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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Sagen geschichtlichen inhalts.
kam zu den Dorern von Kos und Rhodos. für sie war die ausschliessung
des Herakles auch selbstverständlich. aber es genügte ihnen nicht, seine
nachkommen einzuführen, zumal diese ihre gegner auf die troische
seite nachzogen: dafür ist der kampf zwischen Tlepolemos und Sarpedon
das leuchtende beispiel. und doch durfte Asien nicht ohne Herakles
erobert sein. so entstand der zug des Herakles gegen den vater des
Priamos. asiatische Dorer haben ihn erdacht, denn sie, die aus der
Argolis stammten, haben die argolische geschichte von Perseus und Andro-
meda auf Herakles und Hesione übertragen und den zug wider Troia
mit den älteren fahrten verbunden, in denen sie Herakles ihren eigenen
kämpfen um Kos und Lindos hatten vorarbeiten lassen. später, als das
epos nach dem mutterlande kam, steigerte man den zug zu einer grossen
heerfahrt, und eine regelrechte belagerung trat zu dem einfachen kampfe
mit einem ungeheuer. die beteiligung der Aeakiden, für deren ruhm
besondere sorge getragen ward, lehrt, dass diese letzte bearbeitung unter
dem drucke der aeginetischen macht, im 6. jahrhundert, vorgenommen ist 35).

Ebenfalls im 6. jahrhundert drang die hellenische besiedelung in
Sicilien mächtig nach westen vor. im süden hatten Dorer megarischer
herkunft in Selinus einen sicheren stützpunkt gefunden; an den nord-
küsten Chalkidier Himera weit vorgeschoben. die eingebornen gegner waren
Elymer, wahrscheinlich iberischer abkunft 36), in Entella, Halikyai, nament-
lich aber in Egesta und auf dem Eryx. die ionischen Himeraeer, deren
phantasie von homerischen bildern erfüllt war, sahen in ihnen nach-
kommen der Troer, mit denen ihre ahnen gefochten hatten, um so mehr
als sie die göttin des Eryx Aphrodite nannten, die ja dem volke des
Paris beigestanden hatte. so ward der eponym dieser feinde, Eryx, ein
sohn Aphrodites und eines 'hirten', des Boutes 37), ein anderer Aineias;

35) Auch ein attisches skolion spricht die tendenz unumwunden aus, 18, ton
Telamona proton, Aianta de deuteron es Troian legousin elthein Danaon kai
Akhillea. des Herakles hat man hier ganz vergessen; selbst Achilleus ist nur annex.
so mögen die nachkommen des Eurysakes oder Philaios gesungen haben. Bergk,
der met Akhillea geschrieben hat, hat sich wol gar nichts gedacht, jedenfalls das
gedicht nicht verstanden.
36) Der iberische graffito auf einer sicilischen vase, den Löschcke erkannt hat
(Benndorf Gr. Vasenbild. taf. XXXXIII) ist ein unverdächtiger und gewichtiger zeuge
für diese ansicht.
37) Bei Apollonios Rhodios ist Butes sohn des Teleon (wie er statt Geleon
gesagt haben soll, auf grund eines schreibfehlers jedenfalls) von Athen, er stürzt
ins meer, als die Argo an den Sireneninseln bei Neapel vorbeifährt, und Aphrodite
rettet ihn nach Lilybaion. dass der Elymer Athener wird, ist wol eine nachwirkung

Sagen geschichtlichen inhalts.
kam zu den Dorern von Kos und Rhodos. für sie war die ausschlieſsung
des Herakles auch selbstverständlich. aber es genügte ihnen nicht, seine
nachkommen einzuführen, zumal diese ihre gegner auf die troische
seite nachzogen: dafür ist der kampf zwischen Tlepolemos und Sarpedon
das leuchtende beispiel. und doch durfte Asien nicht ohne Herakles
erobert sein. so entstand der zug des Herakles gegen den vater des
Priamos. asiatische Dorer haben ihn erdacht, denn sie, die aus der
Argolis stammten, haben die argolische geschichte von Perseus und Andro-
meda auf Herakles und Hesione übertragen und den zug wider Troia
mit den älteren fahrten verbunden, in denen sie Herakles ihren eigenen
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epos nach dem mutterlande kam, steigerte man den zug zu einer groſsen
heerfahrt, und eine regelrechte belagerung trat zu dem einfachen kampfe
mit einem ungeheuer. die beteiligung der Aeakiden, für deren ruhm
besondere sorge getragen ward, lehrt, daſs diese letzte bearbeitung unter
dem drucke der aeginetischen macht, im 6. jahrhundert, vorgenommen ist 35).

Ebenfalls im 6. jahrhundert drang die hellenische besiedelung in
Sicilien mächtig nach westen vor. im süden hatten Dorer megarischer
herkunft in Selinus einen sicheren stützpunkt gefunden; an den nord-
küsten Chalkidier Himera weit vorgeschoben. die eingebornen gegner waren
Elymer, wahrscheinlich iberischer abkunft 36), in Entella, Halikyai, nament-
lich aber in Egesta und auf dem Eryx. die ionischen Himeraeer, deren
phantasie von homerischen bildern erfüllt war, sahen in ihnen nach-
kommen der Troer, mit denen ihre ahnen gefochten hatten, um so mehr
als sie die göttin des Eryx Aphrodite nannten, die ja dem volke des
Paris beigestanden hatte. so ward der eponym dieser feinde, Eryx, ein
sohn Aphrodites und eines ‘hirten’, des Βούτης 37), ein anderer Aineias;

35) Auch ein attisches skolion spricht die tendenz unumwunden aus, 18, τὸν
Τελάμωνα πρῶτον, Αἴαντα δὲ δεύτερον ἐς Τροΐαν λέγουσιν ἐλϑεῖν Δαναῶν καὶ
Ἀχιλλέα. des Herakles hat man hier ganz vergessen; selbst Achilleus ist nur annex.
so mögen die nachkommen des Eurysakes oder Philaios gesungen haben. Bergk,
der μετ̕ Ἀχιλλέα geschrieben hat, hat sich wol gar nichts gedacht, jedenfalls das
gedicht nicht verstanden.
36) Der iberische graffito auf einer sicilischen vase, den Löschcke erkannt hat
(Benndorf Gr. Vasenbild. taf. XXXXIII) ist ein unverdächtiger und gewichtiger zeuge
für diese ansicht.
37) Bei Apollonios Rhodios ist Butes sohn des Teleon (wie er statt Γελέων
gesagt haben soll, auf grund eines schreibfehlers jedenfalls) von Athen, er stürzt
ins meer, als die Argo an den Sireneninseln bei Neapel vorbeifährt, und Aphrodite
rettet ihn nach Lilybaion. daſs der Elymer Athener wird, ist wol eine nachwirkung
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[281/0301] Sagen geschichtlichen inhalts. kam zu den Dorern von Kos und Rhodos. für sie war die ausschlieſsung des Herakles auch selbstverständlich. aber es genügte ihnen nicht, seine nachkommen einzuführen, zumal diese ihre gegner auf die troische seite nachzogen: dafür ist der kampf zwischen Tlepolemos und Sarpedon das leuchtende beispiel. und doch durfte Asien nicht ohne Herakles erobert sein. so entstand der zug des Herakles gegen den vater des Priamos. asiatische Dorer haben ihn erdacht, denn sie, die aus der Argolis stammten, haben die argolische geschichte von Perseus und Andro- meda auf Herakles und Hesione übertragen und den zug wider Troia mit den älteren fahrten verbunden, in denen sie Herakles ihren eigenen kämpfen um Kos und Lindos hatten vorarbeiten lassen. später, als das epos nach dem mutterlande kam, steigerte man den zug zu einer groſsen heerfahrt, und eine regelrechte belagerung trat zu dem einfachen kampfe mit einem ungeheuer. die beteiligung der Aeakiden, für deren ruhm besondere sorge getragen ward, lehrt, daſs diese letzte bearbeitung unter dem drucke der aeginetischen macht, im 6. jahrhundert, vorgenommen ist 35). Ebenfalls im 6. jahrhundert drang die hellenische besiedelung in Sicilien mächtig nach westen vor. im süden hatten Dorer megarischer herkunft in Selinus einen sicheren stützpunkt gefunden; an den nord- küsten Chalkidier Himera weit vorgeschoben. die eingebornen gegner waren Elymer, wahrscheinlich iberischer abkunft 36), in Entella, Halikyai, nament- lich aber in Egesta und auf dem Eryx. die ionischen Himeraeer, deren phantasie von homerischen bildern erfüllt war, sahen in ihnen nach- kommen der Troer, mit denen ihre ahnen gefochten hatten, um so mehr als sie die göttin des Eryx Aphrodite nannten, die ja dem volke des Paris beigestanden hatte. so ward der eponym dieser feinde, Eryx, ein sohn Aphrodites und eines ‘hirten’, des Βούτης 37), ein anderer Aineias; 35) Auch ein attisches skolion spricht die tendenz unumwunden aus, 18, τὸν Τελάμωνα πρῶτον, Αἴαντα δὲ δεύτερον ἐς Τροΐαν λέγουσιν ἐλϑεῖν Δαναῶν καὶ Ἀχιλλέα. des Herakles hat man hier ganz vergessen; selbst Achilleus ist nur annex. so mögen die nachkommen des Eurysakes oder Philaios gesungen haben. Bergk, der μετ̕ Ἀχιλλέα geschrieben hat, hat sich wol gar nichts gedacht, jedenfalls das gedicht nicht verstanden. 36) Der iberische graffito auf einer sicilischen vase, den Löschcke erkannt hat (Benndorf Gr. Vasenbild. taf. XXXXIII) ist ein unverdächtiger und gewichtiger zeuge für diese ansicht. 37) Bei Apollonios Rhodios ist Butes sohn des Teleon (wie er statt Γελέων gesagt haben soll, auf grund eines schreibfehlers jedenfalls) von Athen, er stürzt ins meer, als die Argo an den Sireneninseln bei Neapel vorbeifährt, und Aphrodite rettet ihn nach Lilybaion. daſs der Elymer Athener wird, ist wol eine nachwirkung

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/301>, abgerufen am 26.04.2024.