Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Kunst unter den Aegyptern etc.
Knöchel des Fußes, für ganz nackend zu halten wäre; daher er sich diese
Bekleidung als ein feines Nesseltuch vorstellet, wovon noch itzo die Wei-
ber im Orient, wegen der großen Hitze, Hemden tragen.

In einer besondern Art ist die vorher angeführte sitzende Figur in der
Gallerie Barberini gekleidet: es erweitert sich der Rock von oben bis un-
ten, wie eine Glocke, ohne Falten. Man kann sich davon aus einer Fi-
gur, welche Pococke 1) beybringet, einen Begriff machen. Eben auf diese
Art ist der Rock einer sehr alten Weiblichen Figur, von schwärzlichem
Granite, drey Palme hoch, in dem Museo Hrn. Urbano Rolandi zu Rom
gemachet; und weil sich derselbe unten nicht erweitert, sieht das Unter-
theil dieser Figur einer Säule ähnlich. Es hält dieselbe einen sitzenden
Cynocephalus, auf einem Kästgen, mit vier säulenweis gesetzten Reihen
von Hieroglyphen, vor der Brust. Die Füße an derselben sind nicht
sichtbar.

Die erhabenen übermalten Figuren, welche sich zu Theben erhalten
haben, sollen 2), wie des Osiris Kleidung gemalet war, 3) ohne Abwei-
chung, und ohne Licht und Schatten seyn. Dieses aber muß uns nicht so sehr,
als dem, der es berichtet, befremden: denn alle erhobene Werke bekommen
Licht und Schatten durch sich selbst, sie mögen in weißem Marmor, oder
von einer andern einzigen Farbe seyn, und es würde alles an ihnen ver-
worren werden, wenn man im Uebermalen derselben, mit dem Erhobenen
und Vertieften es, wie in der Malerey, halten wollte. Es finden sich
übrigens in Aegypten auch 4) andere Stücke von übermalten erhobenen
Arbeiten.

Es ist auch von den übrigen Stücken der Aegyptischen Kleidungbb. Andere
Stücke der
Kleidung
und des
Schmucks.

etwas zu reden. Die Männer giengen insgemein mit unbedecktem Haupte,

und
1) l. c. p. 284.
2) Plut. de Is. & Osir. p. 680.
3) Norden's Travels in Egypt, Pref. p. XX. XXII. T. 2. p. 51.
4) Pococke's Descr. of the East, T. 1. p. 77.
Winckelm. Gesch. der Kunst. G

Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc.
Knoͤchel des Fußes, fuͤr ganz nackend zu halten waͤre; daher er ſich dieſe
Bekleidung als ein feines Neſſeltuch vorſtellet, wovon noch itzo die Wei-
ber im Orient, wegen der großen Hitze, Hemden tragen.

In einer beſondern Art iſt die vorher angefuͤhrte ſitzende Figur in der
Gallerie Barberini gekleidet: es erweitert ſich der Rock von oben bis un-
ten, wie eine Glocke, ohne Falten. Man kann ſich davon aus einer Fi-
gur, welche Pococke 1) beybringet, einen Begriff machen. Eben auf dieſe
Art iſt der Rock einer ſehr alten Weiblichen Figur, von ſchwaͤrzlichem
Granite, drey Palme hoch, in dem Muſeo Hrn. Urbano Rolandi zu Rom
gemachet; und weil ſich derſelbe unten nicht erweitert, ſieht das Unter-
theil dieſer Figur einer Saͤule aͤhnlich. Es haͤlt dieſelbe einen ſitzenden
Cynocephalus, auf einem Kaͤſtgen, mit vier ſaͤulenweis geſetzten Reihen
von Hieroglyphen, vor der Bruſt. Die Fuͤße an derſelben ſind nicht
ſichtbar.

Die erhabenen uͤbermalten Figuren, welche ſich zu Theben erhalten
haben, ſollen 2), wie des Oſiris Kleidung gemalet war, 3) ohne Abwei-
chung, und ohne Licht und Schatten ſeyn. Dieſes aber muß uns nicht ſo ſehr,
als dem, der es berichtet, befremden: denn alle erhobene Werke bekommen
Licht und Schatten durch ſich ſelbſt, ſie moͤgen in weißem Marmor, oder
von einer andern einzigen Farbe ſeyn, und es wuͤrde alles an ihnen ver-
worren werden, wenn man im Uebermalen derſelben, mit dem Erhobenen
und Vertieften es, wie in der Malerey, halten wollte. Es finden ſich
uͤbrigens in Aegypten auch 4) andere Stuͤcke von uͤbermalten erhobenen
Arbeiten.

Es iſt auch von den uͤbrigen Stuͤcken der Aegyptiſchen Kleidungbb. Andere
Stuͤcke der
Kleidung
und des
Schmucks.

etwas zu reden. Die Maͤnner giengen insgemein mit unbedecktem Haupte,

und
1) l. c. p. 284.
2) Plut. de Iſ. & Oſir. p. 680.
3) Norden’s Travels in Egypt, Pref. p. XX. XXII. T. 2. p. 51.
4) Pococke’s Deſcr. of the Eaſt, T. 1. p. 77.
Winckelm. Geſch. der Kunſt. G
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0099" n="49"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Kun&#x017F;t unter den Aegyptern &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
Kno&#x0364;chel des Fußes, fu&#x0364;r ganz nackend zu halten wa&#x0364;re; daher er &#x017F;ich die&#x017F;e<lb/>
Bekleidung als ein feines Ne&#x017F;&#x017F;eltuch vor&#x017F;tellet, wovon noch itzo die Wei-<lb/>
ber im Orient, wegen der großen Hitze, Hemden tragen.</p><lb/>
              <p>In einer be&#x017F;ondern Art i&#x017F;t die vorher angefu&#x0364;hrte &#x017F;itzende Figur in der<lb/>
Gallerie Barberini gekleidet: es erweitert &#x017F;ich der Rock von oben bis un-<lb/>
ten, wie eine Glocke, ohne Falten. Man kann &#x017F;ich davon aus einer Fi-<lb/>
gur, welche Pococke <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">l. c. p. 284.</hi></note> beybringet, einen Begriff machen. Eben auf die&#x017F;e<lb/>
Art i&#x017F;t der Rock einer &#x017F;ehr alten Weiblichen Figur, von &#x017F;chwa&#x0364;rzlichem<lb/>
Granite, drey Palme hoch, in dem Mu&#x017F;eo Hrn. Urbano <hi rendition="#fr">Rolandi</hi> zu Rom<lb/>
gemachet; und weil &#x017F;ich der&#x017F;elbe unten nicht erweitert, &#x017F;ieht das Unter-<lb/>
theil die&#x017F;er Figur einer Sa&#x0364;ule a&#x0364;hnlich. Es ha&#x0364;lt die&#x017F;elbe einen &#x017F;itzenden<lb/>
Cynocephalus, auf einem Ka&#x0364;&#x017F;tgen, mit vier &#x017F;a&#x0364;ulenweis ge&#x017F;etzten Reihen<lb/>
von Hieroglyphen, vor der Bru&#x017F;t. Die Fu&#x0364;ße an der&#x017F;elben &#x017F;ind nicht<lb/>
&#x017F;ichtbar.</p><lb/>
              <p>Die erhabenen u&#x0364;bermalten Figuren, welche &#x017F;ich zu Theben erhalten<lb/>
haben, &#x017F;ollen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Plut. de I&#x017F;. &amp; O&#x017F;ir. p. 680.</hi></note>, wie des O&#x017F;iris Kleidung gemalet war, <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Norden&#x2019;s Travels in Egypt, Pref. p. XX. XXII. T. 2. p. 51.</hi></note> ohne Abwei-<lb/>
chung, und ohne Licht und Schatten &#x017F;eyn. Die&#x017F;es aber muß uns nicht &#x017F;o &#x017F;ehr,<lb/>
als dem, der es berichtet, befremden: denn alle erhobene Werke bekommen<lb/>
Licht und Schatten durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ie mo&#x0364;gen in weißem Marmor, oder<lb/>
von einer andern einzigen Farbe &#x017F;eyn, und es wu&#x0364;rde alles an ihnen ver-<lb/>
worren werden, wenn man im Uebermalen der&#x017F;elben, mit dem Erhobenen<lb/>
und Vertieften es, wie in der Malerey, halten wollte. Es finden &#x017F;ich<lb/>
u&#x0364;brigens in Aegypten auch <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Pococke&#x2019;s De&#x017F;cr. of the Ea&#x017F;t, T. 1. p. 77.</hi></note> andere Stu&#x0364;cke von u&#x0364;bermalten erhobenen<lb/>
Arbeiten.</p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t auch von den u&#x0364;brigen Stu&#x0364;cken der Aegypti&#x017F;chen Kleidung<note place="right"><hi rendition="#aq">bb.</hi> Andere<lb/>
Stu&#x0364;cke der<lb/>
Kleidung<lb/>
und des<lb/>
Schmucks.</note><lb/>
etwas zu reden. Die Ma&#x0364;nner giengen insgemein mit unbedecktem Haupte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Winckelm. Ge&#x017F;ch. der Kun&#x017F;t</hi>. G</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0099] Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. Knoͤchel des Fußes, fuͤr ganz nackend zu halten waͤre; daher er ſich dieſe Bekleidung als ein feines Neſſeltuch vorſtellet, wovon noch itzo die Wei- ber im Orient, wegen der großen Hitze, Hemden tragen. In einer beſondern Art iſt die vorher angefuͤhrte ſitzende Figur in der Gallerie Barberini gekleidet: es erweitert ſich der Rock von oben bis un- ten, wie eine Glocke, ohne Falten. Man kann ſich davon aus einer Fi- gur, welche Pococke 1) beybringet, einen Begriff machen. Eben auf dieſe Art iſt der Rock einer ſehr alten Weiblichen Figur, von ſchwaͤrzlichem Granite, drey Palme hoch, in dem Muſeo Hrn. Urbano Rolandi zu Rom gemachet; und weil ſich derſelbe unten nicht erweitert, ſieht das Unter- theil dieſer Figur einer Saͤule aͤhnlich. Es haͤlt dieſelbe einen ſitzenden Cynocephalus, auf einem Kaͤſtgen, mit vier ſaͤulenweis geſetzten Reihen von Hieroglyphen, vor der Bruſt. Die Fuͤße an derſelben ſind nicht ſichtbar. Die erhabenen uͤbermalten Figuren, welche ſich zu Theben erhalten haben, ſollen 2), wie des Oſiris Kleidung gemalet war, 3) ohne Abwei- chung, und ohne Licht und Schatten ſeyn. Dieſes aber muß uns nicht ſo ſehr, als dem, der es berichtet, befremden: denn alle erhobene Werke bekommen Licht und Schatten durch ſich ſelbſt, ſie moͤgen in weißem Marmor, oder von einer andern einzigen Farbe ſeyn, und es wuͤrde alles an ihnen ver- worren werden, wenn man im Uebermalen derſelben, mit dem Erhobenen und Vertieften es, wie in der Malerey, halten wollte. Es finden ſich uͤbrigens in Aegypten auch 4) andere Stuͤcke von uͤbermalten erhobenen Arbeiten. Es iſt auch von den uͤbrigen Stuͤcken der Aegyptiſchen Kleidung etwas zu reden. Die Maͤnner giengen insgemein mit unbedecktem Haupte, und bb. Andere Stuͤcke der Kleidung und des Schmucks. 1) l. c. p. 284. 2) Plut. de Iſ. & Oſir. p. 680. 3) Norden’s Travels in Egypt, Pref. p. XX. XXII. T. 2. p. 51. 4) Pococke’s Deſcr. of the Eaſt, T. 1. p. 77. Winckelm. Geſch. der Kunſt. G

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/99
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/99>, abgerufen am 21.12.2024.