Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Wärme.
die hauptsächlichste Wärmequelle in der Natur. Die hieran sich knü-
pfende Erörterung der verschiedenen Entstehungsweisen der Wärme
führt uns auf die Beziehung derselben zu anderen Naturkräften, aus
der wir unsere Vorstellungen über das Wesen der Wärmeerscheinun-
gen entwickeln müssen.

Der in diesem Abschnitt zu behandelnde Stoff zerfällt daher in
folgende Capitel: 1) die Ausdehnung durch die Wärme, 2) die Verän-
derungen des Aggregatzustandes, 3) die latente und specifische Wärme,
4) die Fortpflanzung der Wärme und 5) die Erzeugung der Wärme
und die Theorie der Wärmeerscheinungen.

Erstes Capitel.
Ausdehnung durch die Wärme.

242
Die Temperatur
als Maass des
Wärmezustan-
des. Das
Quecksilber-
thermometer.

Um die Ausdehnung zu bestimmen, welche die verschiedenen
Körper durch die Wärme erfahren, muss man vor Allem ein Maass
der Wärme
besitzen. Das natürliche Maass der Wärme, welches
uns unsere Empfindung giebt, ist zu Messungen unbrauchbar. Denn
wir können aus der Empfindung zwar schliessen, ob ein Körper wär-
mer ist als ein anderer; wir können aber niemals mittelst derselben
bestimmte Gradunterschiede der Wärme feststellen. Ein objectives
Maass für die Wärme können wir allein aus ihrer Wirkung auf äus-
sere Körper gewinnen. Es liegt am nächsten, hierzu die allgemeinste
Wirkung der Wärme zu nehmen, die Ausdehnung, welche die Körper
durch dieselbe erfahren. Da nun die verschiedenen Körper ein sehr
verschiedenes Ausdehnungsvermögen besitzen, so ist man übereinge-
kommen, die Ausdehnung eines bestimmten Körpers, des Quecksil-
bers
, als Maass der Wärme anzunehmen. Man ermittelt hiernach den
Wärmezustand eines Körpers, indem man die Ausdehnung misst, welche
das Quecksilber bei demselben Wärmezustand besitzt. Den Wärme-
zustand eines Körpers bezeichnet man aber als die Temperatur
desselben. Man bestimmt daher die Temperatur der Körper, indem
man feststellt, wie gross die Ausdehnung ist, welche ein bestimmtes
Volum Quecksilber bei inniger Berührung mit ihnen erfährt.

Füllt man in eine Glaskugel, die sich nach oben in eine voll-
kommen cylindrische Röhre fortsetzt, reines Quecksilber, das bis zu
einem bestimmten Niveau reicht, so hat man ein einfaches Thermome-
ter. Bringt man die Kugel mit einem Körper in Berührung, der wär-
mer als das Quecksilber ist, so muss sich das Quecksilber ausdehnen,
es steigt also bis zu einem höheren Niveau; bringt man dagegen die
Kugel mit einem kälteren Körper in Berührung, so zieht sich das
Quecksilber zusammen, es sinkt auf ein tieferes Niveau herab. Da-
mit das Quecksilber nicht oben ausfliesse, wenn die Röhre in eine ge-
neigte Lage kommt, muss das obere Ende der letzteren zugeschmolzen

Von der Wärme.
die hauptsächlichste Wärmequelle in der Natur. Die hieran sich knü-
pfende Erörterung der verschiedenen Entstehungsweisen der Wärme
führt uns auf die Beziehung derselben zu anderen Naturkräften, aus
der wir unsere Vorstellungen über das Wesen der Wärmeerscheinun-
gen entwickeln müssen.

Der in diesem Abschnitt zu behandelnde Stoff zerfällt daher in
folgende Capitel: 1) die Ausdehnung durch die Wärme, 2) die Verän-
derungen des Aggregatzustandes, 3) die latente und specifische Wärme,
4) die Fortpflanzung der Wärme und 5) die Erzeugung der Wärme
und die Theorie der Wärmeerscheinungen.

Erstes Capitel.
Ausdehnung durch die Wärme.

242
Die Temperatur
als Maass des
Wärmezustan-
des. Das
Quecksilber-
thermometer.

Um die Ausdehnung zu bestimmen, welche die verschiedenen
Körper durch die Wärme erfahren, muss man vor Allem ein Maass
der Wärme
besitzen. Das natürliche Maass der Wärme, welches
uns unsere Empfindung giebt, ist zu Messungen unbrauchbar. Denn
wir können aus der Empfindung zwar schliessen, ob ein Körper wär-
mer ist als ein anderer; wir können aber niemals mittelst derselben
bestimmte Gradunterschiede der Wärme feststellen. Ein objectives
Maass für die Wärme können wir allein aus ihrer Wirkung auf äus-
sere Körper gewinnen. Es liegt am nächsten, hierzu die allgemeinste
Wirkung der Wärme zu nehmen, die Ausdehnung, welche die Körper
durch dieselbe erfahren. Da nun die verschiedenen Körper ein sehr
verschiedenes Ausdehnungsvermögen besitzen, so ist man übereinge-
kommen, die Ausdehnung eines bestimmten Körpers, des Quecksil-
bers
, als Maass der Wärme anzunehmen. Man ermittelt hiernach den
Wärmezustand eines Körpers, indem man die Ausdehnung misst, welche
das Quecksilber bei demselben Wärmezustand besitzt. Den Wärme-
zustand eines Körpers bezeichnet man aber als die Temperatur
desselben. Man bestimmt daher die Temperatur der Körper, indem
man feststellt, wie gross die Ausdehnung ist, welche ein bestimmtes
Volum Quecksilber bei inniger Berührung mit ihnen erfährt.

Füllt man in eine Glaskugel, die sich nach oben in eine voll-
kommen cylindrische Röhre fortsetzt, reines Quecksilber, das bis zu
einem bestimmten Niveau reicht, so hat man ein einfaches Thermome-
ter. Bringt man die Kugel mit einem Körper in Berührung, der wär-
mer als das Quecksilber ist, so muss sich das Quecksilber ausdehnen,
es steigt also bis zu einem höheren Niveau; bringt man dagegen die
Kugel mit einem kälteren Körper in Berührung, so zieht sich das
Quecksilber zusammen, es sinkt auf ein tieferes Niveau herab. Da-
mit das Quecksilber nicht oben ausfliesse, wenn die Röhre in eine ge-
neigte Lage kommt, muss das obere Ende der letzteren zugeschmolzen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0386" n="364"/><fw place="top" type="header">Von der Wärme.</fw><lb/>
die hauptsächlichste Wärmequelle in der Natur. Die hieran sich knü-<lb/>
pfende Erörterung der verschiedenen Entstehungsweisen der Wärme<lb/>
führt uns auf die Beziehung derselben zu anderen Naturkräften, aus<lb/>
der wir unsere Vorstellungen über das Wesen der Wärmeerscheinun-<lb/>
gen entwickeln müssen.</p><lb/>
        <p>Der in diesem Abschnitt zu behandelnde Stoff zerfällt daher in<lb/>
folgende Capitel: 1) die Ausdehnung durch die Wärme, 2) die Verän-<lb/>
derungen des Aggregatzustandes, 3) die latente und specifische Wärme,<lb/>
4) die Fortpflanzung der Wärme und 5) die Erzeugung der Wärme<lb/>
und die Theorie der Wärmeerscheinungen.</p><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Erstes Capitel</hi>.<lb/>
Ausdehnung durch die Wärme.</head><lb/>
          <note place="left">242<lb/>
Die Temperatur<lb/>
als Maass des<lb/>
Wärmezustan-<lb/>
des. Das<lb/>
Quecksilber-<lb/>
thermometer.</note>
          <p>Um die Ausdehnung zu bestimmen, welche die verschiedenen<lb/>
Körper durch die Wärme erfahren, muss man vor Allem ein <hi rendition="#g">Maass<lb/>
der Wärme</hi> besitzen. Das natürliche Maass der Wärme, welches<lb/>
uns unsere Empfindung giebt, ist zu Messungen unbrauchbar. Denn<lb/>
wir können aus der Empfindung zwar schliessen, ob ein Körper wär-<lb/>
mer ist als ein anderer; wir können aber niemals mittelst derselben<lb/>
bestimmte Gradunterschiede der Wärme feststellen. Ein objectives<lb/>
Maass für die Wärme können wir allein aus ihrer Wirkung auf äus-<lb/>
sere Körper gewinnen. Es liegt am nächsten, hierzu die allgemeinste<lb/>
Wirkung der Wärme zu nehmen, die Ausdehnung, welche die Körper<lb/>
durch dieselbe erfahren. Da nun die verschiedenen Körper ein sehr<lb/>
verschiedenes Ausdehnungsvermögen besitzen, so ist man übereinge-<lb/>
kommen, die Ausdehnung eines bestimmten Körpers, des <hi rendition="#g">Quecksil-<lb/>
bers</hi>, als Maass der Wärme anzunehmen. Man ermittelt hiernach den<lb/>
Wärmezustand eines Körpers, indem man die Ausdehnung misst, welche<lb/>
das Quecksilber bei demselben Wärmezustand besitzt. Den Wärme-<lb/>
zustand eines Körpers bezeichnet man aber als die <hi rendition="#g">Temperatur</hi><lb/>
desselben. Man bestimmt daher die Temperatur der Körper, indem<lb/>
man feststellt, wie gross die Ausdehnung ist, welche ein bestimmtes<lb/>
Volum Quecksilber bei inniger Berührung mit ihnen erfährt.</p><lb/>
          <p>Füllt man in eine Glaskugel, die sich nach oben in eine voll-<lb/>
kommen cylindrische Röhre fortsetzt, reines Quecksilber, das bis zu<lb/>
einem bestimmten Niveau reicht, so hat man ein einfaches Thermome-<lb/>
ter. Bringt man die Kugel mit einem Körper in Berührung, der wär-<lb/>
mer als das Quecksilber ist, so muss sich das Quecksilber ausdehnen,<lb/>
es steigt also bis zu einem höheren Niveau; bringt man dagegen die<lb/>
Kugel mit einem kälteren Körper in Berührung, so zieht sich das<lb/>
Quecksilber zusammen, es sinkt auf ein tieferes Niveau herab. Da-<lb/>
mit das Quecksilber nicht oben ausfliesse, wenn die Röhre in eine ge-<lb/>
neigte Lage kommt, muss das obere Ende der letzteren zugeschmolzen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0386] Von der Wärme. die hauptsächlichste Wärmequelle in der Natur. Die hieran sich knü- pfende Erörterung der verschiedenen Entstehungsweisen der Wärme führt uns auf die Beziehung derselben zu anderen Naturkräften, aus der wir unsere Vorstellungen über das Wesen der Wärmeerscheinun- gen entwickeln müssen. Der in diesem Abschnitt zu behandelnde Stoff zerfällt daher in folgende Capitel: 1) die Ausdehnung durch die Wärme, 2) die Verän- derungen des Aggregatzustandes, 3) die latente und specifische Wärme, 4) die Fortpflanzung der Wärme und 5) die Erzeugung der Wärme und die Theorie der Wärmeerscheinungen. Erstes Capitel. Ausdehnung durch die Wärme. Um die Ausdehnung zu bestimmen, welche die verschiedenen Körper durch die Wärme erfahren, muss man vor Allem ein Maass der Wärme besitzen. Das natürliche Maass der Wärme, welches uns unsere Empfindung giebt, ist zu Messungen unbrauchbar. Denn wir können aus der Empfindung zwar schliessen, ob ein Körper wär- mer ist als ein anderer; wir können aber niemals mittelst derselben bestimmte Gradunterschiede der Wärme feststellen. Ein objectives Maass für die Wärme können wir allein aus ihrer Wirkung auf äus- sere Körper gewinnen. Es liegt am nächsten, hierzu die allgemeinste Wirkung der Wärme zu nehmen, die Ausdehnung, welche die Körper durch dieselbe erfahren. Da nun die verschiedenen Körper ein sehr verschiedenes Ausdehnungsvermögen besitzen, so ist man übereinge- kommen, die Ausdehnung eines bestimmten Körpers, des Quecksil- bers, als Maass der Wärme anzunehmen. Man ermittelt hiernach den Wärmezustand eines Körpers, indem man die Ausdehnung misst, welche das Quecksilber bei demselben Wärmezustand besitzt. Den Wärme- zustand eines Körpers bezeichnet man aber als die Temperatur desselben. Man bestimmt daher die Temperatur der Körper, indem man feststellt, wie gross die Ausdehnung ist, welche ein bestimmtes Volum Quecksilber bei inniger Berührung mit ihnen erfährt. Füllt man in eine Glaskugel, die sich nach oben in eine voll- kommen cylindrische Röhre fortsetzt, reines Quecksilber, das bis zu einem bestimmten Niveau reicht, so hat man ein einfaches Thermome- ter. Bringt man die Kugel mit einem Körper in Berührung, der wär- mer als das Quecksilber ist, so muss sich das Quecksilber ausdehnen, es steigt also bis zu einem höheren Niveau; bringt man dagegen die Kugel mit einem kälteren Körper in Berührung, so zieht sich das Quecksilber zusammen, es sinkt auf ein tieferes Niveau herab. Da- mit das Quecksilber nicht oben ausfliesse, wenn die Röhre in eine ge- neigte Lage kommt, muss das obere Ende der letzteren zugeschmolzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/386
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/386>, abgerufen am 19.11.2024.