Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 3. Halle (Saale), 1710.

Bild:
<< vorherige Seite

Anfangs-Gründe
gesaget haben/ was ihr vor Gedancken bey denselben
haben sollet/ oder ihr müsset schon vorhin einen Begriff
von denselben haben. Denn müsset ihr 4. in dem
anderen Falle keine andere Gedancken bey den Wör-
tern/ die Gott in der Schrift brauchet/ führen/ als
die in euch erreget werden/ wenn ihr die Dinge ge-
genwärtig empfindet/ von welchen geredet wird.
Denn keinen andern Begriff kan GOtt ohne Erkläh-
rung seiner Worte von euch fordern/ als den er euch
durch eure natürliche Kräfte beygebracht hat. Wenn
ihr dieses voraus setzet/ so werder ihr begreiffen/ daß
man aus der Bibel den von uns verworfenen Lehrsatz
nicht bestetigen kan.

Die 4. Anmerckung.

397. Wir wollen die Redens-Arten der Schrift
untersuchen/ welche man zu Bestetigung des verwor-
fenen Lehrsatzes anführet. Z. E. Man beruffet sich
darauf/ daß Josua der Sonne befohlen/ sie sollte stil-
le stehen/ und sie sey stille gestanden/ Jos. X. 12. 13.
Wenn ihr nun fraget/ was Josua bey diesen Worten
für Gedancken hat haben können; so werdet ihr befin-
den (§. 396)/ er habe verlangt/ die Sonne und der
Mond sollten ihre Stelle in Ansehung der Erde nicht
ändern. Denn wo er stund/ kam ihm vor/ als wenn
die Sonne über der Stadt Gibeon und der Mond ü-
ber dem Thal Ajalon stünde. Hätte er seine Stelle
verändert/ so wären ihm auch die Sonne und der
Mond nicht mehr über diesen Oertern erschienen. Da
er nun auf seiner Stelle stille stehen blieb/ verlangte
er weiter nichts als daß die Sonne ihm immer über
Gibeon/ und der Mond über dem Thal Ajalon er-
scheinen möchte. Daher heisset stille stehen hier so
viel als aus einer gewissen Stelle über einem gewissen
Orte gesehen werden. Derowegen könnet ihr aus
dem stille stehen der Sonne/ welches in der Bibel be-
schrieben wird/ nicht schliessen/ daß sie sich würcklich
umb die Erde bewege: denn die Sonne hat dem Jo-

sua

Anfangs-Gruͤnde
geſaget haben/ was ihr vor Gedancken bey denſelben
haben ſollet/ oder ihr muͤſſet ſchon vorhin einen Begriff
von denſelben haben. Denn muͤſſet ihr 4. in dem
anderen Falle keine andere Gedancken bey den Woͤr-
tern/ die Gott in der Schrift brauchet/ fuͤhren/ als
die in euch erreget werden/ wenn ihr die Dinge ge-
genwaͤrtig empfindet/ von welchen geredet wird.
Denn keinen andern Begriff kan GOtt ohne Erklaͤh-
rung ſeiner Worte von euch fordern/ als den er euch
durch eure natuͤrliche Kraͤfte beygebracht hat. Wenn
ihr dieſes voraus ſetzet/ ſo werder ihr begreiffen/ daß
man aus der Bibel den von uns verworfenen Lehrſatz
nicht beſtetigen kan.

Die 4. Anmerckung.

397. Wir wollen die Redens-Arten der Schrift
unterſuchen/ welche man zu Beſtetigung des verwor-
fenen Lehrſatzes anfuͤhret. Z. E. Man beruffet ſich
darauf/ daß Joſua der Sonne befohlen/ ſie ſollte ſtil-
le ſtehen/ und ſie ſey ſtille geſtanden/ Joſ. X. 12. 13.
Wenn ihr nun fraget/ was Joſua bey dieſen Worten
fuͤr Gedancken hat haben koͤnnen; ſo werdet ihr befin-
den (§. 396)/ er habe verlangt/ die Sonne und der
Mond ſollten ihre Stelle in Anſehung der Erde nicht
aͤndern. Denn wo er ſtund/ kam ihm vor/ als wenn
die Sonne uͤber der Stadt Gibeon und der Mond uͤ-
ber dem Thal Ajalon ſtuͤnde. Haͤtte er ſeine Stelle
veraͤndert/ ſo waͤren ihm auch die Sonne und der
Mond nicht mehr uͤber dieſen Oertern erſchienen. Da
er nun auf ſeiner Stelle ſtille ſtehen blieb/ verlangte
er weiter nichts als daß die Sonne ihm immer uͤber
Gibeon/ und der Mond uͤber dem Thal Ajalon er-
ſcheinen moͤchte. Daher heiſſet ſtille ſtehen hier ſo
viel als aus einer gewiſſen Stelle uͤber einem gewiſſen
Orte geſehen werden. Derowegen koͤnnet ihr aus
dem ſtille ſtehen der Sonne/ welches in der Bibel be-
ſchrieben wird/ nicht ſchlieſſen/ daß ſie ſich wuͤrcklich
umb die Erde bewege: denn die Sonne hat dem Jo-

ſua
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0370" n="346"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anfangs-Gru&#x0364;nde</hi></fw><lb/>
ge&#x017F;aget haben/ was ihr vor Gedancken bey den&#x017F;elben<lb/>
haben &#x017F;ollet/ oder ihr mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;chon vorhin einen Begriff<lb/>
von den&#x017F;elben haben. Denn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et ihr 4. in dem<lb/>
anderen Falle keine andere Gedancken bey den Wo&#x0364;r-<lb/>
tern/ die Gott in der Schrift brauchet/ fu&#x0364;hren/ als<lb/>
die in euch erreget werden/ wenn ihr die Dinge ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtig empfindet/ von welchen geredet wird.<lb/>
Denn keinen andern Begriff kan GOtt ohne Erkla&#x0364;h-<lb/>
rung &#x017F;einer Worte von euch fordern/ als den er euch<lb/>
durch eure natu&#x0364;rliche Kra&#x0364;fte beygebracht hat. Wenn<lb/>
ihr die&#x017F;es voraus &#x017F;etzet/ &#x017F;o werder ihr begreiffen/ daß<lb/>
man aus der Bibel den von uns verworfenen Lehr&#x017F;atz<lb/>
nicht be&#x017F;tetigen kan.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Die 4. Anmerckung.</hi> </head><lb/>
              <p>397. Wir wollen die Redens-Arten der Schrift<lb/>
unter&#x017F;uchen/ welche man zu Be&#x017F;tetigung des verwor-<lb/>
fenen Lehr&#x017F;atzes anfu&#x0364;hret. Z. E. Man beruffet &#x017F;ich<lb/>
darauf/ daß Jo&#x017F;ua der Sonne befohlen/ &#x017F;ie &#x017F;ollte &#x017F;til-<lb/>
le &#x017F;tehen/ und &#x017F;ie &#x017F;ey &#x017F;tille ge&#x017F;tanden/ <hi rendition="#aq">Jo&#x017F;. X.</hi> 12. 13.<lb/>
Wenn ihr nun fraget/ was Jo&#x017F;ua bey die&#x017F;en Worten<lb/>
fu&#x0364;r Gedancken hat haben ko&#x0364;nnen; &#x017F;o werdet ihr befin-<lb/>
den (§. 396)/ er habe verlangt/ die Sonne und der<lb/>
Mond &#x017F;ollten ihre Stelle in An&#x017F;ehung der Erde nicht<lb/>
a&#x0364;ndern. Denn wo er &#x017F;tund/ kam ihm vor/ als wenn<lb/>
die Sonne u&#x0364;ber der Stadt Gibeon und der Mond u&#x0364;-<lb/>
ber dem Thal Ajalon &#x017F;tu&#x0364;nde. Ha&#x0364;tte er &#x017F;eine Stelle<lb/>
vera&#x0364;ndert/ &#x017F;o wa&#x0364;ren ihm auch die Sonne und der<lb/>
Mond nicht mehr u&#x0364;ber die&#x017F;en Oertern er&#x017F;chienen. Da<lb/>
er nun auf &#x017F;einer Stelle &#x017F;tille &#x017F;tehen blieb/ verlangte<lb/>
er weiter nichts als daß die Sonne ihm immer u&#x0364;ber<lb/>
Gibeon/ und der Mond u&#x0364;ber dem Thal Ajalon er-<lb/>
&#x017F;cheinen mo&#x0364;chte. Daher hei&#x017F;&#x017F;et &#x017F;tille &#x017F;tehen hier &#x017F;o<lb/>
viel als aus einer gewi&#x017F;&#x017F;en Stelle u&#x0364;ber einem gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Orte ge&#x017F;ehen werden. Derowegen ko&#x0364;nnet ihr aus<lb/>
dem &#x017F;tille &#x017F;tehen der Sonne/ welches in der Bibel be-<lb/>
&#x017F;chrieben wird/ nicht &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en/ daß &#x017F;ie &#x017F;ich wu&#x0364;rcklich<lb/>
umb die Erde bewege: denn die Sonne hat dem Jo-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ua</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0370] Anfangs-Gruͤnde geſaget haben/ was ihr vor Gedancken bey denſelben haben ſollet/ oder ihr muͤſſet ſchon vorhin einen Begriff von denſelben haben. Denn muͤſſet ihr 4. in dem anderen Falle keine andere Gedancken bey den Woͤr- tern/ die Gott in der Schrift brauchet/ fuͤhren/ als die in euch erreget werden/ wenn ihr die Dinge ge- genwaͤrtig empfindet/ von welchen geredet wird. Denn keinen andern Begriff kan GOtt ohne Erklaͤh- rung ſeiner Worte von euch fordern/ als den er euch durch eure natuͤrliche Kraͤfte beygebracht hat. Wenn ihr dieſes voraus ſetzet/ ſo werder ihr begreiffen/ daß man aus der Bibel den von uns verworfenen Lehrſatz nicht beſtetigen kan. Die 4. Anmerckung. 397. Wir wollen die Redens-Arten der Schrift unterſuchen/ welche man zu Beſtetigung des verwor- fenen Lehrſatzes anfuͤhret. Z. E. Man beruffet ſich darauf/ daß Joſua der Sonne befohlen/ ſie ſollte ſtil- le ſtehen/ und ſie ſey ſtille geſtanden/ Joſ. X. 12. 13. Wenn ihr nun fraget/ was Joſua bey dieſen Worten fuͤr Gedancken hat haben koͤnnen; ſo werdet ihr befin- den (§. 396)/ er habe verlangt/ die Sonne und der Mond ſollten ihre Stelle in Anſehung der Erde nicht aͤndern. Denn wo er ſtund/ kam ihm vor/ als wenn die Sonne uͤber der Stadt Gibeon und der Mond uͤ- ber dem Thal Ajalon ſtuͤnde. Haͤtte er ſeine Stelle veraͤndert/ ſo waͤren ihm auch die Sonne und der Mond nicht mehr uͤber dieſen Oertern erſchienen. Da er nun auf ſeiner Stelle ſtille ſtehen blieb/ verlangte er weiter nichts als daß die Sonne ihm immer uͤber Gibeon/ und der Mond uͤber dem Thal Ajalon er- ſcheinen moͤchte. Daher heiſſet ſtille ſtehen hier ſo viel als aus einer gewiſſen Stelle uͤber einem gewiſſen Orte geſehen werden. Derowegen koͤnnet ihr aus dem ſtille ſtehen der Sonne/ welches in der Bibel be- ſchrieben wird/ nicht ſchlieſſen/ daß ſie ſich wuͤrcklich umb die Erde bewege: denn die Sonne hat dem Jo- ſua

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende03_1710
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende03_1710/370
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 3. Halle (Saale), 1710. , S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende03_1710/370>, abgerufen am 21.12.2024.