stimmte Urtheile zu fällen, und recht zu schliessen. Weil aber dieses nicht ge- schehen kann, wenn wir nicht im Stande sind, die Aufmercksamkeit zu erhalten, d. i. zu machen, daß wir uns derjenigen Sache, von welcher wir gedencken, mehr bewust sind, als anderer Dinge, die uns beyfallen, oder beyfallen können; und über dieselben nach- zudencken, d. i. unsere Aufmercksamkeit von einem zum andern besonders zu wenden, was in derselben befindlich ist; so müssen wir auch sorgfältig bemüher seyn, daß wir einen so starcken Grad der Auf- mercksamkeit, als uns möglich ist, nebst der Fertigkeit nachzudencken erhalten.
§. 109.
Daß man das Vermö- gen zu begehren und zu verab- scheuen vollkom- men ma- chen müße.
Des Menschen Vermögen zu begehren ist überhaupt bestimmt, das Gute zu begehren; und das Vermögen zu verabscheuen das Böse zu ver- abscheuen. Die Vollkommenheit des Ver- mögens zu begehren besteht in der Möglich- keit, nicht anders als durch ein wahres Gut, des Vermögens zu verabscheuen aber in der Möglichkeit, nicht anders als durch ein wah- res Uebel bestimmet zu werden. Jm Gegen- theil bestehet die Unvollkommenheit von jenem in der Möglichkeit, durch ein Schein- gut, welches man nach einem gegenwärtigen Vergnügen, das aber schädlich ist, schätzet, und die Unvollkommenheit von diesem in der Möglichkeit, durch ein Scheinübel be- stimmt zu werden, welches nach einem ge-
genwär-
I. Th. 4. H. Von den Pflichten
ſtimmte Urtheile zu faͤllen, und recht zu ſchlieſſen. Weil aber dieſes nicht ge- ſchehen kann, wenn wir nicht im Stande ſind, die Aufmerckſamkeit zu erhalten, d. i. zu machen, daß wir uns derjenigen Sache, von welcher wir gedencken, mehr bewuſt ſind, als anderer Dinge, die uns beyfallen, oder beyfallen koͤnnen; und uͤber dieſelben nach- zudencken, d. i. unſere Aufmerckſamkeit von einem zum andern beſonders zu wenden, was in derſelben befindlich iſt; ſo muͤſſen wir auch ſorgfaͤltig bemuͤher ſeyn, daß wir einen ſo ſtarcken Grad der Auf- merckſamkeit, als uns moͤglich iſt, nebſt der Fertigkeit nachzudencken erhalten.
§. 109.
Daß man das Vermoͤ- gen zu begehren und zu verab- ſcheuen vollkom- men ma- chen muͤße.
Des Menſchen Vermoͤgen zu begehren iſt uͤberhaupt beſtimmt, das Gute zu begehren; und das Vermoͤgen zu verabſcheuen das Boͤſe zu ver- abſcheuen. Die Vollkommenheit des Ver- moͤgens zu begehren beſteht in der Moͤglich- keit, nicht anders als durch ein wahres Gut, des Vermoͤgens zu verabſcheuen aber in der Moͤglichkeit, nicht anders als durch ein wah- res Uebel beſtimmet zu werden. Jm Gegen- theil beſtehet die Unvollkommenheit von jenem in der Moͤglichkeit, durch ein Schein- gut, welches man nach einem gegenwaͤrtigen Vergnuͤgen, das aber ſchaͤdlich iſt, ſchaͤtzet, und die Unvollkommenheit von dieſem in der Moͤglichkeit, durch ein Scheinuͤbel be- ſtimmt zu werden, welches nach einem ge-
genwaͤr-
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I. Th. 4. H. Von den Pflichten
ſtimmte Urtheile zu faͤllen, und recht
zu ſchlieſſen. Weil aber dieſes nicht ge-
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die Aufmerckſamkeit zu erhalten, d. i.
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von welcher wir gedencken, mehr bewuſt ſind,
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beyfallen koͤnnen; und uͤber dieſelben nach-
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wir einen ſo ſtarcken Grad der Auf-
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§. 109.
Des Menſchen Vermoͤgen zu begehren iſt
uͤberhaupt beſtimmt, das Gute zu begehren; und
das Vermoͤgen zu verabſcheuen das Boͤſe zu ver-
abſcheuen. Die Vollkommenheit des Ver-
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Vermoͤgens zu verabſcheuen aber in der
Moͤglichkeit, nicht anders als durch ein wah-
res Uebel beſtimmet zu werden. Jm Gegen-
theil beſtehet die Unvollkommenheit von
jenem in der Moͤglichkeit, durch ein Schein-
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Vergnuͤgen, das aber ſchaͤdlich iſt, ſchaͤtzet, und
die Unvollkommenheit von dieſem in
der Moͤglichkeit, durch ein Scheinuͤbel be-
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/104>, abgerufen am 30.12.2024.
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