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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
deutender wird bei jeder Gleichgewichtsstörung die Winkelbewegung;
eine feine Waage muss ferner, so weit dies geht, dem mathematischen
Hebel sich nähern, d. h. das Gewicht der Waagbalken muss möglichst
klein sein; und endlich muss der Schwerpunkt möglichst nahe unter
der Drehungsaxe gelegen sein, denn offenbar wird die Waage dann
am empfindlichsten werden, wenn sie sich gerade eben im stabilen
Gleichgewicht befindet, da in diesem Fall ihr Streben in den Gleich-
gewichtszustand zurückzukehren am kleinsten und daher auch am
leichtesten eine Störung des Gleichgewichts möglich ist. Will man
dagegen grosse Lasten abwägen, so bedarf man des Krafthebels, weil
durch die an zu langem Hebelarm wirkende Last die Waage beschä-
digt würde, und weil es bequem ist mit kleinen Gewichten grosse
Lasten zu wägen. Die gewöhnlichste ungleicharmige Waage ist die
Decimalwaage mit Laufgewicht, bei welcher der Hebelarm des Ge-
wichtes das 10fache des Hebelarms der Last beträgt, so dass ein am
Ende des ersteren befindliches Gewicht einer Last von der 10fachen
Grösse das Gleichgewicht hält, während dasselbe Gewicht, näher an
den Drehpunkt herangeschoben, einen immer kleineren Werth an-
nimmt.


50
Die Rolle.

Wie die Waage ein Hebel mit stabilem, so ist die Rolle ein
Hebel mit indifferentem Gleichgewicht. Wenn an der Rolle c (Fig. 30)

[Abbildung] Fig. 30.
bei a und bei b gleiche Kräfte einwirken, so können
wir uns vorstellen, dass die eine Kraft am Hebelarm
a c, die andere am Hebelarm b c wirke, und es be-
steht in der That ebenso Gleichgewicht, als wenn ein
geradliniger Hebel a b vorhanden wäre, dessen Dreh-
punkt mit seinem Schwerpunkt zusammenfällt. Dies
ändert sich aber, sobald die Rolle bewegt wird. Den-
ken wir uns, an den beiden Enden einer geradlinigen
gleicharmigen Hebelstange hiengen Gewichte, und die Hebelstange
drehte sich um ihren Unterstützungspunkt, so wirken, wenn eine Dre-
hung erfolgt ist, die Gewichte nicht mehr senkrecht zur Hebelstange,
und man kann sich jetzt die Wirkung eines jeden Gewichts nach dem
Kräfteparallelogramm in zwei Componenten zerlegt denken, in eine,
die zur Hebelstange senkrecht ist, und in eine andere, deren Richtung
mit der Richtung der Hebelstange zusammenfällt, und durch die der
Hebel von seinem Unterstützungspunkte herabgleitet, falls er nicht
auf demselben festgehalten wird. Mag sich dagegen die Rolle noch
so sehr drehen, so behalten, wenn bei a und b an einer um sie ge-
spannten Schnur Kräfte wirken, diese Kräfte immer die nämliche
Richtung zur Rolle bei. Sobald sich also die Rolle dreht, kann man
ihr nicht mehr einen einzigen geradlinigen Hebel a b substituirt den-
ken, sondern sie besteht jetzt aus so viel geradlinigen Hebeln, als sie

Von der Schwere.
deutender wird bei jeder Gleichgewichtsstörung die Winkelbewegung;
eine feine Waage muss ferner, so weit dies geht, dem mathematischen
Hebel sich nähern, d. h. das Gewicht der Waagbalken muss möglichst
klein sein; und endlich muss der Schwerpunkt möglichst nahe unter
der Drehungsaxe gelegen sein, denn offenbar wird die Waage dann
am empfindlichsten werden, wenn sie sich gerade eben im stabilen
Gleichgewicht befindet, da in diesem Fall ihr Streben in den Gleich-
gewichtszustand zurückzukehren am kleinsten und daher auch am
leichtesten eine Störung des Gleichgewichts möglich ist. Will man
dagegen grosse Lasten abwägen, so bedarf man des Krafthebels, weil
durch die an zu langem Hebelarm wirkende Last die Waage beschä-
digt würde, und weil es bequem ist mit kleinen Gewichten grosse
Lasten zu wägen. Die gewöhnlichste ungleicharmige Waage ist die
Decimalwaage mit Laufgewicht, bei welcher der Hebelarm des Ge-
wichtes das 10fache des Hebelarms der Last beträgt, so dass ein am
Ende des ersteren befindliches Gewicht einer Last von der 10fachen
Grösse das Gleichgewicht hält, während dasselbe Gewicht, näher an
den Drehpunkt herangeschoben, einen immer kleineren Werth an-
nimmt.


50
Die Rolle.

Wie die Waage ein Hebel mit stabilem, so ist die Rolle ein
Hebel mit indifferentem Gleichgewicht. Wenn an der Rolle c (Fig. 30)

[Abbildung] Fig. 30.
bei a und bei b gleiche Kräfte einwirken, so können
wir uns vorstellen, dass die eine Kraft am Hebelarm
a c, die andere am Hebelarm b c wirke, und es be-
steht in der That ebenso Gleichgewicht, als wenn ein
geradliniger Hebel a b vorhanden wäre, dessen Dreh-
punkt mit seinem Schwerpunkt zusammenfällt. Dies
ändert sich aber, sobald die Rolle bewegt wird. Den-
ken wir uns, an den beiden Enden einer geradlinigen
gleicharmigen Hebelstange hiengen Gewichte, und die Hebelstange
drehte sich um ihren Unterstützungspunkt, so wirken, wenn eine Dre-
hung erfolgt ist, die Gewichte nicht mehr senkrecht zur Hebelstange,
und man kann sich jetzt die Wirkung eines jeden Gewichts nach dem
Kräfteparallelogramm in zwei Componenten zerlegt denken, in eine,
die zur Hebelstange senkrecht ist, und in eine andere, deren Richtung
mit der Richtung der Hebelstange zusammenfällt, und durch die der
Hebel von seinem Unterstützungspunkte herabgleitet, falls er nicht
auf demselben festgehalten wird. Mag sich dagegen die Rolle noch
so sehr drehen, so behalten, wenn bei a und b an einer um sie ge-
spannten Schnur Kräfte wirken, diese Kräfte immer die nämliche
Richtung zur Rolle bei. Sobald sich also die Rolle dreht, kann man
ihr nicht mehr einen einzigen geradlinigen Hebel a b substituirt den-
ken, sondern sie besteht jetzt aus so viel geradlinigen Hebeln, als sie

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[70/0092] Von der Schwere. deutender wird bei jeder Gleichgewichtsstörung die Winkelbewegung; eine feine Waage muss ferner, so weit dies geht, dem mathematischen Hebel sich nähern, d. h. das Gewicht der Waagbalken muss möglichst klein sein; und endlich muss der Schwerpunkt möglichst nahe unter der Drehungsaxe gelegen sein, denn offenbar wird die Waage dann am empfindlichsten werden, wenn sie sich gerade eben im stabilen Gleichgewicht befindet, da in diesem Fall ihr Streben in den Gleich- gewichtszustand zurückzukehren am kleinsten und daher auch am leichtesten eine Störung des Gleichgewichts möglich ist. Will man dagegen grosse Lasten abwägen, so bedarf man des Krafthebels, weil durch die an zu langem Hebelarm wirkende Last die Waage beschä- digt würde, und weil es bequem ist mit kleinen Gewichten grosse Lasten zu wägen. Die gewöhnlichste ungleicharmige Waage ist die Decimalwaage mit Laufgewicht, bei welcher der Hebelarm des Ge- wichtes das 10fache des Hebelarms der Last beträgt, so dass ein am Ende des ersteren befindliches Gewicht einer Last von der 10fachen Grösse das Gleichgewicht hält, während dasselbe Gewicht, näher an den Drehpunkt herangeschoben, einen immer kleineren Werth an- nimmt. Wie die Waage ein Hebel mit stabilem, so ist die Rolle ein Hebel mit indifferentem Gleichgewicht. Wenn an der Rolle c (Fig. 30) [Abbildung Fig. 30.] bei a und bei b gleiche Kräfte einwirken, so können wir uns vorstellen, dass die eine Kraft am Hebelarm a c, die andere am Hebelarm b c wirke, und es be- steht in der That ebenso Gleichgewicht, als wenn ein geradliniger Hebel a b vorhanden wäre, dessen Dreh- punkt mit seinem Schwerpunkt zusammenfällt. Dies ändert sich aber, sobald die Rolle bewegt wird. Den- ken wir uns, an den beiden Enden einer geradlinigen gleicharmigen Hebelstange hiengen Gewichte, und die Hebelstange drehte sich um ihren Unterstützungspunkt, so wirken, wenn eine Dre- hung erfolgt ist, die Gewichte nicht mehr senkrecht zur Hebelstange, und man kann sich jetzt die Wirkung eines jeden Gewichts nach dem Kräfteparallelogramm in zwei Componenten zerlegt denken, in eine, die zur Hebelstange senkrecht ist, und in eine andere, deren Richtung mit der Richtung der Hebelstange zusammenfällt, und durch die der Hebel von seinem Unterstützungspunkte herabgleitet, falls er nicht auf demselben festgehalten wird. Mag sich dagegen die Rolle noch so sehr drehen, so behalten, wenn bei a und b an einer um sie ge- spannten Schnur Kräfte wirken, diese Kräfte immer die nämliche Richtung zur Rolle bei. Sobald sich also die Rolle dreht, kann man ihr nicht mehr einen einzigen geradlinigen Hebel a b substituirt den- ken, sondern sie besteht jetzt aus so viel geradlinigen Hebeln, als sie

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/92>, abgerufen am 26.04.2024.