Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. 6. H. Von der Eröfnung
schwiegenen besteht; so daß jene dem, welcher
sie hört, eine falsche Meinung beybringen,
diese aber den Verstand derselben in den wah-
ren verkehren, welcher dem vorhergehenden
zuwieder ist, wird eine Vorbehaltung im
Sinne
(reservatio mentalis) genannt. Es
sind
also die Vorbehaltungen im Sinn
bloß in Ansehung dessen, welcher re-
det, Wahrheit (§. 347.); aber Un-
wahrheit in Ansehung des andern, an
den die Rede gerichtet wird
(§. 348.);
folglich sind sie den Lügen gleich zu ach-
ten, wenn wir verbunden sind dem
andern unsere Gedancken zu sagen (§.
351.); in anderen Fällen, da die Un-
wahrheit erlaubt ist (§. 352.), sind sie
unnütze.
Uebrigens ist leicht zu ersehen,
daß man zu der Vorbehaltung im Sin-
ne eine Rede nicht rechnen kann, in
welcher Worte ausgelassen werden,
die der andere, an den sie gerichtet
wird, aus den offenbahren Worten,
oder aus der Sache, davon die Rede
ist, leicht schlieffen kann.

§. 356.
Was Be-
trug sey.

Man sagt, daß derjenige den andern
betrüge
(fallere alterum), welcher ihn mit
Worten oder Thaten dahin bringet, daß er et-
was vor wahr halte, was doch nicht wahr ist.
Daher könte man die Verstellung erklären,
daß sie eine That sey; die Unwahrheit

aber,

II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
ſchwiegenen beſteht; ſo daß jene dem, welcher
ſie hoͤrt, eine falſche Meinung beybringen,
dieſe aber den Verſtand derſelben in den wah-
ren verkehren, welcher dem vorhergehenden
zuwieder iſt, wird eine Vorbehaltung im
Sinne
(reſervatio mentalis) genannt. Es
ſind
alſo die Vorbehaltungen im Sinn
bloß in Anſehung deſſen, welcher re-
det, Wahrheit (§. 347.); aber Un-
wahrheit in Anſehung des andern, an
den die Rede gerichtet wird
(§. 348.);
folglich ſind ſie den Luͤgen gleich zu ach-
ten, wenn wir verbunden ſind dem
andern unſere Gedancken zu ſagen (§.
351.); in anderen Faͤllen, da die Un-
wahrheit erlaubt iſt (§. 352.), ſind ſie
unnuͤtze.
Uebrigens iſt leicht zu erſehen,
daß man zu der Vorbehaltung im Sin-
ne eine Rede nicht rechnen kann, in
welcher Worte ausgelaſſen werden,
die der andere, an den ſie gerichtet
wird, aus den offenbahren Worten,
oder aus der Sache, davon die Rede
iſt, leicht ſchlieffen kann.

§. 356.
Was Be-
trug ſey.

Man ſagt, daß derjenige den andern
betruͤge
(fallere alterum), welcher ihn mit
Worten oder Thaten dahin bringet, daß er et-
was vor wahr halte, was doch nicht wahr iſt.
Daher koͤnte man die Verſtellung erklaͤren,
daß ſie eine That ſey; die Unwahrheit

aber,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0254" n="218"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. 6. H. Von der Ero&#x0364;fnung</hi></fw><lb/>
&#x017F;chwiegenen be&#x017F;teht; &#x017F;o daß jene dem, welcher<lb/>
&#x017F;ie ho&#x0364;rt, eine fal&#x017F;che Meinung beybringen,<lb/>
die&#x017F;e aber den Ver&#x017F;tand der&#x017F;elben in den wah-<lb/>
ren verkehren, welcher dem vorhergehenden<lb/>
zuwieder i&#x017F;t, wird eine <hi rendition="#fr">Vorbehaltung im<lb/>
Sinne</hi> <hi rendition="#aq">(re&#x017F;ervatio mentalis)</hi> genannt. <hi rendition="#fr">Es<lb/>
&#x017F;ind</hi> al&#x017F;o <hi rendition="#fr">die Vorbehaltungen im Sinn<lb/>
bloß in An&#x017F;ehung de&#x017F;&#x017F;en, welcher re-<lb/>
det, Wahrheit (§. 347.); aber Un-<lb/>
wahrheit in An&#x017F;ehung des andern, an<lb/>
den die Rede gerichtet wird</hi> (§. 348.);<lb/>
folglich <hi rendition="#fr">&#x017F;ind &#x017F;ie den Lu&#x0364;gen gleich zu ach-<lb/>
ten, wenn wir verbunden &#x017F;ind dem<lb/>
andern un&#x017F;ere Gedancken zu &#x017F;agen (§.<lb/>
351.); in anderen Fa&#x0364;llen, da die Un-<lb/>
wahrheit erlaubt i&#x017F;t (§. 352.), &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/>
unnu&#x0364;tze.</hi> Uebrigens i&#x017F;t leicht zu er&#x017F;ehen,<lb/><hi rendition="#fr">daß man zu der Vorbehaltung im Sin-<lb/>
ne eine Rede nicht rechnen kann, in<lb/>
welcher Worte ausgela&#x017F;&#x017F;en werden,<lb/>
die der andere, an den &#x017F;ie gerichtet<lb/>
wird, aus den offenbahren Worten,<lb/>
oder aus der Sache, davon die Rede<lb/>
i&#x017F;t, leicht &#x017F;chlieffen kann.</hi></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 356.</head><lb/>
              <note place="left">Was Be-<lb/>
trug &#x017F;ey.</note>
              <p>Man &#x017F;agt, daß <hi rendition="#fr">derjenige den andern<lb/>
betru&#x0364;ge</hi> <hi rendition="#aq">(fallere alterum),</hi> welcher ihn mit<lb/>
Worten oder Thaten dahin bringet, daß er et-<lb/>
was vor wahr halte, was doch nicht wahr i&#x017F;t.<lb/>
Daher ko&#x0364;nte man die <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tellung</hi> erkla&#x0364;ren,<lb/>
daß &#x017F;ie eine That &#x017F;ey; <hi rendition="#fr">die Unwahrheit</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0254] II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung ſchwiegenen beſteht; ſo daß jene dem, welcher ſie hoͤrt, eine falſche Meinung beybringen, dieſe aber den Verſtand derſelben in den wah- ren verkehren, welcher dem vorhergehenden zuwieder iſt, wird eine Vorbehaltung im Sinne (reſervatio mentalis) genannt. Es ſind alſo die Vorbehaltungen im Sinn bloß in Anſehung deſſen, welcher re- det, Wahrheit (§. 347.); aber Un- wahrheit in Anſehung des andern, an den die Rede gerichtet wird (§. 348.); folglich ſind ſie den Luͤgen gleich zu ach- ten, wenn wir verbunden ſind dem andern unſere Gedancken zu ſagen (§. 351.); in anderen Faͤllen, da die Un- wahrheit erlaubt iſt (§. 352.), ſind ſie unnuͤtze. Uebrigens iſt leicht zu erſehen, daß man zu der Vorbehaltung im Sin- ne eine Rede nicht rechnen kann, in welcher Worte ausgelaſſen werden, die der andere, an den ſie gerichtet wird, aus den offenbahren Worten, oder aus der Sache, davon die Rede iſt, leicht ſchlieffen kann. §. 356. Man ſagt, daß derjenige den andern betruͤge (fallere alterum), welcher ihn mit Worten oder Thaten dahin bringet, daß er et- was vor wahr halte, was doch nicht wahr iſt. Daher koͤnte man die Verſtellung erklaͤren, daß ſie eine That ſey; die Unwahrheit aber,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/254
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/254>, abgerufen am 21.11.2024.