Es ist also nothwendig, daß der Mensch sich selbst, so wohl der Seele und dem Leibe nach, als auch seinen Zustand kennen lerne; und weil die Er- kentnis unser selbst durch die Erkentnis anderer befördert wird, in so weit als daraus erhellet, was vor Vollkommen- heiten und Unvollkommenheiten der Mensch und sein Zustand haben könne, durch was vor einen Gebrauch der Kräfte jene erhalten werden, und durch was vor eine Un- terlassung des Gebrauchs und Misbrauch der Kräffte man in diese verfällt; so muß der Mensch auch andere kennen lernen, und in dieser Absicht auf andere fleis- sig und sorgfältig acht geben.
§. 106.
Von der Vollkom- menheit der See- le.
Der Gebrauch der Kräfte der Seele besteht in ihren Würkungen. Jn der Uebereinstim- mung des Gebrauchs aller Kräfte der See- len, so wohl der obern, als der untern, besteht die Vollkommenheit der Seele (§. 9.). Da nun der Mensch verbunden ist, sich im- mer mehr und mehr vollkommen zu machen; so muß er sich nicht allein bemühen, daß er zu einem jeden Gebrauch der Kräfte seiner Seele geschickt werde, sondern es auch dahin bringe, daß der Gebrauch aller Kräfte bey einer jeden Handlung übereinstimme, wie wir die-
ses
I. Th. 4. H. Von den Pflichten
§. 105.
Von der Erkent- nis ſein ſelbſt und andrer.
Es iſt alſo nothwendig, daß der Menſch ſich ſelbſt, ſo wohl der Seele und dem Leibe nach, als auch ſeinen Zuſtand kennen lerne; und weil die Er- kentnis unſer ſelbſt durch die Erkentnis anderer befoͤrdert wird, in ſo weit als daraus erhellet, was vor Vollkommen- heiten und Unvollkommenheiten der Menſch und ſein Zuſtand haben koͤnne, durch was vor einen Gebrauch der Kraͤfte jene erhalten werden, und durch was vor eine Un- terlaſſung des Gebrauchs und Misbrauch der Kraͤffte man in dieſe verfaͤllt; ſo muß der Menſch auch andere kennen lernen, und in dieſer Abſicht auf andere fleiſ- ſig und ſorgfaͤltig acht geben.
§. 106.
Von der Vollkom- menheit der See- le.
Der Gebrauch der Kraͤfte der Seele beſteht in ihren Wuͤrkungen. Jn der Uebereinſtim- mung des Gebrauchs aller Kraͤfte der See- len, ſo wohl der obern, als der untern, beſteht die Vollkommenheit der Seele (§. 9.). Da nun der Menſch verbunden iſt, ſich im- mer mehr und mehr vollkommen zu machen; ſo muß er ſich nicht allein bemuͤhen, daß er zu einem jeden Gebrauch der Kraͤfte ſeiner Seele geſchickt werde, ſondern es auch dahin bringe, daß der Gebrauch aller Kraͤfte bey einer jeden Handlung uͤbereinſtimme, wie wir die-
ſes
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I. Th. 4. H. Von den Pflichten
§. 105.
Es iſt alſo nothwendig, daß der
Menſch ſich ſelbſt, ſo wohl der Seele
und dem Leibe nach, als auch ſeinen
Zuſtand kennen lerne; und weil die Er-
kentnis unſer ſelbſt durch die Erkentnis
anderer befoͤrdert wird, in ſo weit als
daraus erhellet, was vor Vollkommen-
heiten und Unvollkommenheiten der Menſch
und ſein Zuſtand haben koͤnne, durch
was vor einen Gebrauch der Kraͤfte jene
erhalten werden, und durch was vor eine Un-
terlaſſung des Gebrauchs und Misbrauch
der Kraͤffte man in dieſe verfaͤllt; ſo muß der
Menſch auch andere kennen lernen,
und in dieſer Abſicht auf andere fleiſ-
ſig und ſorgfaͤltig acht geben.
§. 106.
Der Gebrauch der Kraͤfte der Seele beſteht
in ihren Wuͤrkungen. Jn der Uebereinſtim-
mung des Gebrauchs aller Kraͤfte der See-
len, ſo wohl der obern, als der untern, beſteht
die Vollkommenheit der Seele (§. 9.).
Da nun der Menſch verbunden iſt, ſich im-
mer mehr und mehr vollkommen zu machen;
ſo muß er ſich nicht allein bemuͤhen,
daß er zu einem jeden Gebrauch der
Kraͤfte ſeiner Seele geſchickt werde,
ſondern es auch dahin bringe, daß der
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/102>, abgerufen am 21.11.2024.
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