Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. etc.
§. 491.
Von den
Allmo-
sen, die
man vor
andere
sammlet.

Da wir denen, welche unsere Hülfe be-
dürfen, aushelfen sollen, so viel wir können
(§. 44.), und das Gesetze der Natur uns
das Recht giebt zu den Handlungen, ohne
welche wir unserer Verbindlichkeit kein Ge-
nüge leisten können (§. 46.); so ist auch
erlaubt Allmosen zu sammlen vor an-
dere, die sie bedörfen.
Dem aber ohn-
erachtet wird der, welcher Allmosen
für andere sammlet, nicht von der Ver-
bindlichkeit, Allmosen von seinem eige-
nen zu geben, befreyet
(§. 42.).

§. 492.
Von der
Barm-
hertzig-
keit.

Elende (miserum) nennt man denjeni-
gen, welcher viel und grosses Uebel, beson-
ders am Leibe, und vieles und grosses Unglück
empfindet. Die Dürftigen also und Bett-
ler sind elende (§. 487.). Barmhertzig

(misericordem) nennt man denjenigen, dem
das Elend des andern ein Bewegungsgrund
ist, ihn von dem Uebel umsonst zu befreyen,
oder wenigstens ihm dasselbige, so viel an ihm
ist, erträglicher zu machen. Derowegen da
wir, so viel wir können, verhüten sollen, daß
andere nicht Schaden an ihrer Seele, oder
an ihrem Leibe, oder an ihrem Glücke leiden
(§. 134.), folglich auch davor besorgt seyn,
daß sie von ihrem Uebel befreyet werden, oder
ihnen dasselbe wenigstens erträglicher gemacht
werde; so sollen wir barmhertzig seyn.

Das
II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. ꝛc.
§. 491.
Von den
Allmo-
ſen, die
man vor
andere
ſammlet.

Da wir denen, welche unſere Huͤlfe be-
duͤrfen, aushelfen ſollen, ſo viel wir koͤnnen
(§. 44.), und das Geſetze der Natur uns
das Recht giebt zu den Handlungen, ohne
welche wir unſerer Verbindlichkeit kein Ge-
nuͤge leiſten koͤnnen (§. 46.); ſo iſt auch
erlaubt Allmoſen zu ſammlen vor an-
dere, die ſie bedoͤrfen.
Dem aber ohn-
erachtet wird der, welcher Allmoſen
fuͤr andere ſammlet, nicht von der Ver-
bindlichkeit, Allmoſen von ſeinem eige-
nen zu geben, befreyet
(§. 42.).

§. 492.
Von der
Barm-
hertzig-
keit.

Elende (miſerum) nennt man denjeni-
gen, welcher viel und groſſes Uebel, beſon-
ders am Leibe, und vieles und groſſes Ungluͤck
empfindet. Die Duͤrftigen alſo und Bett-
ler ſind elende (§. 487.). Barmhertzig

(miſericordem) nennt man denjenigen, dem
das Elend des andern ein Bewegungsgrund
iſt, ihn von dem Uebel umſonſt zu befreyen,
oder wenigſtens ihm daſſelbige, ſo viel an ihm
iſt, ertraͤglicher zu machen. Derowegen da
wir, ſo viel wir koͤnnen, verhuͤten ſollen, daß
andere nicht Schaden an ihrer Seele, oder
an ihrem Leibe, oder an ihrem Gluͤcke leiden
(§. 134.), folglich auch davor beſorgt ſeyn,
daß ſie von ihrem Uebel befreyet werden, oder
ihnen daſſelbe wenigſtens ertraͤglicher gemacht
werde; ſo ſollen wir barmhertzig ſeyn.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0342" n="306"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#aq">II.</hi> <hi rendition="#b">Th. 9. H. Von bloß milden Handl. &#xA75B;c.</hi> </fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 491.</head><lb/>
              <note place="left">Von den<lb/>
Allmo-<lb/>
&#x017F;en, die<lb/>
man vor<lb/>
andere<lb/>
&#x017F;ammlet.</note>
              <p>Da wir denen, welche un&#x017F;ere Hu&#x0364;lfe be-<lb/>
du&#x0364;rfen, aushelfen &#x017F;ollen, &#x017F;o viel wir ko&#x0364;nnen<lb/>
(§. 44.), und das Ge&#x017F;etze der Natur uns<lb/>
das Recht giebt zu den Handlungen, ohne<lb/>
welche wir un&#x017F;erer Verbindlichkeit kein Ge-<lb/>
nu&#x0364;ge lei&#x017F;ten ko&#x0364;nnen (§. 46.); <hi rendition="#fr">&#x017F;o i&#x017F;t auch<lb/>
erlaubt Allmo&#x017F;en zu &#x017F;ammlen vor an-<lb/>
dere, die &#x017F;ie bedo&#x0364;rfen.</hi> Dem aber ohn-<lb/>
erachtet <hi rendition="#fr">wird der, welcher Allmo&#x017F;en<lb/>
fu&#x0364;r andere &#x017F;ammlet, nicht von der Ver-<lb/>
bindlichkeit, Allmo&#x017F;en von &#x017F;einem eige-<lb/>
nen zu geben, befreyet</hi> (§. 42.).</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 492.</head><lb/>
              <note place="left">Von der<lb/>
Barm-<lb/>
hertzig-<lb/>
keit.</note>
              <p><hi rendition="#fr">Elende</hi><hi rendition="#aq">(mi&#x017F;erum)</hi> nennt man denjeni-<lb/>
gen, welcher viel und gro&#x017F;&#x017F;es Uebel, be&#x017F;on-<lb/>
ders am Leibe, und vieles und gro&#x017F;&#x017F;es Unglu&#x0364;ck<lb/>
empfindet. <hi rendition="#fr">Die Du&#x0364;rftigen</hi> al&#x017F;o <hi rendition="#fr">und Bett-<lb/>
ler &#x017F;ind elende (§. 487.). Barmhertzig</hi><lb/><hi rendition="#aq">(mi&#x017F;ericordem)</hi> nennt man denjenigen, dem<lb/>
das Elend des andern ein Bewegungsgrund<lb/>
i&#x017F;t, ihn von dem Uebel um&#x017F;on&#x017F;t zu befreyen,<lb/>
oder wenig&#x017F;tens ihm da&#x017F;&#x017F;elbige, &#x017F;o viel an ihm<lb/>
i&#x017F;t, ertra&#x0364;glicher zu machen. Derowegen da<lb/>
wir, &#x017F;o viel wir ko&#x0364;nnen, verhu&#x0364;ten &#x017F;ollen, daß<lb/>
andere nicht Schaden an ihrer Seele, oder<lb/>
an ihrem Leibe, oder an ihrem Glu&#x0364;cke leiden<lb/>
(§. 134.), folglich auch davor be&#x017F;orgt &#x017F;eyn,<lb/>
daß &#x017F;ie von ihrem Uebel befreyet werden, oder<lb/>
ihnen da&#x017F;&#x017F;elbe wenig&#x017F;tens ertra&#x0364;glicher gemacht<lb/>
werde; &#x017F;o <hi rendition="#fr">&#x017F;ollen wir barmhertzig &#x017F;eyn.</hi></p>
            </div>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Das</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0342] II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. ꝛc. §. 491. Da wir denen, welche unſere Huͤlfe be- duͤrfen, aushelfen ſollen, ſo viel wir koͤnnen (§. 44.), und das Geſetze der Natur uns das Recht giebt zu den Handlungen, ohne welche wir unſerer Verbindlichkeit kein Ge- nuͤge leiſten koͤnnen (§. 46.); ſo iſt auch erlaubt Allmoſen zu ſammlen vor an- dere, die ſie bedoͤrfen. Dem aber ohn- erachtet wird der, welcher Allmoſen fuͤr andere ſammlet, nicht von der Ver- bindlichkeit, Allmoſen von ſeinem eige- nen zu geben, befreyet (§. 42.). §. 492. Elende (miſerum) nennt man denjeni- gen, welcher viel und groſſes Uebel, beſon- ders am Leibe, und vieles und groſſes Ungluͤck empfindet. Die Duͤrftigen alſo und Bett- ler ſind elende (§. 487.). Barmhertzig (miſericordem) nennt man denjenigen, dem das Elend des andern ein Bewegungsgrund iſt, ihn von dem Uebel umſonſt zu befreyen, oder wenigſtens ihm daſſelbige, ſo viel an ihm iſt, ertraͤglicher zu machen. Derowegen da wir, ſo viel wir koͤnnen, verhuͤten ſollen, daß andere nicht Schaden an ihrer Seele, oder an ihrem Leibe, oder an ihrem Gluͤcke leiden (§. 134.), folglich auch davor beſorgt ſeyn, daß ſie von ihrem Uebel befreyet werden, oder ihnen daſſelbe wenigſtens ertraͤglicher gemacht werde; ſo ſollen wir barmhertzig ſeyn. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/342
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/342>, abgerufen am 21.12.2024.