ben. Es streitet der Neid, oder die Mis- gunst, selbst mit der Natur des Menschen (§. 39. 44.).
§. 135.
Ob die natürli- che Ver- bindlich- keit durch andere gegensei- tige Hand- lungen aufgeho- ben wird.
Die natürliche Verbindlichkeit ist gäntzlich unveränderlich (§. 38.). Wenn also ein anderer der natürlichen Verbindlichkeit kein Genügen leistet, so ist es uns des- wegen nicht erlaubt ihr auch kein Ge- nügen zu leisten; folglich ist es nicht er- laubt, die Uebertretung des Rechts der Natur durch das Exempel ande- rer zu bescheinigen; und es hört des- wegen die Verbindlichkeit, gegen je- mand anders eine Pflicht auszuüben, nicht auf, wenn er seine Pflicht gegen uns nicht erfüllet. Weil dieses auch von denjenigen Pflichten zu verstehen ist, welche durch das Gesetze verbothen sind; so sind wir auch Liebesdienste denen zu er- weisen schuldig, die uns beleidigen (§. 88.).
§. 136.
Von der Liebe und Bewei- sung der- selben ge- gen an- dere.
Die Pflichten des Menschen gegen andere sind mit den Pflichten gegen sich selbst einer- ley (§. 133.). Derowegen muß ein jeder einen beständigen und dauernden Wil- len haben, die Vollkommenheit und Glückseeligkeit eines jeden andern Men- schen, er sey wer er wolle, zu befördern (§. 43. 118.); folgends, da in diesem Willen die Beweisung der Liebe gegen andere
(dile-
I. Th. 5. H. Von den Pflichten
ben. Es ſtreitet der Neid, oder die Mis- gunſt, ſelbſt mit der Natur des Menſchen (§. 39. 44.).
§. 135.
Ob die natuͤrli- che Ver- bindlich- keit durch andere gegenſei- tige Hand- lungen aufgeho- ben wird.
Die natuͤrliche Verbindlichkeit iſt gaͤntzlich unveraͤnderlich (§. 38.). Wenn alſo ein anderer der natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Genuͤgen leiſtet, ſo iſt es uns des- wegen nicht erlaubt ihr auch kein Ge- nuͤgen zu leiſten; folglich iſt es nicht er- laubt, die Uebertretung des Rechts der Natur durch das Exempel ande- rer zu beſcheinigen; und es hoͤrt des- wegen die Verbindlichkeit, gegen je- mand anders eine Pflicht auszuuͤben, nicht auf, wenn er ſeine Pflicht gegen uns nicht erfuͤllet. Weil dieſes auch von denjenigen Pflichten zu verſtehen iſt, welche durch das Geſetze verbothen ſind; ſo ſind wir auch Liebesdienſte denen zu er- weiſen ſchuldig, die uns beleidigen (§. 88.).
§. 136.
Von der Liebe und Bewei- ſung der- ſelben ge- gen an- dere.
Die Pflichten des Menſchen gegen andere ſind mit den Pflichten gegen ſich ſelbſt einer- ley (§. 133.). Derowegen muß ein jeder einen beſtaͤndigen und dauernden Wil- len haben, die Vollkommenheit und Gluͤckſeeligkeit eines jeden andern Men- ſchen, er ſey wer er wolle, zu befoͤrdern (§. 43. 118.); folgends, da in dieſem Willen die Beweiſung der Liebe gegen andere
(dile-
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I. Th. 5. H. Von den Pflichten
ben. Es ſtreitet der Neid, oder die Mis-
gunſt, ſelbſt mit der Natur des Menſchen
(§. 39. 44.).
§. 135.
Die natuͤrliche Verbindlichkeit iſt gaͤntzlich
unveraͤnderlich (§. 38.). Wenn alſo ein
anderer der natuͤrlichen Verbindlichkeit
kein Genuͤgen leiſtet, ſo iſt es uns des-
wegen nicht erlaubt ihr auch kein Ge-
nuͤgen zu leiſten; folglich iſt es nicht er-
laubt, die Uebertretung des Rechts
der Natur durch das Exempel ande-
rer zu beſcheinigen; und es hoͤrt des-
wegen die Verbindlichkeit, gegen je-
mand anders eine Pflicht auszuuͤben,
nicht auf, wenn er ſeine Pflicht gegen
uns nicht erfuͤllet. Weil dieſes auch von
denjenigen Pflichten zu verſtehen iſt, welche
durch das Geſetze verbothen ſind; ſo ſind
wir auch Liebesdienſte denen zu er-
weiſen ſchuldig, die uns beleidigen
(§. 88.).
§. 136.
Die Pflichten des Menſchen gegen andere
ſind mit den Pflichten gegen ſich ſelbſt einer-
ley (§. 133.). Derowegen muß ein jeder
einen beſtaͤndigen und dauernden Wil-
len haben, die Vollkommenheit und
Gluͤckſeeligkeit eines jeden andern Men-
ſchen, er ſey wer er wolle, zu befoͤrdern
(§. 43. 118.); folgends, da in dieſem Willen
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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