ist nicht weniger schuldig, seine Un- vollkommenheit, als seine Vollkom- menheit zu erkennen; weil er sonst seiner Verbindlichkeit kein Genüge leisten kann (§. 43.). Weil aber selbst durch die Natur des Menschen, aus der Empfindung der Voll- kommenheit das Vergnügen entstehet; so ist das Vergnügen, welches aus seiner und seines Zustandes Vollkommenheit entstehet, nicht unerlaubt (§. 49. 37.).
§. 130.
Von den Pflichten des Men- schen in Absicht auf das Glück.
Das Glück(fortuna) ist der Jnbegriff aller Ursachen, die zusammenkommen, und eine vor uns gute oder schlimme Würckung hervorbringen, die man nicht voraus sehen können. Es ist also das Glück entweder das gute Glück(secunda), oder das wiedri- ge(adversa). Jenes nennen wir im Deut- schen schlechterdinges das Glück, dieses aber das Unglück. Da wir nun das Glück nicht in unserer Gewalt haben (§. 60.), und die Er- fahrung uns lehret, daß es sehr veränderlich ist; so müssen wir dem Glück, wenn es uns günstig ist, nicht zu viel trauen, und im Unglücke nicht am besseren Glücke zweifeln; folgends sind wir ver- bunden das Unglück mit gelaßnem Gemüth zu ertragen; damit wir nicht durch unsere Schuld unglückseelig werden (§. 118. 17.). Damit also nicht die wiedrigen Zufälle, die uns wieder Vermuthen begegnen, das Gemüthe beunruhigen; so müssen wir
die
I. Th. 4. H. Von den Pflichten
iſt nicht weniger ſchuldig, ſeine Un- vollkommenheit, als ſeine Vollkom- menheit zu erkennen; weil er ſonſt ſeiner Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§. 43.). Weil aber ſelbſt durch die Natur des Menſchen, aus der Empfindung der Voll- kommenheit das Vergnuͤgen entſtehet; ſo iſt das Vergnuͤgen, welches aus ſeiner und ſeines Zuſtandes Vollkommenheit entſtehet, nicht unerlaubt (§. 49. 37.).
§. 130.
Von den Pflichten des Men- ſchen in Abſicht auf das Gluͤck.
Das Gluͤck(fortuna) iſt der Jnbegriff aller Urſachen, die zuſammenkommen, und eine vor uns gute oder ſchlimme Wuͤrckung hervorbringen, die man nicht voraus ſehen koͤnnen. Es iſt alſo das Gluͤck entweder das gute Gluͤck(ſecunda), oder das wiedri- ge(adverſa). Jenes nennen wir im Deut- ſchen ſchlechterdinges das Gluͤck, dieſes aber das Ungluͤck. Da wir nun das Gluͤck nicht in unſerer Gewalt haben (§. 60.), und die Er- fahrung uns lehret, daß es ſehr veraͤnderlich iſt; ſo muͤſſen wir dem Gluͤck, wenn es uns guͤnſtig iſt, nicht zu viel trauen, und im Ungluͤcke nicht am beſſeren Gluͤcke zweifeln; folgends ſind wir ver- bunden das Ungluͤck mit gelaßnem Gemuͤth zu ertragen; damit wir nicht durch unſere Schuld ungluͤckſeelig werden (§. 118. 17.). Damit alſo nicht die wiedrigen Zufaͤlle, die uns wieder Vermuthen begegnen, das Gemuͤthe beunruhigen; ſo muͤſſen wir
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I. Th. 4. H. Von den Pflichten
iſt nicht weniger ſchuldig, ſeine Un-
vollkommenheit, als ſeine Vollkom-
menheit zu erkennen; weil er ſonſt ſeiner
Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§.
43.). Weil aber ſelbſt durch die Natur des
Menſchen, aus der Empfindung der Voll-
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das Vergnuͤgen, welches aus ſeiner
und ſeines Zuſtandes Vollkommenheit
entſtehet, nicht unerlaubt (§. 49. 37.).
§. 130.
Das Gluͤck (fortuna) iſt der Jnbegriff
aller Urſachen, die zuſammenkommen, und
eine vor uns gute oder ſchlimme Wuͤrckung
hervorbringen, die man nicht voraus ſehen
koͤnnen. Es iſt alſo das Gluͤck entweder das
gute Gluͤck (ſecunda), oder das wiedri-
ge (adverſa). Jenes nennen wir im Deut-
ſchen ſchlechterdinges das Gluͤck, dieſes aber
das Ungluͤck. Da wir nun das Gluͤck nicht in
unſerer Gewalt haben (§. 60.), und die Er-
fahrung uns lehret, daß es ſehr veraͤnderlich
iſt; ſo muͤſſen wir dem Gluͤck, wenn
es uns guͤnſtig iſt, nicht zu viel trauen,
und im Ungluͤcke nicht am beſſeren
Gluͤcke zweifeln; folgends ſind wir ver-
bunden das Ungluͤck mit gelaßnem
Gemuͤth zu ertragen; damit wir nicht
durch unſere Schuld ungluͤckſeelig werden (§.
118. 17.). Damit alſo nicht die wiedrigen
Zufaͤlle, die uns wieder Vermuthen begegnen,
das Gemuͤthe beunruhigen; ſo muͤſſen wir
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/120>, abgerufen am 21.12.2024.
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