halten, oder wenn er ihn zu sich ge- nommen, oder ergriffen, wegnehmen will (§. 98.).
§. 194.
Nachdem sich das menschliche GeschlechteVon der Aufhe- bung der Gemein- schaft der ersten Zeit. vermehrt, und die einfältige Lebensart geän- dert worden, bey welcher man nur für die äuserste Nothdurft sorgte, und fast gar nicht an Bequemlichkeit und Vergnügen gedachte; so hat man Sachen nöthig, die man nicht anders, als durch Fleiß und Kunst haben kann (§. 121.). Weil nun hierzu Arbeit erfordert wird (§. 124.), und gleichwohl in der Ge- meinschaft der ersten Zeit die Sachen allen zugehören sollen (§. 188.); so siehet man leicht, daß die Gemeinschaft nicht bestehen kann, wenn die Menschen nicht die Pflichten gegen sich selbst und andere auf das genaueste erfüllen; vermöge dessen, was von ihnen erwiesen wor- den. Weil wohl aber niemand in Abrede seyn wird, daß dieses von allen Menschen insge- samt nicht zu hoffen sey; hingegen, wenn man von der Gemeinschaft abgehet, das, was keinem zugehöret, einzelen eigen werden muß (§. 191.); und das Recht der Natur uns verbindet, das- jenige, was besser ist, dem andern vorzuziehen (§. 48.); so ist, ohne dem Rechte der Natur zu nahe zu treten, die Gemein- schaft aufgehoben, und das, was gemein war, eintzelen eigen, oder einem eige- nen Rechte unterworfen worden.
§. 195.
und dem Anfange des Eigenthums.
halten, oder wenn er ihn zu ſich ge- nommen, oder ergriffen, wegnehmen will (§. 98.).
§. 194.
Nachdem ſich das menſchliche GeſchlechteVon der Aufhe- bung der Gemein- ſchaft der erſten Zeit. vermehrt, und die einfaͤltige Lebensart geaͤn- dert worden, bey welcher man nur fuͤr die aͤuſerſte Nothdurft ſorgte, und faſt gar nicht an Bequemlichkeit und Vergnuͤgen gedachte; ſo hat man Sachen noͤthig, die man nicht anders, als durch Fleiß und Kunſt haben kann (§. 121.). Weil nun hierzu Arbeit erfordert wird (§. 124.), und gleichwohl in der Ge- meinſchaft der erſten Zeit die Sachen allen zugehoͤren ſollen (§. 188.); ſo ſiehet man leicht, daß die Gemeinſchaft nicht beſtehen kann, wenn die Menſchen nicht die Pflichten gegen ſich ſelbſt und andere auf das genaueſte erfuͤllen; vermoͤge deſſen, was von ihnen erwieſen wor- den. Weil wohl aber niemand in Abrede ſeyn wird, daß dieſes von allen Menſchen insge- ſamt nicht zu hoffen ſey; hingegen, wenn man von der Gemeinſchaft abgehet, das, was keinem zugehoͤret, einzelen eigen werden muß (§. 191.); und das Recht der Natur uns verbindet, das- jenige, was beſſer iſt, dem andern vorzuziehen (§. 48.); ſo iſt, ohne dem Rechte der Natur zu nahe zu treten, die Gemein- ſchaft aufgehoben, und das, was gemein war, eintzelen eigen, oder einem eige- nen Rechte unterworfen worden.
§. 195.
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und dem Anfange des Eigenthums.
halten, oder wenn er ihn zu ſich ge-
nommen, oder ergriffen, wegnehmen
will (§. 98.).
§. 194.
Nachdem ſich das menſchliche Geſchlechte
vermehrt, und die einfaͤltige Lebensart geaͤn-
dert worden, bey welcher man nur fuͤr die
aͤuſerſte Nothdurft ſorgte, und faſt gar nicht
an Bequemlichkeit und Vergnuͤgen gedachte;
ſo hat man Sachen noͤthig, die man nicht
anders, als durch Fleiß und Kunſt haben kann
(§. 121.). Weil nun hierzu Arbeit erfordert
wird (§. 124.), und gleichwohl in der Ge-
meinſchaft der erſten Zeit die Sachen allen
zugehoͤren ſollen (§. 188.); ſo ſiehet man leicht,
daß die Gemeinſchaft nicht beſtehen kann, wenn
die Menſchen nicht die Pflichten gegen ſich
ſelbſt und andere auf das genaueſte erfuͤllen;
vermoͤge deſſen, was von ihnen erwieſen wor-
den. Weil wohl aber niemand in Abrede
ſeyn wird, daß dieſes von allen Menſchen insge-
ſamt nicht zu hoffen ſey; hingegen, wenn man
von der Gemeinſchaft abgehet, das, was keinem
zugehoͤret, einzelen eigen werden muß (§. 191.);
und das Recht der Natur uns verbindet, das-
jenige, was beſſer iſt, dem andern vorzuziehen
(§. 48.); ſo iſt, ohne dem Rechte der
Natur zu nahe zu treten, die Gemein-
ſchaft aufgehoben, und das, was gemein
war, eintzelen eigen, oder einem eige-
nen Rechte unterworfen worden.
Von der
Aufhe-
bung der
Gemein-
ſchaft der
erſten
Zeit.
§. 195.
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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