dieser Unterschied auch etwas dazu beyträgt das Römische Recht genauer zu verstehen. Daß aber die Verjährung natürlichen Rechtes sey, erhellet aus eben dem Grun- de, aus welchem wir die Ersitzung erwiesen haben (§. 449. u. f.). Und es ist nicht weni- ger offenbahr, daß derjenige von seiner Verbindlichkeit befreyet werde, wel- cher einem andern sein Recht zu dem verjähret, was er ihm zu leisten schul- dig war.
§. 453.
Von der Vermu- thung.
Es ist aber hier zu mercken, daß, da die Vermuthung darinnen bestehet, daß man aus wahrscheinlichen Gründen eine zweifelhafte Sache in einem einzelnen Fall vor gewiß an- nimmet (§. 27.), und daher dasjenige, was vermuthet wird, falsch seyn kann, das Vermuthete so lange vor wahr gehal- ten wird, bis das Gegentheil bewie- sen worden. Und weil jeder vor wahr- scheinlich annimmt, daß vielmehr dasjenige geschehen werde, was mehrentheils geschiehet, als was seltener vorfällt, wofern nicht beson- dere Ursachen das Gegentheil anzunehmen vorhanden; so wird dasjenige vermu- thet, was gewöhnlicher Weise zu ge- schehen pfleget, nicht aber was selte- ner geschieht, wofern keine besondere Gründe das Gegeentheil anzunehmen da sind. Man theilet die Vermuthung in eine bedingte und in eine unbedingte ein. Die
unbe-
II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
dieſer Unterſchied auch etwas dazu beytraͤgt das Roͤmiſche Recht genauer zu verſtehen. Daß aber die Verjaͤhrung natuͤrlichen Rechtes ſey, erhellet aus eben dem Grun- de, aus welchem wir die Erſitzung erwieſen haben (§. 449. u. f.). Und es iſt nicht weni- ger offenbahr, daß derjenige von ſeiner Verbindlichkeit befreyet werde, wel- cher einem andern ſein Recht zu dem verjaͤhret, was er ihm zu leiſten ſchul- dig war.
§. 453.
Von der Vermu- thung.
Es iſt aber hier zu mercken, daß, da die Vermuthung darinnen beſtehet, daß man aus wahrſcheinlichen Gruͤnden eine zweifelhafte Sache in einem einzelnen Fall vor gewiß an- nimmet (§. 27.), und daher dasjenige, was vermuthet wird, falſch ſeyn kann, das Vermuthete ſo lange vor wahr gehal- ten wird, bis das Gegentheil bewie- ſen worden. Und weil jeder vor wahr- ſcheinlich annimmt, daß vielmehr dasjenige geſchehen werde, was mehrentheils geſchiehet, als was ſeltener vorfaͤllt, wofern nicht beſon- dere Urſachen das Gegentheil anzunehmen vorhanden; ſo wird dasjenige vermu- thet, was gewoͤhnlicher Weiſe zu ge- ſchehen pfleget, nicht aber was ſelte- ner geſchieht, wofern keine beſondere Gruͤnde das Gegeentheil anzunehmen da ſind. Man theilet die Vermuthung in eine bedingte und in eine unbedingte ein. Die
unbe-
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II. Th. 8. H. Von der Erſitzung
dieſer Unterſchied auch etwas dazu beytraͤgt
das Roͤmiſche Recht genauer zu verſtehen.
Daß aber die Verjaͤhrung natuͤrlichen
Rechtes ſey, erhellet aus eben dem Grun-
de, aus welchem wir die Erſitzung erwieſen
haben (§. 449. u. f.). Und es iſt nicht weni-
ger offenbahr, daß derjenige von ſeiner
Verbindlichkeit befreyet werde, wel-
cher einem andern ſein Recht zu dem
verjaͤhret, was er ihm zu leiſten ſchul-
dig war.
§. 453.
Es iſt aber hier zu mercken, daß, da die
Vermuthung darinnen beſtehet, daß man aus
wahrſcheinlichen Gruͤnden eine zweifelhafte
Sache in einem einzelnen Fall vor gewiß an-
nimmet (§. 27.), und daher dasjenige, was
vermuthet wird, falſch ſeyn kann, das
Vermuthete ſo lange vor wahr gehal-
ten wird, bis das Gegentheil bewie-
ſen worden. Und weil jeder vor wahr-
ſcheinlich annimmt, daß vielmehr dasjenige
geſchehen werde, was mehrentheils geſchiehet,
als was ſeltener vorfaͤllt, wofern nicht beſon-
dere Urſachen das Gegentheil anzunehmen
vorhanden; ſo wird dasjenige vermu-
thet, was gewoͤhnlicher Weiſe zu ge-
ſchehen pfleget, nicht aber was ſelte-
ner geſchieht, wofern keine beſondere
Gruͤnde das Gegeentheil anzunehmen
da ſind. Man theilet die Vermuthung in
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/318>, abgerufen am 30.12.2024.
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