oder andere Zeichen, hat zu verstehen geben wollen. Daher ist die Auslegung(inter- pretatio) die Erforschung der Gedancken, wel- che durch Worte und andere Zeichen ange- deutet worden.
§. 795.
Wenn ei- ne Aus- legung nöthig ist.
Wenn alle Wörter eine gewisse und bestimmte Bedeutung hätten, daß sie nämlich allezeit in eben demselben Verstande genommen würden, und nicht itzt mehr, ein andermahl weniger, oder etwas anders durch dieselbe angedeutet würde, und wenn die Redenden allzeit ihre Gedancken durch dieselben hinlänglich ausdrückten; so würde keine Auslegung nöthig seyn: Da aber das Gegentheil geschieht; so ist eine Auslegung nöthig.
§. 796.
Ob der Verspro- cher, und der, dem das Ver- sprechen geschieht, seine Worte auslegen kann.
Weil durch das Versprechen ein Recht er- langt wird (§. 379.), welches dem andern, dem es geschehen, nicht genommen werden kann (§. 100.), sondern wider jenen vor wahr zu halten ist, was er hinlänglich hat zu verste- hen gegeben (§. 318.); so kann in den Versprechen, folglich auch in den Ver- trägen niemand seiner eigenen Worte Ausleger seyn. Da durch das Annehmen dessen, was versprochen wird, nicht mehr Recht erlangt wird, als der ein Recht auf einen bringt, dem andern hat einräumen wollen (§. 318.); so ists auch dem, der ein Ver- sprechen angenommen, nicht zu erlau-
ben,
II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
oder andere Zeichen, hat zu verſtehen geben wollen. Daher iſt die Auslegung(inter- pretatio) die Erforſchung der Gedancken, wel- che durch Worte und andere Zeichen ange- deutet worden.
§. 795.
Wenn ei- ne Aus- legung noͤthig iſt.
Wenn alle Woͤrter eine gewiſſe und beſtimmte Bedeutung haͤtten, daß ſie naͤmlich allezeit in eben demſelben Verſtande genommen wuͤrden, und nicht itzt mehr, ein andermahl weniger, oder etwas anders durch dieſelbe angedeutet wuͤrde, und wenn die Redenden allzeit ihre Gedancken durch dieſelben hinlaͤnglich ausdruͤckten; ſo wuͤrde keine Auslegung noͤthig ſeyn: Da aber das Gegentheil geſchieht; ſo iſt eine Auslegung noͤthig.
§. 796.
Ob der Verſpro- cher, und der, dem das Ver- ſprechen geſchieht, ſeine Worte auslegen kann.
Weil durch das Verſprechen ein Recht er- langt wird (§. 379.), welches dem andern, dem es geſchehen, nicht genommen werden kann (§. 100.), ſondern wider jenen vor wahr zu halten iſt, was er hinlaͤnglich hat zu verſte- hen gegeben (§. 318.); ſo kann in den Verſprechen, folglich auch in den Ver- traͤgen niemand ſeiner eigenen Worte Ausleger ſeyn. Da durch das Annehmen deſſen, was verſprochen wird, nicht mehr Recht erlangt wird, als der ein Recht auf einen bringt, dem andern hat einraͤumen wollen (§. 318.); ſo iſts auch dem, der ein Ver- ſprechen angenommen, nicht zu erlau-
ben,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0624"n="588"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Theil 19. Hauptſtuͤck.</hi></fw><lb/>
oder andere Zeichen, hat zu verſtehen geben<lb/>
wollen. Daher iſt die <hirendition="#fr">Auslegung</hi><hirendition="#aq">(inter-<lb/>
pretatio)</hi> die Erforſchung der Gedancken, wel-<lb/>
che durch Worte und andere Zeichen ange-<lb/>
deutet worden.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 795.</head><lb/><noteplace="left">Wenn ei-<lb/>
ne Aus-<lb/>
legung<lb/>
noͤthig<lb/>
iſt.</note><p><hirendition="#fr">Wenn alle Woͤrter eine gewiſſe und<lb/>
beſtimmte Bedeutung haͤtten,</hi> daß ſie<lb/>
naͤmlich allezeit in eben demſelben Verſtande<lb/>
genommen wuͤrden, und nicht itzt mehr, ein<lb/>
andermahl weniger, oder etwas anders durch<lb/>
dieſelbe angedeutet wuͤrde, <hirendition="#fr">und wenn die<lb/>
Redenden allzeit ihre Gedancken durch<lb/>
dieſelben hinlaͤnglich ausdruͤckten; ſo<lb/>
wuͤrde keine Auslegung noͤthig ſeyn:<lb/>
Da</hi> aber <hirendition="#fr">das Gegentheil geſchieht; ſo<lb/>
iſt eine Auslegung noͤthig.</hi></p></div><lb/><divn="4"><head>§. 796.</head><lb/><noteplace="left">Ob der<lb/>
Verſpro-<lb/>
cher, und<lb/>
der, dem<lb/>
das Ver-<lb/>ſprechen<lb/>
geſchieht,<lb/>ſeine<lb/>
Worte<lb/>
auslegen<lb/>
kann.</note><p>Weil durch das Verſprechen ein Recht er-<lb/>
langt wird (§. 379.), welches dem andern,<lb/>
dem es geſchehen, nicht genommen werden<lb/>
kann (§. 100.), ſondern wider jenen vor wahr<lb/>
zu halten iſt, was er hinlaͤnglich hat zu verſte-<lb/>
hen gegeben (§. 318.); <hirendition="#fr">ſo kann in den<lb/>
Verſprechen,</hi> folglich <hirendition="#fr">auch in den Ver-<lb/>
traͤgen niemand ſeiner eigenen Worte<lb/>
Ausleger ſeyn.</hi> Da durch das Annehmen<lb/>
deſſen, was verſprochen wird, nicht mehr Recht<lb/>
erlangt wird, als der ein Recht auf einen<lb/>
bringt, dem andern hat einraͤumen wollen<lb/>
(§. 318.); <hirendition="#fr">ſo iſts</hi> auch <hirendition="#fr">dem, der ein Ver-<lb/>ſprechen angenommen, nicht zu erlau-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">ben,</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[588/0624]
II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
oder andere Zeichen, hat zu verſtehen geben
wollen. Daher iſt die Auslegung (inter-
pretatio) die Erforſchung der Gedancken, wel-
che durch Worte und andere Zeichen ange-
deutet worden.
§. 795.
Wenn alle Woͤrter eine gewiſſe und
beſtimmte Bedeutung haͤtten, daß ſie
naͤmlich allezeit in eben demſelben Verſtande
genommen wuͤrden, und nicht itzt mehr, ein
andermahl weniger, oder etwas anders durch
dieſelbe angedeutet wuͤrde, und wenn die
Redenden allzeit ihre Gedancken durch
dieſelben hinlaͤnglich ausdruͤckten; ſo
wuͤrde keine Auslegung noͤthig ſeyn:
Da aber das Gegentheil geſchieht; ſo
iſt eine Auslegung noͤthig.
§. 796.
Weil durch das Verſprechen ein Recht er-
langt wird (§. 379.), welches dem andern,
dem es geſchehen, nicht genommen werden
kann (§. 100.), ſondern wider jenen vor wahr
zu halten iſt, was er hinlaͤnglich hat zu verſte-
hen gegeben (§. 318.); ſo kann in den
Verſprechen, folglich auch in den Ver-
traͤgen niemand ſeiner eigenen Worte
Ausleger ſeyn. Da durch das Annehmen
deſſen, was verſprochen wird, nicht mehr Recht
erlangt wird, als der ein Recht auf einen
bringt, dem andern hat einraͤumen wollen
(§. 318.); ſo iſts auch dem, der ein Ver-
ſprechen angenommen, nicht zu erlau-
ben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/624>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.