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Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschafften. Bd. 1. Halle (Saale), 1710.

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Anfangs-Gründe
Die 2. Anmerckung.

136. die Alien/ welche die Ordnungen der Bau-
Kunst zu erst erfunden/ haben es grossen Theils auf
gutes Glücke ankommen lassen. Vitruvius giebet uns
(lib. 4. c. 1.) von den ersten vier Ordnungen folgen-
de Nachricht. Als Dorus, der über Achajam und
Peloponnesum geherrschet/ der Junoni zu Argis
einen Tempel erbauet/ hat er die Dorische Ord-
nung zu erst erfunden. Da hernach die Athenien-
ser dem Apollini Panjonio einen Tempel aufgefüh-
ret; haben sie gleichfalls diese Ordnung gebrauchet
und die Diecke zu der Höhe nach der Fußlänge einer
Manns-Person zu seiner gantzen Länge proportioni-
ret. Es ist aber die erste Dorische Ordnung eben
diejenige gewesen/ welche ietzund die Tuscanische ge-
nennet wird/ weil sie sonderlich von den Tuscaniern
in ihren Tempeln gebrauchet worden. Hingegen
hat man nach und nach die erste Dorische Ordnung
weiter ausgearbeitet/ und diese wohl ausgearbeitete
hat den Nahmen der Dorischen Ordnung behalten.
Da man der Dianae einen Tempel aufrichten wollte/
nahm man die Verhältnis der Höhe der Säule zu
ihrer Diecke von dem weiblichen Cörper und machte
den Diameter des gleichdiecken Stammes 1/8 der
Höhe. Das Capitäl zierete man mit Schnörckeln/
die auf gebundenen Zöpfe der Weibs-Personen nach
damaliger Mode damit zubezeichnen. Den Schaft
hat man gerippelt/ das ist/ mit Hohlkehlen verzie-
ret umb die Falten des langen Rockes/ so ihre Ma-
tronen trugen/ damit anzudeuten. Diese Ordnung
ist die Jonische genennet worden. Die Corinthi-
sche hat man nach Jungfräulicher Länge gemacht/
und ihr Capitäl ist von Callimacho, einem berühm-
tem Bildhauer folgender gestalt erfunden worden.
Es war zu Corintho eine manbahre Jungfrau ge-
storben/ deren Amme etliche Geschirre/ so ihr lieb
gewesen waren/ in einem Körblein auf ihr Grab ge-

setzt
Anfangs-Gruͤnde
Die 2. Anmerckung.

136. die Alien/ welche die Ordnungen der Bau-
Kunſt zu erſt erfunden/ haben es groſſen Theils auf
gutes Gluͤcke ankommen laſſen. Vitruvius giebet uns
(lib. 4. c. 1.) von den erſten vier Ordnungen folgen-
de Nachricht. Als Dorus, der uͤber Achajam und
Peloponneſum geherrſchet/ der Junoni zu Argis
einen Tempel erbauet/ hat er die Doriſche Ord-
nung zu erſt erfunden. Da hernach die Athenien-
ſer dem Apollini Panjonio einen Tempel aufgefuͤh-
ret; haben ſie gleichfalls dieſe Ordnung gebrauchet
und die Diecke zu der Hoͤhe nach der Fußlaͤnge einer
Manns-Perſon zu ſeiner gantzen Laͤnge proportioni-
ret. Es iſt aber die erſte Doriſche Ordnung eben
diejenige geweſen/ welche ietzund die Tuſcaniſche ge-
nennet wird/ weil ſie ſonderlich von den Tuſcaniern
in ihren Tempeln gebrauchet worden. Hingegen
hat man nach und nach die erſte Doriſche Ordnung
weiter ausgearbeitet/ und dieſe wohl ausgearbeitete
hat den Nahmen der Doriſchen Ordnung behalten.
Da man der Dianæ einen Tempel aufrichten wollte/
nahm man die Verhaͤltnis der Hoͤhe der Saͤule zu
ihrer Diecke von dem weiblichen Coͤrper und machte
den Diameter des gleichdiecken Stammes ⅛ der
Hoͤhe. Das Capitaͤl zierete man mit Schnoͤrckeln/
die auf gebundenen Zoͤpfe der Weibs-Perſonen nach
damaliger Mode damit zubezeichnen. Den Schaft
hat man gerippelt/ das iſt/ mit Hohlkehlen verzie-
ret umb die Falten des langen Rockes/ ſo ihre Ma-
tronen trugen/ damit anzudeuten. Dieſe Ordnung
iſt die Joniſche genennet worden. Die Corinthi-
ſche hat man nach Jungfraͤulicher Laͤnge gemacht/
und ihr Capitaͤl iſt von Callimacho, einem beruͤhm-
tem Bildhauer folgender geſtalt erfunden worden.
Es war zu Corintho eine manbahre Jungfrau ge-
ſtorben/ deren Amme etliche Geſchirre/ ſo ihr lieb
geweſen waren/ in einem Koͤrblein auf ihr Grab ge-

ſetzt
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[322/0454] Anfangs-Gruͤnde Die 2. Anmerckung. 136. die Alien/ welche die Ordnungen der Bau- Kunſt zu erſt erfunden/ haben es groſſen Theils auf gutes Gluͤcke ankommen laſſen. Vitruvius giebet uns (lib. 4. c. 1.) von den erſten vier Ordnungen folgen- de Nachricht. Als Dorus, der uͤber Achajam und Peloponneſum geherrſchet/ der Junoni zu Argis einen Tempel erbauet/ hat er die Doriſche Ord- nung zu erſt erfunden. Da hernach die Athenien- ſer dem Apollini Panjonio einen Tempel aufgefuͤh- ret; haben ſie gleichfalls dieſe Ordnung gebrauchet und die Diecke zu der Hoͤhe nach der Fußlaͤnge einer Manns-Perſon zu ſeiner gantzen Laͤnge proportioni- ret. Es iſt aber die erſte Doriſche Ordnung eben diejenige geweſen/ welche ietzund die Tuſcaniſche ge- nennet wird/ weil ſie ſonderlich von den Tuſcaniern in ihren Tempeln gebrauchet worden. Hingegen hat man nach und nach die erſte Doriſche Ordnung weiter ausgearbeitet/ und dieſe wohl ausgearbeitete hat den Nahmen der Doriſchen Ordnung behalten. Da man der Dianæ einen Tempel aufrichten wollte/ nahm man die Verhaͤltnis der Hoͤhe der Saͤule zu ihrer Diecke von dem weiblichen Coͤrper und machte den Diameter des gleichdiecken Stammes ⅛ der Hoͤhe. Das Capitaͤl zierete man mit Schnoͤrckeln/ die auf gebundenen Zoͤpfe der Weibs-Perſonen nach damaliger Mode damit zubezeichnen. Den Schaft hat man gerippelt/ das iſt/ mit Hohlkehlen verzie- ret umb die Falten des langen Rockes/ ſo ihre Ma- tronen trugen/ damit anzudeuten. Dieſe Ordnung iſt die Joniſche genennet worden. Die Corinthi- ſche hat man nach Jungfraͤulicher Laͤnge gemacht/ und ihr Capitaͤl iſt von Callimacho, einem beruͤhm- tem Bildhauer folgender geſtalt erfunden worden. Es war zu Corintho eine manbahre Jungfrau ge- ſtorben/ deren Amme etliche Geſchirre/ ſo ihr lieb geweſen waren/ in einem Koͤrblein auf ihr Grab ge- ſetzt

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschafften. Bd. 1. Halle (Saale), 1710. , S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende01_1710/454>, abgerufen am 21.11.2024.