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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles des Euripides.
wahnsinns von Euripides selbst auf die bühne gebracht, also in einer
scene vor dem botenbericht. leicht würden wir dann noch eine stelle,
die sich auf das reinigungsopfer bezieht, dem botenberichte einreihen
(Didymos in schol. Fried. 959 und bei Athen. IX 409. Eur. v. 928. 29).
dass Herakles, also gebunden, selbst vorgeführt ward, ergibt weiter der
öfter citirte vers 1245, und die angabe, dass in diesem drama der glaube
an die ansteckende kraft des blutbefleckten berührt worden sei (schol.
Eur. Or. 73): denn diese combination zu machen dürfen wir uns schon
zutrauen. wenn Herakles im botenberichte gebunden ward, nachher auf
der bühne blutbesudelt anwesend war, so ist die einführung des ekky-
klemas mit sicherheit zu erschliessen. wie wir uns freilich weiter helfen
sollten, würden die fragmente nicht lehren, denn dass 1349, 50 in schwer
interpolirter gestalt bei Stobaeus (108, 12) stehen, wir also den spruch ver-
nehmen, 'wer nicht das geschick zu tragen weiss, wird auch nicht im stande
sein, dem geschosse des feindes entgegen zu treten', würde die lösung
schwerlich ergeben. und dass die rettung der 14 kinder aus Kreta, also
eine Theseustat, erwähnt ward (Servius zu Aen. 6, 21), müsste zunächst nur
verwirren. allein mit diesen kenntnissen bewaffnet könnten wir zuver-
sichtlich an die tragödie des Seneca gehen, und ohne schwanken aus
ihrem zweiten teile den zusammenhang nehmen, in den die namentlich
erhaltenen citate sich einordnen. Herakles kommt mit Theseus aus dem
Hades, also nach der bezwingung des Kerberos, also am ende seines
lebens, unerwartet nach Theben. in raserei erschlägt er frau und kinder;
als es ihm zum bewusstsein kommt, will er sich töten, entschliesst sich
aber auf die bitten seines vaters und des Theseus mit diesem nach Athen
zu ziehen um sich dort entsühnen zu lassen: ja selbst einen schimmer
von der stimmung des euripideischen Herakles hat Seneca bewahrt. wenn
er die mahnung hört nunc Hercule opus est, perfer hanc molem mali (1239),
sie abweist veniam dabit sibi ipse qui nulli dedit? laudanda feci iussus:
hoc unum meumst
(1261), und schliesslich entscheidet succumbe virtus,
perfer imperium patris, eat ad labores hic quoque Herculeos labor, vivamus,

so ist das zwar für uns jetzt, die wir den echten hören, ein unge-
nügender nachklang, aber er gibt doch von der stimmung des echten
eine gar nicht verächtliche vorstellung. und ganz abgesehen davon, wie
gut es einem kenner des Euripides gelingen möchte, die zusätze der copie
zu entfernen: das ist augenfällig, dass wir den schluss des dramas inhalt-
lich, so weit es die handlung angeht, in der hauptsache richtig recon-
struiren müssten. aber Seneca würde uns noch weiter helfen. dass
Euripides den Herakles aus der hölle nur emporgeholt hätte, um ihn

Der Herakles des Euripides.
wahnsinns von Euripides selbst auf die bühne gebracht, also in einer
scene vor dem botenbericht. leicht würden wir dann noch eine stelle,
die sich auf das reinigungsopfer bezieht, dem botenberichte einreihen
(Didymos in schol. Fried. 959 und bei Athen. IX 409. Eur. v. 928. 29).
daſs Herakles, also gebunden, selbst vorgeführt ward, ergibt weiter der
öfter citirte vers 1245, und die angabe, daſs in diesem drama der glaube
an die ansteckende kraft des blutbefleckten berührt worden sei (schol.
Eur. Or. 73): denn diese combination zu machen dürfen wir uns schon
zutrauen. wenn Herakles im botenberichte gebunden ward, nachher auf
der bühne blutbesudelt anwesend war, so ist die einführung des ekky-
klemas mit sicherheit zu erschlieſsen. wie wir uns freilich weiter helfen
sollten, würden die fragmente nicht lehren, denn daſs 1349, 50 in schwer
interpolirter gestalt bei Stobaeus (108, 12) stehen, wir also den spruch ver-
nehmen, ‘wer nicht das geschick zu tragen weiſs, wird auch nicht im stande
sein, dem geschosse des feindes entgegen zu treten’, würde die lösung
schwerlich ergeben. und daſs die rettung der 14 kinder aus Kreta, also
eine Theseustat, erwähnt ward (Servius zu Aen. 6, 21), müſste zunächst nur
verwirren. allein mit diesen kenntnissen bewaffnet könnten wir zuver-
sichtlich an die tragödie des Seneca gehen, und ohne schwanken aus
ihrem zweiten teile den zusammenhang nehmen, in den die namentlich
erhaltenen citate sich einordnen. Herakles kommt mit Theseus aus dem
Hades, also nach der bezwingung des Kerberos, also am ende seines
lebens, unerwartet nach Theben. in raserei erschlägt er frau und kinder;
als es ihm zum bewuſstsein kommt, will er sich töten, entschlieſst sich
aber auf die bitten seines vaters und des Theseus mit diesem nach Athen
zu ziehen um sich dort entsühnen zu lassen: ja selbst einen schimmer
von der stimmung des euripideischen Herakles hat Seneca bewahrt. wenn
er die mahnung hört nunc Hercule opus est, perfer hanc molem mali (1239),
sie abweist veniam dabit sibi ipse qui nulli dedit? laudanda feci iussus:
hoc unum meumst
(1261), und schlieſslich entscheidet succumbe virtus,
perfer imperium patris, eat ad labores hic quoque Herculeos labor, vivamus,

so ist das zwar für uns jetzt, die wir den echten hören, ein unge-
nügender nachklang, aber er gibt doch von der stimmung des echten
eine gar nicht verächtliche vorstellung. und ganz abgesehen davon, wie
gut es einem kenner des Euripides gelingen möchte, die zusätze der copie
zu entfernen: das ist augenfällig, daſs wir den schluſs des dramas inhalt-
lich, so weit es die handlung angeht, in der hauptsache richtig recon-
struiren müſsten. aber Seneca würde uns noch weiter helfen. daſs
Euripides den Herakles aus der hölle nur emporgeholt hätte, um ihn

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[386/0406] Der Herakles des Euripides. wahnsinns von Euripides selbst auf die bühne gebracht, also in einer scene vor dem botenbericht. leicht würden wir dann noch eine stelle, die sich auf das reinigungsopfer bezieht, dem botenberichte einreihen (Didymos in schol. Fried. 959 und bei Athen. IX 409. Eur. v. 928. 29). daſs Herakles, also gebunden, selbst vorgeführt ward, ergibt weiter der öfter citirte vers 1245, und die angabe, daſs in diesem drama der glaube an die ansteckende kraft des blutbefleckten berührt worden sei (schol. Eur. Or. 73): denn diese combination zu machen dürfen wir uns schon zutrauen. wenn Herakles im botenberichte gebunden ward, nachher auf der bühne blutbesudelt anwesend war, so ist die einführung des ekky- klemas mit sicherheit zu erschlieſsen. wie wir uns freilich weiter helfen sollten, würden die fragmente nicht lehren, denn daſs 1349, 50 in schwer interpolirter gestalt bei Stobaeus (108, 12) stehen, wir also den spruch ver- nehmen, ‘wer nicht das geschick zu tragen weiſs, wird auch nicht im stande sein, dem geschosse des feindes entgegen zu treten’, würde die lösung schwerlich ergeben. und daſs die rettung der 14 kinder aus Kreta, also eine Theseustat, erwähnt ward (Servius zu Aen. 6, 21), müſste zunächst nur verwirren. allein mit diesen kenntnissen bewaffnet könnten wir zuver- sichtlich an die tragödie des Seneca gehen, und ohne schwanken aus ihrem zweiten teile den zusammenhang nehmen, in den die namentlich erhaltenen citate sich einordnen. Herakles kommt mit Theseus aus dem Hades, also nach der bezwingung des Kerberos, also am ende seines lebens, unerwartet nach Theben. in raserei erschlägt er frau und kinder; als es ihm zum bewuſstsein kommt, will er sich töten, entschlieſst sich aber auf die bitten seines vaters und des Theseus mit diesem nach Athen zu ziehen um sich dort entsühnen zu lassen: ja selbst einen schimmer von der stimmung des euripideischen Herakles hat Seneca bewahrt. wenn er die mahnung hört nunc Hercule opus est, perfer hanc molem mali (1239), sie abweist veniam dabit sibi ipse qui nulli dedit? laudanda feci iussus: hoc unum meumst (1261), und schlieſslich entscheidet succumbe virtus, perfer imperium patris, eat ad labores hic quoque Herculeos labor, vivamus, so ist das zwar für uns jetzt, die wir den echten hören, ein unge- nügender nachklang, aber er gibt doch von der stimmung des echten eine gar nicht verächtliche vorstellung. und ganz abgesehen davon, wie gut es einem kenner des Euripides gelingen möchte, die zusätze der copie zu entfernen: das ist augenfällig, daſs wir den schluſs des dramas inhalt- lich, so weit es die handlung angeht, in der hauptsache richtig recon- struiren müſsten. aber Seneca würde uns noch weiter helfen. daſs Euripides den Herakles aus der hölle nur emporgeholt hätte, um ihn

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/406>, abgerufen am 26.04.2024.