Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
er dieselbe nicht erfüllen wolte; ein unvoll-
kommenes Recht
(jus imperfectum) aber,
welches das Recht den andern zu zwingen
nicht in sich fasset. Das vollkommene Recht
wird auch allein das Recht, sonderlich im
bürgerlichen Gesetzen genannt, wo man nur
auf das vollkommene Recht siehet; das un-
vollkommene wird vom Grotius die Fä-
higkeit
(aptitudo), vom Aristoteles aber
die Würdigkeit (meritum) genannt; in so
weit als derjenige, dem etwas geleistet wer-
den soll, desselben werth ist. Die Würdig-
keit
also desjenigen, der um einen Lie-
bes-Dienst bittet, ist die Bedürfniß.

§. 81.
Wie das
Recht be-
schaffen
ist, das
erfordert
wird, der
natürli-
chen Ob-
ligation
ein Ge-
nüge zu
leisten.

Das Recht, welches uns das Gese-
tze der Natur giebt, damit wir unse-
rer Verbindlichkeit ein Gnüge thun
können,
da diese nothwendig und unverän-
derlich ist (§. 38.), und wir folglich nicht
leiden dörffen, daß wir in dem Gebrauch
unsers Rechtes von einem andern gehindert
werden, ist ein vollkommenes Recht;
denn es entstehet aus der vollkommenen Ver-
bindlichkeit, niemanden in dem Gebrauch des-
selben zu hindern (§. 66.), mit dieser ist das
Recht verbunden, nicht zu leiden, daß wir in
dem Gebrauch unsers Rechtes verhindert
werden. Da nun dieses ein vollkommenes
ist (§. 80.); so muß auch dasjenige Recht,
von dem es seinen Ursprung hat, ein voll-
kommenes Recht seyn. Es ist also ein je-

des

I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
er dieſelbe nicht erfuͤllen wolte; ein unvoll-
kommenes Recht
(jus imperfectum) aber,
welches das Recht den andern zu zwingen
nicht in ſich faſſet. Das vollkommene Recht
wird auch allein das Recht, ſonderlich im
buͤrgerlichen Geſetzen genannt, wo man nur
auf das vollkommene Recht ſiehet; das un-
vollkommene wird vom Grotius die Faͤ-
higkeit
(aptitudo), vom Ariſtoteles aber
die Wuͤrdigkeit (meritum) genannt; in ſo
weit als derjenige, dem etwas geleiſtet wer-
den ſoll, deſſelben werth iſt. Die Wuͤrdig-
keit
alſo desjenigen, der um einen Lie-
bes-Dienſt bittet, iſt die Beduͤrfniß.

§. 81.
Wie das
Recht be-
ſchaffen
iſt, das
erfordert
wird, der
natuͤrli-
chen Ob-
ligation
ein Ge-
nuͤge zu
leiſten.

Das Recht, welches uns das Geſe-
tze der Natur giebt, damit wir unſe-
rer Verbindlichkeit ein Gnuͤge thun
koͤnnen,
da dieſe nothwendig und unveraͤn-
derlich iſt (§. 38.), und wir folglich nicht
leiden doͤrffen, daß wir in dem Gebrauch
unſers Rechtes von einem andern gehindert
werden, iſt ein vollkommenes Recht;
denn es entſtehet aus der vollkommenen Ver-
bindlichkeit, niemanden in dem Gebrauch deſ-
ſelben zu hindern (§. 66.), mit dieſer iſt das
Recht verbunden, nicht zu leiden, daß wir in
dem Gebrauch unſers Rechtes verhindert
werden. Da nun dieſes ein vollkommenes
iſt (§. 80.); ſo muß auch dasjenige Recht,
von dem es ſeinen Urſprung hat, ein voll-
kommenes Recht ſeyn. Es iſt alſo ein je-

des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0086" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.</hi></fw><lb/>
er die&#x017F;elbe nicht erfu&#x0364;llen wolte; <hi rendition="#fr">ein unvoll-<lb/>
kommenes Recht</hi> <hi rendition="#aq">(jus imperfectum)</hi> aber,<lb/>
welches das Recht den andern zu zwingen<lb/>
nicht in &#x017F;ich fa&#x017F;&#x017F;et. Das vollkommene Recht<lb/>
wird auch allein <hi rendition="#fr">das Recht,</hi> &#x017F;onderlich im<lb/>
bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etzen genannt, wo man nur<lb/>
auf das vollkommene Recht &#x017F;iehet; das un-<lb/>
vollkommene wird vom <hi rendition="#fr">Grotius die Fa&#x0364;-<lb/>
higkeit</hi> <hi rendition="#aq">(aptitudo),</hi> vom <hi rendition="#fr">Ari&#x017F;toteles</hi> aber<lb/><hi rendition="#fr">die Wu&#x0364;rdigkeit</hi> <hi rendition="#aq">(meritum)</hi> genannt; in &#x017F;o<lb/>
weit als derjenige, dem etwas gelei&#x017F;tet wer-<lb/>
den &#x017F;oll, de&#x017F;&#x017F;elben werth i&#x017F;t. <hi rendition="#fr">Die Wu&#x0364;rdig-<lb/>
keit</hi> al&#x017F;o <hi rendition="#fr">desjenigen, der um einen Lie-<lb/>
bes-Dien&#x017F;t bittet, i&#x017F;t die Bedu&#x0364;rfniß.</hi></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 81.</head><lb/>
              <note place="left">Wie das<lb/>
Recht be-<lb/>
&#x017F;chaffen<lb/>
i&#x017F;t, das<lb/>
erfordert<lb/>
wird, der<lb/>
natu&#x0364;rli-<lb/>
chen Ob-<lb/>
ligation<lb/>
ein Ge-<lb/>
nu&#x0364;ge zu<lb/>
lei&#x017F;ten.</note>
              <p><hi rendition="#fr">Das Recht, welches uns das Ge&#x017F;e-<lb/>
tze der Natur giebt, damit wir un&#x017F;e-<lb/>
rer Verbindlichkeit ein Gnu&#x0364;ge thun<lb/>
ko&#x0364;nnen,</hi> da die&#x017F;e nothwendig und unvera&#x0364;n-<lb/>
derlich i&#x017F;t (§. 38.), und wir folglich nicht<lb/>
leiden do&#x0364;rffen, daß wir in dem Gebrauch<lb/>
un&#x017F;ers Rechtes von einem andern gehindert<lb/>
werden, <hi rendition="#fr">i&#x017F;t ein vollkommenes Recht;</hi><lb/>
denn es ent&#x017F;tehet aus der vollkommenen Ver-<lb/>
bindlichkeit, niemanden in dem Gebrauch de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben zu hindern (§. 66.), mit die&#x017F;er i&#x017F;t das<lb/>
Recht verbunden, nicht zu leiden, daß wir in<lb/>
dem Gebrauch un&#x017F;ers Rechtes verhindert<lb/>
werden. Da nun die&#x017F;es ein vollkommenes<lb/>
i&#x017F;t (§. 80.); &#x017F;o muß auch dasjenige Recht,<lb/>
von dem es &#x017F;einen Ur&#x017F;prung hat, ein voll-<lb/>
kommenes Recht &#x017F;eyn. Es i&#x017F;t al&#x017F;o <hi rendition="#fr">ein je-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">des</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0086] I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. er dieſelbe nicht erfuͤllen wolte; ein unvoll- kommenes Recht (jus imperfectum) aber, welches das Recht den andern zu zwingen nicht in ſich faſſet. Das vollkommene Recht wird auch allein das Recht, ſonderlich im buͤrgerlichen Geſetzen genannt, wo man nur auf das vollkommene Recht ſiehet; das un- vollkommene wird vom Grotius die Faͤ- higkeit (aptitudo), vom Ariſtoteles aber die Wuͤrdigkeit (meritum) genannt; in ſo weit als derjenige, dem etwas geleiſtet wer- den ſoll, deſſelben werth iſt. Die Wuͤrdig- keit alſo desjenigen, der um einen Lie- bes-Dienſt bittet, iſt die Beduͤrfniß. §. 81. Das Recht, welches uns das Geſe- tze der Natur giebt, damit wir unſe- rer Verbindlichkeit ein Gnuͤge thun koͤnnen, da dieſe nothwendig und unveraͤn- derlich iſt (§. 38.), und wir folglich nicht leiden doͤrffen, daß wir in dem Gebrauch unſers Rechtes von einem andern gehindert werden, iſt ein vollkommenes Recht; denn es entſtehet aus der vollkommenen Ver- bindlichkeit, niemanden in dem Gebrauch deſ- ſelben zu hindern (§. 66.), mit dieſer iſt das Recht verbunden, nicht zu leiden, daß wir in dem Gebrauch unſers Rechtes verhindert werden. Da nun dieſes ein vollkommenes iſt (§. 80.); ſo muß auch dasjenige Recht, von dem es ſeinen Urſprung hat, ein voll- kommenes Recht ſeyn. Es iſt alſo ein je- des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/86
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/86>, abgerufen am 21.12.2024.