dort weg, um es zu liebkoſen und ſetzt es ſodann wieder auf
ſein Ruheplätzchen zurück. Kurze Zeit darauf ſchlägt es krampfhaft mit den Flügeln um ſich, dann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/430
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/430>, abgerufen am 25.01.2025.