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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
keit, Heiligkeit, Gütigkeit, Holdseligkeit und Vollkommenheit geziert;
ein heller Spiegel, darin das ewige Licht mit seinem Glanze spielte;
eine krystallene Kugel voll reinen Wassers, dadurch die Sonne scheint
und ihren Glanz gleichsam noch anmuthiger und schöner macht; ein
irdischer Engel oder Geist, mit Fleisch angethan und bekleidet, welches
sie allenthalben mit ihrer Lebenskraft süßiglich erfüllte und darin als
in einem schönen Palast mit Lust wohnte und herrschte" etc. -- Die
scholastische Dogmatik des 17. Jahrhunderts betont regelmäßig die
dreifache Vollkommenheit des Menschen im Urstande: in intellectueller,
in ethischer, sowie in ästhetischer Hinsicht, oder was seine Erkenntniß-
functionen, seine Willenskräfte und die Reinheit und Harmonie seiner
sinnlichen Affecte betrifft. Sie geht aber dabei mehrfach über das
rechte Maaß nüchterner, biblisch normirter Auffassung hinaus. Er-
scheint ein Joh. Gerhard noch möglichst auf Einhaltung dieses Maaßes
bedacht, wenn er als zur ursprünglichen Gerechtigkeit und Heiligkeit
gehörig aufzählt "die höchste Geradheit (rectitudo) und Unversehrt-
heit (integritas) aller Leibes- und Seelenkräfte, ihre völlige Ueber-
einstimmung mit Gottes Gesetz, überhaupt die höchste Vollkommenheit,
Unschuld und Reinheit des ganzen Menschen": so steigert Baier die
intellectuellen Vorzüge Adams zu einer von Gott ihm speciell behufs
Nachahmung Seiner als des Urbilds ertheilten Weisheit, d. h. "einer
gewissen habituellen Erleuchtung oder Vollkommenheit des Jntellects,
um ihm eine vorzügliche und dem Urstande entsprechende Erkenntniß
göttlicher, menschlicher und natürlicher Dinge zu gewähren"; -- auch
von den körperlichen Vorzügen des ersten Menschen, z. B. davon,
daß "ipsa membra corporis organici analogiam quandam habent
ad attributa divina",
redet dieser Dogmatiker in etwas starken
Ausdrücken. Weiter noch geht Quenstedt, nach welchem Adams
Erkenntniß eine "vortreffliche, volle und vollendete" war, kurz eine
so große, "wie keiner von uns gefallenen Menschen sie entweder aus
dem Buch der Natur oder aus der h. Schrift zu schöpfen vermag".
Er wirft ernstlich die Frage auf: wessen intellectuelle Vortrefflichkeit
für die höhere zu halten sei, ob die der Apostel nach Empfang des

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
keit, Heiligkeit, Gütigkeit, Holdſeligkeit und Vollkommenheit geziert;
ein heller Spiegel, darin das ewige Licht mit ſeinem Glanze ſpielte;
eine kryſtallene Kugel voll reinen Waſſers, dadurch die Sonne ſcheint
und ihren Glanz gleichſam noch anmuthiger und ſchöner macht; ein
irdiſcher Engel oder Geiſt, mit Fleiſch angethan und bekleidet, welches
ſie allenthalben mit ihrer Lebenskraft ſüßiglich erfüllte und darin als
in einem ſchönen Palaſt mit Luſt wohnte und herrſchte‟ ꝛc. — Die
ſcholaſtiſche Dogmatik des 17. Jahrhunderts betont regelmäßig die
dreifache Vollkommenheit des Menſchen im Urſtande: in intellectueller,
in ethiſcher, ſowie in äſthetiſcher Hinſicht, oder was ſeine Erkenntniß-
functionen, ſeine Willenskräfte und die Reinheit und Harmonie ſeiner
ſinnlichen Affecte betrifft. Sie geht aber dabei mehrfach über das
rechte Maaß nüchterner, bibliſch normirter Auffaſſung hinaus. Er-
ſcheint ein Joh. Gerhard noch möglichſt auf Einhaltung dieſes Maaßes
bedacht, wenn er als zur urſprünglichen Gerechtigkeit und Heiligkeit
gehörig aufzählt „die höchſte Geradheit (rectitudo) und Unverſehrt-
heit (integritas) aller Leibes- und Seelenkräfte, ihre völlige Ueber-
einſtimmung mit Gottes Geſetz, überhaupt die höchſte Vollkommenheit,
Unſchuld und Reinheit des ganzen Menſchen‟: ſo ſteigert Baier die
intellectuellen Vorzüge Adams zu einer von Gott ihm ſpeciell behufs
Nachahmung Seiner als des Urbilds ertheilten Weisheit, d. h. „einer
gewiſſen habituellen Erleuchtung oder Vollkommenheit des Jntellects,
um ihm eine vorzügliche und dem Urſtande entſprechende Erkenntniß
göttlicher, menſchlicher und natürlicher Dinge zu gewähren‟; — auch
von den körperlichen Vorzügen des erſten Menſchen, z. B. davon,
daß „ipsa membra corporis organici analogiam quandam habent
ad attributa divina‟,
redet dieſer Dogmatiker in etwas ſtarken
Ausdrücken. Weiter noch geht Quenſtedt, nach welchem Adams
Erkenntniß eine „vortreffliche, volle und vollendete‟ war, kurz eine
ſo große, „wie keiner von uns gefallenen Menſchen ſie entweder aus
dem Buch der Natur oder aus der h. Schrift zu ſchöpfen vermag‟.
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[24/0034] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. keit, Heiligkeit, Gütigkeit, Holdſeligkeit und Vollkommenheit geziert; ein heller Spiegel, darin das ewige Licht mit ſeinem Glanze ſpielte; eine kryſtallene Kugel voll reinen Waſſers, dadurch die Sonne ſcheint und ihren Glanz gleichſam noch anmuthiger und ſchöner macht; ein irdiſcher Engel oder Geiſt, mit Fleiſch angethan und bekleidet, welches ſie allenthalben mit ihrer Lebenskraft ſüßiglich erfüllte und darin als in einem ſchönen Palaſt mit Luſt wohnte und herrſchte‟ ꝛc. — Die ſcholaſtiſche Dogmatik des 17. Jahrhunderts betont regelmäßig die dreifache Vollkommenheit des Menſchen im Urſtande: in intellectueller, in ethiſcher, ſowie in äſthetiſcher Hinſicht, oder was ſeine Erkenntniß- functionen, ſeine Willenskräfte und die Reinheit und Harmonie ſeiner ſinnlichen Affecte betrifft. Sie geht aber dabei mehrfach über das rechte Maaß nüchterner, bibliſch normirter Auffaſſung hinaus. Er- ſcheint ein Joh. Gerhard noch möglichſt auf Einhaltung dieſes Maaßes bedacht, wenn er als zur urſprünglichen Gerechtigkeit und Heiligkeit gehörig aufzählt „die höchſte Geradheit (rectitudo) und Unverſehrt- heit (integritas) aller Leibes- und Seelenkräfte, ihre völlige Ueber- einſtimmung mit Gottes Geſetz, überhaupt die höchſte Vollkommenheit, Unſchuld und Reinheit des ganzen Menſchen‟: ſo ſteigert Baier die intellectuellen Vorzüge Adams zu einer von Gott ihm ſpeciell behufs Nachahmung Seiner als des Urbilds ertheilten Weisheit, d. h. „einer gewiſſen habituellen Erleuchtung oder Vollkommenheit des Jntellects, um ihm eine vorzügliche und dem Urſtande entſprechende Erkenntniß göttlicher, menſchlicher und natürlicher Dinge zu gewähren‟; — auch von den körperlichen Vorzügen des erſten Menſchen, z. B. davon, daß „ipsa membra corporis organici analogiam quandam habent ad attributa divina‟, redet dieſer Dogmatiker in etwas ſtarken Ausdrücken. Weiter noch geht Quenſtedt, nach welchem Adams Erkenntniß eine „vortreffliche, volle und vollendete‟ war, kurz eine ſo große, „wie keiner von uns gefallenen Menſchen ſie entweder aus dem Buch der Natur oder aus der h. Schrift zu ſchöpfen vermag‟. Er wirft ernſtlich die Frage auf: weſſen intellectuelle Vortrefflichkeit für die höhere zu halten ſei, ob die der Apoſtel nach Empfang des

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/34>, abgerufen am 27.04.2024.