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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.

Die Centrifugalkraft ist von grosser Wichtigkeit bei der Drehung
der Erde um ihre Axe. Jeder Punkt an der Erdoberfläche verhält
sich in Folge derselben wie in dem obigen Beispiel der an dem Fa-
den befestigte Stein. Die Centrifugalkraft erklärt zum grossen Theil
die gegen den Aequator hin stattfindende Abnahme der Beschleuni-
gung durch die Schwere. Diese Abnahme beträgt etwa 1/289 der
Schwerkraft; wäre die Drehungsgeschwindigkeit der Erde 17 mal
grösser, so würde, wie aus der Gleichung für die Centrifugalkraft her-
vorgeht, letztere 172 mal oder 289 mal grösser sein, die Körper wür-
den in diesem Fall unter dem Aequator kein Gewicht mehr besitzen.
Die an den Polen abgeplattete Gestalt der Erde lässt sich eben-
falls aus der Centrifugalkraft erklären. Als sich die Erde noch im
feuerflüssigen Zustande befand, mussten die an dem Aequator, als der
Peripherie der grössten Geschwindigkeit, befindlichen Massen sich ver-
möge der Centrifugalkraft am weitesten vom Mittelpunkte entfernen.
Wird die Rotationsgeschwindigkeit einer flüssigen Masse so bedeu-
tend, dass sie die Schweranziehung überwiegt, so können einzelne
Massen sich losreissen. Kant und Laplace haben auf diese That-
sache eine Hypothese über die Entstehung des Planetensystems ge-
gründet, die sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Nach dieser
Hypothese bildete einst unser Sonnensystem eine einzige feuerflüssige
Masse, von deren Peripherie sich in Folge der bei der allmäligen
Condensation rascher werdenden Rotationsbewegung durch die Centri-
fugalkraft die Planetenmassen sich loslösten.

Die ganze Betrachtung, die wir oben hinsichtlich eines um einen
festen Mittelpunkt im Kreise gedrehten Körpers angestellt haben, kön-
nen wir unmittelbar auf die Planetenbewegung übertragen. Auch bei
dieser wirken zwei Kräfte zusammen, ein ursprünglicher Stoss
in der Richtung der Tangente der Bahn und eine constante
Kraft, welche die Planeten gegen die Sonne zieht. Kennt man die Ge-
schwindigkeit, die Masse des Planeten und seine Entfernung von der
Sonne, so ist hieraus in ähnlicher Weise wie oben die Centrifugalkraft
zu finden, und diese muss gleich der Centripetalkraft, d. h. gleich der
Anziehungskraft der Sonne sein. Auf dieselbe Weise lässt sich die
Anziehungskraft der Erde gegen den Mond bestimmen, und diese Be-
stimmung hat das Ergebniss geliefert, dass die Kraft, mit welcher die
Erde den Mond anzieht, sich verhält wie 1 : 602. Nun beträgt die
Entfernung des Mondes von der Erde das 60fache des Erdhalbmessers,
und da alle in die Ferne wirkenden Kräfte im umgekehrten Verhält-
niss des Quadrats der Entfernungen abnehmen, so folgt hieraus, dass
die Kraft, welche den Mond gegen die Erde zieht, identisch ist mit
der irdischen Schwere.

Eine besondere Form zusammengesetzter Bewegungen, die gleich-60
Bewegungen
des menschli-
chen Körpers.

Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.

Die Centrifugalkraft ist von grosser Wichtigkeit bei der Drehung
der Erde um ihre Axe. Jeder Punkt an der Erdoberfläche verhält
sich in Folge derselben wie in dem obigen Beispiel der an dem Fa-
den befestigte Stein. Die Centrifugalkraft erklärt zum grossen Theil
die gegen den Aequator hin stattfindende Abnahme der Beschleuni-
gung durch die Schwere. Diese Abnahme beträgt etwa 1/289 der
Schwerkraft; wäre die Drehungsgeschwindigkeit der Erde 17 mal
grösser, so würde, wie aus der Gleichung für die Centrifugalkraft her-
vorgeht, letztere 172 mal oder 289 mal grösser sein, die Körper wür-
den in diesem Fall unter dem Aequator kein Gewicht mehr besitzen.
Die an den Polen abgeplattete Gestalt der Erde lässt sich eben-
falls aus der Centrifugalkraft erklären. Als sich die Erde noch im
feuerflüssigen Zustande befand, mussten die an dem Aequator, als der
Peripherie der grössten Geschwindigkeit, befindlichen Massen sich ver-
möge der Centrifugalkraft am weitesten vom Mittelpunkte entfernen.
Wird die Rotationsgeschwindigkeit einer flüssigen Masse so bedeu-
tend, dass sie die Schweranziehung überwiegt, so können einzelne
Massen sich losreissen. Kant und Laplace haben auf diese That-
sache eine Hypothese über die Entstehung des Planetensystems ge-
gründet, die sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Nach dieser
Hypothese bildete einst unser Sonnensystem eine einzige feuerflüssige
Masse, von deren Peripherie sich in Folge der bei der allmäligen
Condensation rascher werdenden Rotationsbewegung durch die Centri-
fugalkraft die Planetenmassen sich loslösten.

Die ganze Betrachtung, die wir oben hinsichtlich eines um einen
festen Mittelpunkt im Kreise gedrehten Körpers angestellt haben, kön-
nen wir unmittelbar auf die Planetenbewegung übertragen. Auch bei
dieser wirken zwei Kräfte zusammen, ein ursprünglicher Stoss
in der Richtung der Tangente der Bahn und eine constante
Kraft, welche die Planeten gegen die Sonne zieht. Kennt man die Ge-
schwindigkeit, die Masse des Planeten und seine Entfernung von der
Sonne, so ist hieraus in ähnlicher Weise wie oben die Centrifugalkraft
zu finden, und diese muss gleich der Centripetalkraft, d. h. gleich der
Anziehungskraft der Sonne sein. Auf dieselbe Weise lässt sich die
Anziehungskraft der Erde gegen den Mond bestimmen, und diese Be-
stimmung hat das Ergebniss geliefert, dass die Kraft, mit welcher die
Erde den Mond anzieht, sich verhält wie 1 : 602. Nun beträgt die
Entfernung des Mondes von der Erde das 60fache des Erdhalbmessers,
und da alle in die Ferne wirkenden Kräfte im umgekehrten Verhält-
niss des Quadrats der Entfernungen abnehmen, so folgt hieraus, dass
die Kraft, welche den Mond gegen die Erde zieht, identisch ist mit
der irdischen Schwere.

Eine besondere Form zusammengesetzter Bewegungen, die gleich-60
Bewegungen
des menschli-
chen Körpers.

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[85/0107] Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. Die Centrifugalkraft ist von grosser Wichtigkeit bei der Drehung der Erde um ihre Axe. Jeder Punkt an der Erdoberfläche verhält sich in Folge derselben wie in dem obigen Beispiel der an dem Fa- den befestigte Stein. Die Centrifugalkraft erklärt zum grossen Theil die gegen den Aequator hin stattfindende Abnahme der Beschleuni- gung durch die Schwere. Diese Abnahme beträgt etwa 1/289 der Schwerkraft; wäre die Drehungsgeschwindigkeit der Erde 17 mal grösser, so würde, wie aus der Gleichung für die Centrifugalkraft her- vorgeht, letztere 172 mal oder 289 mal grösser sein, die Körper wür- den in diesem Fall unter dem Aequator kein Gewicht mehr besitzen. Die an den Polen abgeplattete Gestalt der Erde lässt sich eben- falls aus der Centrifugalkraft erklären. Als sich die Erde noch im feuerflüssigen Zustande befand, mussten die an dem Aequator, als der Peripherie der grössten Geschwindigkeit, befindlichen Massen sich ver- möge der Centrifugalkraft am weitesten vom Mittelpunkte entfernen. Wird die Rotationsgeschwindigkeit einer flüssigen Masse so bedeu- tend, dass sie die Schweranziehung überwiegt, so können einzelne Massen sich losreissen. Kant und Laplace haben auf diese That- sache eine Hypothese über die Entstehung des Planetensystems ge- gründet, die sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Nach dieser Hypothese bildete einst unser Sonnensystem eine einzige feuerflüssige Masse, von deren Peripherie sich in Folge der bei der allmäligen Condensation rascher werdenden Rotationsbewegung durch die Centri- fugalkraft die Planetenmassen sich loslösten. Die ganze Betrachtung, die wir oben hinsichtlich eines um einen festen Mittelpunkt im Kreise gedrehten Körpers angestellt haben, kön- nen wir unmittelbar auf die Planetenbewegung übertragen. Auch bei dieser wirken zwei Kräfte zusammen, ein ursprünglicher Stoss in der Richtung der Tangente der Bahn und eine constante Kraft, welche die Planeten gegen die Sonne zieht. Kennt man die Ge- schwindigkeit, die Masse des Planeten und seine Entfernung von der Sonne, so ist hieraus in ähnlicher Weise wie oben die Centrifugalkraft zu finden, und diese muss gleich der Centripetalkraft, d. h. gleich der Anziehungskraft der Sonne sein. Auf dieselbe Weise lässt sich die Anziehungskraft der Erde gegen den Mond bestimmen, und diese Be- stimmung hat das Ergebniss geliefert, dass die Kraft, mit welcher die Erde den Mond anzieht, sich verhält wie 1 : 602. Nun beträgt die Entfernung des Mondes von der Erde das 60fache des Erdhalbmessers, und da alle in die Ferne wirkenden Kräfte im umgekehrten Verhält- niss des Quadrats der Entfernungen abnehmen, so folgt hieraus, dass die Kraft, welche den Mond gegen die Erde zieht, identisch ist mit der irdischen Schwere. Eine besondere Form zusammengesetzter Bewegungen, die gleich- 60 Bewegungen des menschli- chen Körpers.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/107>, abgerufen am 26.04.2024.