Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Theil 2. Abth. 4. Hauptstück.
werde, sie erlassen, oder mildern. Da-
zu können aber hinlängliche Gründe seyn die
vortreflichen Verdienste der Eltern, oder der
Vorfahren um die Republick, oder um den
Oberherrn, derentwegen eine Erlassung, oder
Milderung der Strafe eben so viel als eine
Wohlthat ist, welche ihnen an ihren Kindern,
oder Nachkommen, oder Anverwandten er-
theilet wird. Dergleichen sind auch die an-
sehnlichen Verdienste der Verbrecher selbst
um die Republick und den Regenten des
Staats, oder die grosse Hoffnung daß sie sich
inskünftige verdient machen werden. Das
Recht aber die Strafen zu erlassen, oder zu
vermindern wird das Begnadigungsrecht
(jus aggratiandi) genennet. Sind die Stra-
fen bereits im Gesetz bestimmet; so ist die
Begnadigung so gut als eine Begünstigung
(§. 1046.), und das Recht zu begnadigen ist
unter dem Begünstigungsrechte euthalten.

§. 1055.
Von dem
Rechte
eine An-
klage
aufzuhe-
ben.

Eine Anklage, oder Untersuchung
wird aufgehoben
(accusatio, vel inquisi-
tio aboletur),
wenn über die Missethat, de-
rentwegen iemand angeklaget wird, keine Un-
tersuchung angestellet, und folglich dieser
entweder ohne alle Erkäntniß der Sache, oder
da die Untersuchung noch nicht geendet ist,
aus der Zahl der schuldigen heraus genom-
men wird. So ist also die Auf hebung
einer Anklage eine Erlassung der Stra-
fe in einem zweifelhaften Falle.
Wann

nun

III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
werde, ſie erlaſſen, oder mildern. Da-
zu koͤnnen aber hinlaͤngliche Gruͤnde ſeyn die
vortreflichen Verdienſte der Eltern, oder der
Vorfahren um die Republick, oder um den
Oberherrn, derentwegen eine Erlaſſung, oder
Milderung der Strafe eben ſo viel als eine
Wohlthat iſt, welche ihnen an ihren Kindern,
oder Nachkommen, oder Anverwandten er-
theilet wird. Dergleichen ſind auch die an-
ſehnlichen Verdienſte der Verbrecher ſelbſt
um die Republick und den Regenten des
Staats, oder die groſſe Hoffnung daß ſie ſich
inskuͤnftige verdient machen werden. Das
Recht aber die Strafen zu erlaſſen, oder zu
vermindern wird das Begnadigungsrecht
(jus aggratiandi) genennet. Sind die Stra-
fen bereits im Geſetz beſtimmet; ſo iſt die
Begnadigung ſo gut als eine Beguͤnſtigung
(§. 1046.), und das Recht zu begnadigen iſt
unter dem Beguͤnſtigungsrechte euthalten.

§. 1055.
Von dem
Rechte
eine An-
klage
aufzuhe-
ben.

Eine Anklage, oder Unterſuchung
wird aufgehoben
(accuſatio, vel inquiſi-
tio aboletur),
wenn uͤber die Miſſethat, de-
rentwegen iemand angeklaget wird, keine Un-
terſuchung angeſtellet, und folglich dieſer
entweder ohne alle Erkaͤntniß der Sache, oder
da die Unterſuchung noch nicht geendet iſt,
aus der Zahl der ſchuldigen heraus genom-
men wird. So iſt alſo die Auf hebung
einer Anklage eine Erlaſſung der Stra-
fe in einem zweifelhaften Falle.
Wann

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0800" n="764"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Theil 2. Abth. 4. Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">werde, &#x017F;ie erla&#x017F;&#x017F;en, oder mildern.</hi> Da-<lb/>
zu ko&#x0364;nnen aber hinla&#x0364;ngliche Gru&#x0364;nde &#x017F;eyn die<lb/>
vortreflichen Verdien&#x017F;te der Eltern, oder der<lb/>
Vorfahren um die Republick, oder um den<lb/>
Oberherrn, derentwegen eine Erla&#x017F;&#x017F;ung, oder<lb/>
Milderung der Strafe eben &#x017F;o viel als eine<lb/>
Wohlthat i&#x017F;t, welche ihnen an ihren Kindern,<lb/>
oder Nachkommen, oder Anverwandten er-<lb/>
theilet wird. Dergleichen &#x017F;ind auch die an-<lb/>
&#x017F;ehnlichen Verdien&#x017F;te der Verbrecher &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
um die Republick und den Regenten des<lb/>
Staats, oder die gro&#x017F;&#x017F;e Hoffnung daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
insku&#x0364;nftige verdient machen werden. Das<lb/>
Recht aber die Strafen zu erla&#x017F;&#x017F;en, oder zu<lb/>
vermindern wird das <hi rendition="#fr">Begnadigungsrecht</hi><lb/><hi rendition="#aq">(jus aggratiandi)</hi> genennet. Sind die Stra-<lb/>
fen bereits im Ge&#x017F;etz be&#x017F;timmet; &#x017F;o i&#x017F;t die<lb/>
Begnadigung &#x017F;o gut als eine Begu&#x0364;n&#x017F;tigung<lb/>
(§. 1046.), und das Recht zu begnadigen i&#x017F;t<lb/>
unter dem Begu&#x0364;n&#x017F;tigungsrechte euthalten.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 1055.</head><lb/>
                <note place="left">Von dem<lb/>
Rechte<lb/>
eine An-<lb/>
klage<lb/>
aufzuhe-<lb/>
ben.</note>
                <p><hi rendition="#fr">Eine Anklage,</hi> oder <hi rendition="#fr">Unter&#x017F;uchung<lb/>
wird aufgehoben</hi> <hi rendition="#aq">(accu&#x017F;atio, vel inqui&#x017F;i-<lb/>
tio aboletur),</hi> wenn u&#x0364;ber die Mi&#x017F;&#x017F;ethat, de-<lb/>
rentwegen iemand angeklaget wird, keine Un-<lb/>
ter&#x017F;uchung ange&#x017F;tellet, und folglich die&#x017F;er<lb/>
entweder ohne alle Erka&#x0364;ntniß der Sache, oder<lb/>
da die Unter&#x017F;uchung noch nicht geendet i&#x017F;t,<lb/>
aus der Zahl der &#x017F;chuldigen heraus genom-<lb/>
men wird. So <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> al&#x017F;o <hi rendition="#fr">die Auf hebung<lb/>
einer Anklage eine Erla&#x017F;&#x017F;ung der Stra-<lb/>
fe in einem zweifelhaften Falle.</hi> Wann<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nun</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[764/0800] III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck. werde, ſie erlaſſen, oder mildern. Da- zu koͤnnen aber hinlaͤngliche Gruͤnde ſeyn die vortreflichen Verdienſte der Eltern, oder der Vorfahren um die Republick, oder um den Oberherrn, derentwegen eine Erlaſſung, oder Milderung der Strafe eben ſo viel als eine Wohlthat iſt, welche ihnen an ihren Kindern, oder Nachkommen, oder Anverwandten er- theilet wird. Dergleichen ſind auch die an- ſehnlichen Verdienſte der Verbrecher ſelbſt um die Republick und den Regenten des Staats, oder die groſſe Hoffnung daß ſie ſich inskuͤnftige verdient machen werden. Das Recht aber die Strafen zu erlaſſen, oder zu vermindern wird das Begnadigungsrecht (jus aggratiandi) genennet. Sind die Stra- fen bereits im Geſetz beſtimmet; ſo iſt die Begnadigung ſo gut als eine Beguͤnſtigung (§. 1046.), und das Recht zu begnadigen iſt unter dem Beguͤnſtigungsrechte euthalten. §. 1055. Eine Anklage, oder Unterſuchung wird aufgehoben (accuſatio, vel inquiſi- tio aboletur), wenn uͤber die Miſſethat, de- rentwegen iemand angeklaget wird, keine Un- terſuchung angeſtellet, und folglich dieſer entweder ohne alle Erkaͤntniß der Sache, oder da die Unterſuchung noch nicht geendet iſt, aus der Zahl der ſchuldigen heraus genom- men wird. So iſt alſo die Auf hebung einer Anklage eine Erlaſſung der Stra- fe in einem zweifelhaften Falle. Wann nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/800
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/800>, abgerufen am 30.12.2024.