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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Stromlauf in elastischen Röhren.
wachsen und dann wieder sinken, so dass in dem Moment wo der
Druck an der Einflussöffnung ein Ende hat auch die Flüssigkeit im
ganzen Röhrensystem wieder zur Ruhe zurückkehrt. In dem elasti-
schen Röhrensystem dagegen nehmen nur die unmittelbar an der Ein-
flussöffnung gelegenen Theilchen die der jeweiligen Periode des Stos-
ses correspondirende Geschwindigkeit an, so dass an der Stelle der
Einflussöffnung die Bewegung von null an auf ein Maximum steigt
und dann wieder auf null zurücksinkt; selbstverständlich sind es hier-
bei nicht die nämlichen Theilchen, welche successiv diese Phasen der
Geschwindigkeit zeigen, sondern jedes Theilchen hat nur während
seines Durchtretens durch jene Oeffnung die der gerade vorhandenen
Periode des Stosses entsprechende Bewegung. In allen entfernter ge-
legenen Abschnitten des Röhrensystems dagegen ist in dem Moment,
in welchem der Stoss aufhört, noch eine durch die fortschreitende
Welle bedingte Bewegung der Flüssigkeit vorhanden. Der Zeitpunkt,
während dessen die Flüssigkeit in Ruhe ist, wird daher schon am
allernächsten Röhrenabschnitt kleiner, und entfernt man sich so weit
von der Einflussöffnung, dass ein neuer Stoss schon beginnt, ehe die
Welle bereits über die betreffende Stelle hinausgegangen ist, so wird
gar keine Unterbrechung der Bewegung, sondern nur eine abwech-
selnde Zunahme und Abnahme der Geschwindigkeit stattfinden. Auch die
Unterschiede dieser Zu- und Abnahme werden immer geringer, bis sie
endlich an dem Punkt, wo die Welle erlischt, verschwinden und einer
völlig gleichförmigen Bewegung Platz machen. Das wesentliche Merk-
mal der Flüssigkeitsbewegung in einem elastischen Röhrensystem be-
steht in dieser allmäligen Transformation der stossweisen in eine
gleichförmige Bewegung, welche Umwandlung um so rascher ge-
schieht, je schneller die Welle des elastischen Rohrs in Folge der in
dem System vorhandenen Widerstände erlischt.

Die Anwendung der erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung91
Anwendung
auf die Blut-
bewegung in
den Gefässen.

in elastischen Röhren auf die Verhältnisse des Blutkreislaufs ist eine
naheliegende. Die Blutgefässe bilden zwei zusammenhängende Sy-
steme elastischer Röhren, das grosse und das kleine Kreislaufsystem,
in deren jedem vom einen Ende aus bei der Zusammenziehung der
Herzkammern eine positive Welle, vom andern Ende aus bei der Er-
weiterung der Vorhöfe eine negative Welle sich fortpflanzt. Da die
positive Welle eine Fortbewegung der Flüssigkeit in der Richtung
ihres Verlaufs, die negative Welle dagegen eine Fortbewegung in der
ihrem Verlauf entgegengesetzten Richtung zur Folge hat, so wirken
beide Wellenbewegungen auf die Strömung der Flüssigkeit im gleichen
Sinne. Die positive Welle ist die stärkere, weil in den grossen Ar-
terien schon zuvor das Blut unter einem höheren Druck als in den
grossen Venen steht, die erstere pflanzt daher auch weiter sich fort,

Wundt, medicinische Physik. 9

Stromlauf in elastischen Röhren.
wachsen und dann wieder sinken, so dass in dem Moment wo der
Druck an der Einflussöffnung ein Ende hat auch die Flüssigkeit im
ganzen Röhrensystem wieder zur Ruhe zurückkehrt. In dem elasti-
schen Röhrensystem dagegen nehmen nur die unmittelbar an der Ein-
flussöffnung gelegenen Theilchen die der jeweiligen Periode des Stos-
ses correspondirende Geschwindigkeit an, so dass an der Stelle der
Einflussöffnung die Bewegung von null an auf ein Maximum steigt
und dann wieder auf null zurücksinkt; selbstverständlich sind es hier-
bei nicht die nämlichen Theilchen, welche successiv diese Phasen der
Geschwindigkeit zeigen, sondern jedes Theilchen hat nur während
seines Durchtretens durch jene Oeffnung die der gerade vorhandenen
Periode des Stosses entsprechende Bewegung. In allen entfernter ge-
legenen Abschnitten des Röhrensystems dagegen ist in dem Moment,
in welchem der Stoss aufhört, noch eine durch die fortschreitende
Welle bedingte Bewegung der Flüssigkeit vorhanden. Der Zeitpunkt,
während dessen die Flüssigkeit in Ruhe ist, wird daher schon am
allernächsten Röhrenabschnitt kleiner, und entfernt man sich so weit
von der Einflussöffnung, dass ein neuer Stoss schon beginnt, ehe die
Welle bereits über die betreffende Stelle hinausgegangen ist, so wird
gar keine Unterbrechung der Bewegung, sondern nur eine abwech-
selnde Zunahme und Abnahme der Geschwindigkeit stattfinden. Auch die
Unterschiede dieser Zu- und Abnahme werden immer geringer, bis sie
endlich an dem Punkt, wo die Welle erlischt, verschwinden und einer
völlig gleichförmigen Bewegung Platz machen. Das wesentliche Merk-
mal der Flüssigkeitsbewegung in einem elastischen Röhrensystem be-
steht in dieser allmäligen Transformation der stossweisen in eine
gleichförmige Bewegung, welche Umwandlung um so rascher ge-
schieht, je schneller die Welle des elastischen Rohrs in Folge der in
dem System vorhandenen Widerstände erlischt.

Die Anwendung der erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung91
Anwendung
auf die Blut-
bewegung in
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in elastischen Röhren auf die Verhältnisse des Blutkreislaufs ist eine
naheliegende. Die Blutgefässe bilden zwei zusammenhängende Sy-
steme elastischer Röhren, das grosse und das kleine Kreislaufsystem,
in deren jedem vom einen Ende aus bei der Zusammenziehung der
Herzkammern eine positive Welle, vom andern Ende aus bei der Er-
weiterung der Vorhöfe eine negative Welle sich fortpflanzt. Da die
positive Welle eine Fortbewegung der Flüssigkeit in der Richtung
ihres Verlaufs, die negative Welle dagegen eine Fortbewegung in der
ihrem Verlauf entgegengesetzten Richtung zur Folge hat, so wirken
beide Wellenbewegungen auf die Strömung der Flüssigkeit im gleichen
Sinne. Die positive Welle ist die stärkere, weil in den grossen Ar-
terien schon zuvor das Blut unter einem höheren Druck als in den
grossen Venen steht, die erstere pflanzt daher auch weiter sich fort,

Wundt, medicinische Physik. 9
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[129/0151] Stromlauf in elastischen Röhren. wachsen und dann wieder sinken, so dass in dem Moment wo der Druck an der Einflussöffnung ein Ende hat auch die Flüssigkeit im ganzen Röhrensystem wieder zur Ruhe zurückkehrt. In dem elasti- schen Röhrensystem dagegen nehmen nur die unmittelbar an der Ein- flussöffnung gelegenen Theilchen die der jeweiligen Periode des Stos- ses correspondirende Geschwindigkeit an, so dass an der Stelle der Einflussöffnung die Bewegung von null an auf ein Maximum steigt und dann wieder auf null zurücksinkt; selbstverständlich sind es hier- bei nicht die nämlichen Theilchen, welche successiv diese Phasen der Geschwindigkeit zeigen, sondern jedes Theilchen hat nur während seines Durchtretens durch jene Oeffnung die der gerade vorhandenen Periode des Stosses entsprechende Bewegung. In allen entfernter ge- legenen Abschnitten des Röhrensystems dagegen ist in dem Moment, in welchem der Stoss aufhört, noch eine durch die fortschreitende Welle bedingte Bewegung der Flüssigkeit vorhanden. Der Zeitpunkt, während dessen die Flüssigkeit in Ruhe ist, wird daher schon am allernächsten Röhrenabschnitt kleiner, und entfernt man sich so weit von der Einflussöffnung, dass ein neuer Stoss schon beginnt, ehe die Welle bereits über die betreffende Stelle hinausgegangen ist, so wird gar keine Unterbrechung der Bewegung, sondern nur eine abwech- selnde Zunahme und Abnahme der Geschwindigkeit stattfinden. Auch die Unterschiede dieser Zu- und Abnahme werden immer geringer, bis sie endlich an dem Punkt, wo die Welle erlischt, verschwinden und einer völlig gleichförmigen Bewegung Platz machen. Das wesentliche Merk- mal der Flüssigkeitsbewegung in einem elastischen Röhrensystem be- steht in dieser allmäligen Transformation der stossweisen in eine gleichförmige Bewegung, welche Umwandlung um so rascher ge- schieht, je schneller die Welle des elastischen Rohrs in Folge der in dem System vorhandenen Widerstände erlischt. Die Anwendung der erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in elastischen Röhren auf die Verhältnisse des Blutkreislaufs ist eine naheliegende. Die Blutgefässe bilden zwei zusammenhängende Sy- steme elastischer Röhren, das grosse und das kleine Kreislaufsystem, in deren jedem vom einen Ende aus bei der Zusammenziehung der Herzkammern eine positive Welle, vom andern Ende aus bei der Er- weiterung der Vorhöfe eine negative Welle sich fortpflanzt. Da die positive Welle eine Fortbewegung der Flüssigkeit in der Richtung ihres Verlaufs, die negative Welle dagegen eine Fortbewegung in der ihrem Verlauf entgegengesetzten Richtung zur Folge hat, so wirken beide Wellenbewegungen auf die Strömung der Flüssigkeit im gleichen Sinne. Die positive Welle ist die stärkere, weil in den grossen Ar- terien schon zuvor das Blut unter einem höheren Druck als in den grossen Venen steht, die erstere pflanzt daher auch weiter sich fort, 91 Anwendung auf die Blut- bewegung in den Gefässen. Wundt, medicinische Physik. 9

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/151>, abgerufen am 26.04.2024.