Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.noch der Mehrzahl nach am Gängelbande geführt werden oder ohne Aus allen diesen Gründen bin ich der Ansicht, daß die Sozialisten nur Die Gefahren seiner Einführung sind eingebildet oder vorüber- Karl Kautsky: Man sollte annehmen, die Antwort auf die gestellte Frage könnte Hätten unsere Genossen ebenso gedacht, als es sich um das all- Es ist der Gesichtspunkt der bürgerlichen, nicht der proletarischen Seitdem die Bourgeoisie zur herrschenden Klasse geworden ist, im noch der Mehrzahl nach am Gängelbande geführt werden oder ohne Aus allen diesen Gründen bin ich der Ansicht, daß die Sozialisten nur Die Gefahren seiner Einführung sind eingebildet oder vorüber- Karl Kautsky: Man sollte annehmen, die Antwort auf die gestellte Frage könnte Hätten unsere Genossen ebenso gedacht, als es sich um das all- Es ist der Gesichtspunkt der bürgerlichen, nicht der proletarischen Seitdem die Bourgeoisie zur herrschenden Klasse geworden ist, im <TEI> <text> <back> <div type="appendix"> <div type="appendix" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0092" n="82"/> noch der Mehrzahl nach am Gängelbande geführt werden oder ohne<lb/> Jnteresse für das öffentliche Leben sind. Damit kommen wir zum zweiten<lb/> Vorteil, welchen das Frauenwahlrecht bringt. Welch geistige Bewegung<lb/> wird es nicht in der heute so trägen Frauenmasse auslösen! Wieviel<lb/> Sehnsucht nach Befreiung wird es nicht erwecken; wie zahlreichen, bis<lb/> dahin heimlich genährten Wünschen wird es nicht die Möglichkeit geben,<lb/> sich zu Forderungen zu verdichten, wie vielen Verwaltungs- und Organi-<lb/> sationstalenten wird es Gelegenheit zur Betätigung geben! Jch muß<lb/> gestehen, daß ich noch freudiger den Tag begrüße, an welchem die Frau<lb/> in die gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften einzieht, als den<lb/> anderen, wo sie das Recht zu wählen erhält. Der Frau eignet sehr viel<lb/> Sinn für die Realitäten des Lebens. Sie erfaßt sehr rasch den Unter-<lb/> grund der Fragen, die man ihr vorlegt. Sie ist arbeitssam und un-<lb/> ermüdlich, und überall, wo sie bisher in Verwaltungskörperschaften ein-<lb/> getreten ist, hat ihre Tätigkeit diesen zum Vorteil gereicht.</p><lb/> <p>Aus allen diesen Gründen bin ich der Ansicht, daß die Sozialisten nur<lb/> für das Frauenstimmrecht stimmen können, wenn die Klerikalen seine<lb/> Einführung beantragen.</p><lb/> <p>Die Gefahren seiner Einführung sind eingebildet oder vorüber-<lb/> gehend, die Vorteile dagegen wirklich und dauernd. Die Klerikalen<lb/> werden die gleiche Erfahrung machen, die Bismarck mit der Einführung<lb/> des allgemeinen Wahlrechts gemacht hat, und sie geben außerdem gleich-<lb/> zeitig das Dogma ihrer eigenen Religion über die Stellung des weiblichen<lb/> Geschlechts preis. Das unterdrückte Weib ist die Anhängerin der<lb/> Geistlichkeit, das befreite Weib wird Sozialistin sein.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Karl Kautsky:</hi> </head><lb/> <p>Man sollte annehmen, die Antwort auf die gestellte Frage könnte<lb/> nicht zweifelhaft sein, wenn man nicht wüßte, daß in verschiedenen<lb/> Ländern manche Parteigenossen ein leises Gruseln vor dem Frauen-<lb/> stimmrecht anwandelt. Sie waren begeistert dafür, so lange keine Aus-<lb/> sicht auf seine Durchführung bestand. Aber ihre Bedenken dagegen<lb/> wuchsen in demselben Grade, worin diese Forderung der Möglichkeit<lb/> ihrer Verwirklichung näher rückte. Sie fürchten, die Reaktion dadurch<lb/> zu stärken. Die Frau sei konservativer, vom Pfaffen abhängiger, als<lb/> der Mann, die Zahl der antisozialistischen und antiliberalen Stimmen<lb/> würde bei den Wahlen wachsen und manches Mandat für die Linke<lb/> verloren gehen. An Stelle einer liberalen Regierung in Holland und<lb/> Frankreich bekämen wir vielleicht eine reaktionäre; der Klerikalismus<lb/> in Belgien erhielte einen neuen starken Halt.</p><lb/> <p>Hätten unsere Genossen ebenso gedacht, als es sich um das all-<lb/> gemeine Wahlrecht für die Männer handelte, sie hätten sich seiner Ein-<lb/> führung ebenso widersetzen müssen, wie es die Liberalen taten. War<lb/> es nicht der dritte Napoleon, der zur Befestigung der eigenen Herrschaft<lb/> dem französischen Volke das allgemeine Stimmrecht gab, das es seit-<lb/> dem besitzt? Hatte nicht Bismarck dem Deutschen Reiche das allgemeine<lb/> Wahlrecht aus den gleichen Gründen verliehen, aus denen jetzt die<lb/> konservativen Politiker in Frankreich das Frauenstimmrecht fordern?</p><lb/> <p>Es ist der Gesichtspunkt der bürgerlichen, nicht der proletarischen<lb/> Politik, auf dem man die Stellung zum Frauenstimmrecht von der<lb/> Erwägung abhängig macht, für welche Parteien die Frauen wohl<lb/> stimmen werden.</p><lb/> <p>Seitdem die Bourgeoisie zur herrschenden Klasse geworden ist, im<lb/> wesentlichen alles erlangt hat, was sie braucht, ist ihre Politik nur noch<lb/> Augenblickspolitik, Gegenwartspolitik. Es ist für sie zwecklos geworden,<lb/></p> </div> </div> </div> </back> </text> </TEI> [82/0092]
noch der Mehrzahl nach am Gängelbande geführt werden oder ohne
Jnteresse für das öffentliche Leben sind. Damit kommen wir zum zweiten
Vorteil, welchen das Frauenwahlrecht bringt. Welch geistige Bewegung
wird es nicht in der heute so trägen Frauenmasse auslösen! Wieviel
Sehnsucht nach Befreiung wird es nicht erwecken; wie zahlreichen, bis
dahin heimlich genährten Wünschen wird es nicht die Möglichkeit geben,
sich zu Forderungen zu verdichten, wie vielen Verwaltungs- und Organi-
sationstalenten wird es Gelegenheit zur Betätigung geben! Jch muß
gestehen, daß ich noch freudiger den Tag begrüße, an welchem die Frau
in die gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften einzieht, als den
anderen, wo sie das Recht zu wählen erhält. Der Frau eignet sehr viel
Sinn für die Realitäten des Lebens. Sie erfaßt sehr rasch den Unter-
grund der Fragen, die man ihr vorlegt. Sie ist arbeitssam und un-
ermüdlich, und überall, wo sie bisher in Verwaltungskörperschaften ein-
getreten ist, hat ihre Tätigkeit diesen zum Vorteil gereicht.
Aus allen diesen Gründen bin ich der Ansicht, daß die Sozialisten nur
für das Frauenstimmrecht stimmen können, wenn die Klerikalen seine
Einführung beantragen.
Die Gefahren seiner Einführung sind eingebildet oder vorüber-
gehend, die Vorteile dagegen wirklich und dauernd. Die Klerikalen
werden die gleiche Erfahrung machen, die Bismarck mit der Einführung
des allgemeinen Wahlrechts gemacht hat, und sie geben außerdem gleich-
zeitig das Dogma ihrer eigenen Religion über die Stellung des weiblichen
Geschlechts preis. Das unterdrückte Weib ist die Anhängerin der
Geistlichkeit, das befreite Weib wird Sozialistin sein.
Karl Kautsky:
Man sollte annehmen, die Antwort auf die gestellte Frage könnte
nicht zweifelhaft sein, wenn man nicht wüßte, daß in verschiedenen
Ländern manche Parteigenossen ein leises Gruseln vor dem Frauen-
stimmrecht anwandelt. Sie waren begeistert dafür, so lange keine Aus-
sicht auf seine Durchführung bestand. Aber ihre Bedenken dagegen
wuchsen in demselben Grade, worin diese Forderung der Möglichkeit
ihrer Verwirklichung näher rückte. Sie fürchten, die Reaktion dadurch
zu stärken. Die Frau sei konservativer, vom Pfaffen abhängiger, als
der Mann, die Zahl der antisozialistischen und antiliberalen Stimmen
würde bei den Wahlen wachsen und manches Mandat für die Linke
verloren gehen. An Stelle einer liberalen Regierung in Holland und
Frankreich bekämen wir vielleicht eine reaktionäre; der Klerikalismus
in Belgien erhielte einen neuen starken Halt.
Hätten unsere Genossen ebenso gedacht, als es sich um das all-
gemeine Wahlrecht für die Männer handelte, sie hätten sich seiner Ein-
führung ebenso widersetzen müssen, wie es die Liberalen taten. War
es nicht der dritte Napoleon, der zur Befestigung der eigenen Herrschaft
dem französischen Volke das allgemeine Stimmrecht gab, das es seit-
dem besitzt? Hatte nicht Bismarck dem Deutschen Reiche das allgemeine
Wahlrecht aus den gleichen Gründen verliehen, aus denen jetzt die
konservativen Politiker in Frankreich das Frauenstimmrecht fordern?
Es ist der Gesichtspunkt der bürgerlichen, nicht der proletarischen
Politik, auf dem man die Stellung zum Frauenstimmrecht von der
Erwägung abhängig macht, für welche Parteien die Frauen wohl
stimmen werden.
Seitdem die Bourgeoisie zur herrschenden Klasse geworden ist, im
wesentlichen alles erlangt hat, was sie braucht, ist ihre Politik nur noch
Augenblickspolitik, Gegenwartspolitik. Es ist für sie zwecklos geworden,
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(2015-08-28T12:13:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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