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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Sechster Abschnitt.
Von der Elektricität
.

Unter der Elektricität versteht man eine uns in ihrem Wesen287
Allgemeine
Uebersicht der
elektrischen
Erscheinungen.
Eintheilung die-
ses Abschnitts

noch unbekannte Naturkraft, welche nicht, wie Schall, Licht oder
Wärme, vermittelst besonderer Sinnesempfindungen wahrgenommen
werden kann. Denn die Elektricität ist zwar eines der wirksamsten
Erregungsmittel unserer Nerven; sie wirkt aber auf diese wie jeder
andere Reiz ein: sie erzeugt also in dem Sehnerven Lichtempfindung,
in dem Hörnerven Schallempfindung, in den Gefühlsnerven Schmerz-
empfindungen verschiedenen Grades. Mit der Schwere hat die Elek-
tricität insofern Aehnlichkeit, als Körper, welche sich im elektrischen
Zustande befinden, die Fähigkeit besitzen andere Körper anzuziehen.
Sie unterscheidet sich aber dadurch von der Schwere, dass die letz-
tere eine dauernde Eigenschaft aller Körper ist, während der elek-
trische Zustand bloss zeitweise, unter der Einwirkung bestimmter Ur-
sachen, wie Reibung, Erwärmung, Contact verschiedener Metalle und
chemisch differenter Flüssigkeiten, in den Körpern zu finden ist, und
durch Uebertragung auf andere Körper wieder zu verschwinden pflegt.
Ausserdem giebt es nur einerlei Art von Schwere, indem alle schwe-
ren Körper sich anziehen, während es zweierlei Elektricitäten giebt,
indem die Körper, welche sich im elektrischen Zustande befinden,
theils sich anziehen, theils einander abstossen. Um von den elektri-
schen Erscheinungen ein anschauliches Bild zu gewinnen, stellt man
sich daher vor, es existirten zwei unwägbare elektrische Flüssigkeiten,
eine positive und eine negative, die in dem gewöhnlichen unelektri-
schen Zustand der Körper gleichmässig sich durchdringen, während
wenn sich ein Körper im elektrischen Zustand befindet entweder die
Menge der positiven oder die Menge der negativen Elektricität in
ihm überwiegt. Diese Vorstellung hat jedoch lediglich den Zweck
einer leichteren Veranschaulichung der Erscheinungen und ist weit
davon entfernt, gleich der Theorie der Aetherschwingungen des Lichts,

Wundt, medicinische Physik. 28
Sechster Abschnitt.
Von der Elektricität
.

Unter der Elektricität versteht man eine uns in ihrem Wesen287
Allgemeine
Uebersicht der
elektrischen
Erscheinungen.
Eintheilung die-
ses Abschnitts

noch unbekannte Naturkraft, welche nicht, wie Schall, Licht oder
Wärme, vermittelst besonderer Sinnesempfindungen wahrgenommen
werden kann. Denn die Elektricität ist zwar eines der wirksamsten
Erregungsmittel unserer Nerven; sie wirkt aber auf diese wie jeder
andere Reiz ein: sie erzeugt also in dem Sehnerven Lichtempfindung,
in dem Hörnerven Schallempfindung, in den Gefühlsnerven Schmerz-
empfindungen verschiedenen Grades. Mit der Schwere hat die Elek-
tricität insofern Aehnlichkeit, als Körper, welche sich im elektrischen
Zustande befinden, die Fähigkeit besitzen andere Körper anzuziehen.
Sie unterscheidet sich aber dadurch von der Schwere, dass die letz-
tere eine dauernde Eigenschaft aller Körper ist, während der elek-
trische Zustand bloss zeitweise, unter der Einwirkung bestimmter Ur-
sachen, wie Reibung, Erwärmung, Contact verschiedener Metalle und
chemisch differenter Flüssigkeiten, in den Körpern zu finden ist, und
durch Uebertragung auf andere Körper wieder zu verschwinden pflegt.
Ausserdem giebt es nur einerlei Art von Schwere, indem alle schwe-
ren Körper sich anziehen, während es zweierlei Elektricitäten giebt,
indem die Körper, welche sich im elektrischen Zustande befinden,
theils sich anziehen, theils einander abstossen. Um von den elektri-
schen Erscheinungen ein anschauliches Bild zu gewinnen, stellt man
sich daher vor, es existirten zwei unwägbare elektrische Flüssigkeiten,
eine positive und eine negative, die in dem gewöhnlichen unelektri-
schen Zustand der Körper gleichmässig sich durchdringen, während
wenn sich ein Körper im elektrischen Zustand befindet entweder die
Menge der positiven oder die Menge der negativen Elektricität in
ihm überwiegt. Diese Vorstellung hat jedoch lediglich den Zweck
einer leichteren Veranschaulichung der Erscheinungen und ist weit
davon entfernt, gleich der Theorie der Aetherschwingungen des Lichts,

Wundt, medicinische Physik. 28
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[[433]/0455] Sechster Abschnitt. Von der Elektricität. Unter der Elektricität versteht man eine uns in ihrem Wesen noch unbekannte Naturkraft, welche nicht, wie Schall, Licht oder Wärme, vermittelst besonderer Sinnesempfindungen wahrgenommen werden kann. Denn die Elektricität ist zwar eines der wirksamsten Erregungsmittel unserer Nerven; sie wirkt aber auf diese wie jeder andere Reiz ein: sie erzeugt also in dem Sehnerven Lichtempfindung, in dem Hörnerven Schallempfindung, in den Gefühlsnerven Schmerz- empfindungen verschiedenen Grades. Mit der Schwere hat die Elek- tricität insofern Aehnlichkeit, als Körper, welche sich im elektrischen Zustande befinden, die Fähigkeit besitzen andere Körper anzuziehen. Sie unterscheidet sich aber dadurch von der Schwere, dass die letz- tere eine dauernde Eigenschaft aller Körper ist, während der elek- trische Zustand bloss zeitweise, unter der Einwirkung bestimmter Ur- sachen, wie Reibung, Erwärmung, Contact verschiedener Metalle und chemisch differenter Flüssigkeiten, in den Körpern zu finden ist, und durch Uebertragung auf andere Körper wieder zu verschwinden pflegt. Ausserdem giebt es nur einerlei Art von Schwere, indem alle schwe- ren Körper sich anziehen, während es zweierlei Elektricitäten giebt, indem die Körper, welche sich im elektrischen Zustande befinden, theils sich anziehen, theils einander abstossen. Um von den elektri- schen Erscheinungen ein anschauliches Bild zu gewinnen, stellt man sich daher vor, es existirten zwei unwägbare elektrische Flüssigkeiten, eine positive und eine negative, die in dem gewöhnlichen unelektri- schen Zustand der Körper gleichmässig sich durchdringen, während wenn sich ein Körper im elektrischen Zustand befindet entweder die Menge der positiven oder die Menge der negativen Elektricität in ihm überwiegt. Diese Vorstellung hat jedoch lediglich den Zweck einer leichteren Veranschaulichung der Erscheinungen und ist weit davon entfernt, gleich der Theorie der Aetherschwingungen des Lichts, 287 Allgemeine Uebersicht der elektrischen Erscheinungen. Eintheilung die- ses Abschnitts Wundt, medicinische Physik. 28

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. [433]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/455>, abgerufen am 19.11.2024.