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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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H. bei den barbaren. Herakles der Dorer.

Von besonderem interesse ist nur eine solche verknüpfung des bar-
barischen mit Herakles: das lydische herrschergeschlecht, welches Gyges
stürzte, hat für heraklidischen blutes gegolten, und die Omphalefabel
ist in Lydien localisirt worden und hat anderes nach sich gezogen. es
wird sich unten zeigen, dass hier nur eine oetäische sage in äusserlicher
weise nach Asien übertragen ist. aber gesetzt auch, es hätte sich wirk-
lich an diesem einen punkte asiatisches und hellenisches verquickt, so
dürfte man eben nicht hier das verständnis der Heraklessage suchen:
ihr wesen wird sie allein in ihrer heimat offenbaren können.

So bleibt also Herakles ein angestammter besitz lediglich der völker-Herakles
der Dorer.

gruppe, welche sich vom Pindos östlich wandte. Thessaler 26) Boeoter
Dorer sind wesentlich durch diese gemeinsame religion als zusammen-
gehörig zu erkennen. sie alle haben Herakles als den vertreter ihres
wesens verehrt, haben von seinen taten erzählt, seine ehre als die ihre
betrachtet, und sie sind irgend wie im spiele, wo immer uns Herakles
begegnet.

Ist Herakles vielleicht nichts anderes als der vertreter dieses volks-
tumes, das a potiore dorisch heissen mag? und ist die entwickelung
seiner sage so zu betrachten, dass er allmählich vertreter des Hellenen-
tumes geworden wäre, zuerst in Grossgriechenland, schliesslich aber ver-
treter der menschheit? eponyme heroen der art gibt es in Hellas und
bei anderen Ariern genug; semitische völker zeigen deutlicher als die
Arier auch götter in solcher function. selbst Jahwe, der zuerst ein gott
gewesen sein mag, der an einen bestimmten ort, den Sinai, gebunden
war, hat seine bedeutung dadurch erhalten, dass er der träger des
israelitischen volkstums ward, und hat nur um den preis der zertrüm-
merung dieses volkstumes ein gott der welt werden können. es kann
aussichtsvoll erscheinen, Herakles in dieser nationalen weise erklären zu
wollen. denn gewesen ist er allerdings vertreter der Dorer, und die
jahrhunderte 8 bis 6 haben seine sage ganz vorwiegend nach dieser
seite ausgestaltet. unübersehbar ist die masse dieser sagen, reichste fülle
geschichtlicher überlieferung birgt sich in ihnen. der zusammenhang, in

festzusetzen versucht haben. gerade auf der eile de la Camargue soll ein Herakleia
gelegen haben. CIL XII p. 500.
26) Entsprechend ihrer geringeren geistigen kraft und selbständigkeit kommen
die Thessaler am wenigsten in betracht, obwol gerade Thessalos selbst ein Herakles-
sohn ist, Boiotos nicht. im Peloponnes ist das verhältnis ähnlich zwischen Argos
Korinth einerseits, Sparta Kreta andererseits. für die Heraklessage haben die süd-
lichen Dorer fast nichts geleistet.
H. bei den barbaren. Herakles der Dorer.

Von besonderem interesse ist nur eine solche verknüpfung des bar-
barischen mit Herakles: das lydische herrschergeschlecht, welches Gyges
stürzte, hat für heraklidischen blutes gegolten, und die Omphalefabel
ist in Lydien localisirt worden und hat anderes nach sich gezogen. es
wird sich unten zeigen, daſs hier nur eine oetäische sage in äuſserlicher
weise nach Asien übertragen ist. aber gesetzt auch, es hätte sich wirk-
lich an diesem einen punkte asiatisches und hellenisches verquickt, so
dürfte man eben nicht hier das verständnis der Heraklessage suchen:
ihr wesen wird sie allein in ihrer heimat offenbaren können.

So bleibt also Herakles ein angestammter besitz lediglich der völker-Herakles
der Dorer.

gruppe, welche sich vom Pindos östlich wandte. Thessaler 26) Boeoter
Dorer sind wesentlich durch diese gemeinsame religion als zusammen-
gehörig zu erkennen. sie alle haben Herakles als den vertreter ihres
wesens verehrt, haben von seinen taten erzählt, seine ehre als die ihre
betrachtet, und sie sind irgend wie im spiele, wo immer uns Herakles
begegnet.

Ist Herakles vielleicht nichts anderes als der vertreter dieses volks-
tumes, das a potiore dorisch heiſsen mag? und ist die entwickelung
seiner sage so zu betrachten, daſs er allmählich vertreter des Hellenen-
tumes geworden wäre, zuerst in Groſsgriechenland, schlieſslich aber ver-
treter der menschheit? eponyme heroen der art gibt es in Hellas und
bei anderen Ariern genug; semitische völker zeigen deutlicher als die
Arier auch götter in solcher function. selbst Jahwe, der zuerst ein gott
gewesen sein mag, der an einen bestimmten ort, den Sinai, gebunden
war, hat seine bedeutung dadurch erhalten, daſs er der träger des
israelitischen volkstums ward, und hat nur um den preis der zertrüm-
merung dieses volkstumes ein gott der welt werden können. es kann
aussichtsvoll erscheinen, Herakles in dieser nationalen weise erklären zu
wollen. denn gewesen ist er allerdings vertreter der Dorer, und die
jahrhunderte 8 bis 6 haben seine sage ganz vorwiegend nach dieser
seite ausgestaltet. unübersehbar ist die masse dieser sagen, reichste fülle
geschichtlicher überlieferung birgt sich in ihnen. der zusammenhang, in

festzusetzen versucht haben. gerade auf der île de la Camargue soll ein Herakleia
gelegen haben. CIL XII p. 500.
26) Entsprechend ihrer geringeren geistigen kraft und selbständigkeit kommen
die Thessaler am wenigsten in betracht, obwol gerade Thessalos selbst ein Herakles-
sohn ist, Boiotos nicht. im Peloponnes ist das verhältnis ähnlich zwischen Argos
Korinth einerseits, Sparta Kreta andererseits. für die Heraklessage haben die süd-
lichen Dorer fast nichts geleistet.
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[277/0297] H. bei den barbaren. Herakles der Dorer. Von besonderem interesse ist nur eine solche verknüpfung des bar- barischen mit Herakles: das lydische herrschergeschlecht, welches Gyges stürzte, hat für heraklidischen blutes gegolten, und die Omphalefabel ist in Lydien localisirt worden und hat anderes nach sich gezogen. es wird sich unten zeigen, daſs hier nur eine oetäische sage in äuſserlicher weise nach Asien übertragen ist. aber gesetzt auch, es hätte sich wirk- lich an diesem einen punkte asiatisches und hellenisches verquickt, so dürfte man eben nicht hier das verständnis der Heraklessage suchen: ihr wesen wird sie allein in ihrer heimat offenbaren können. So bleibt also Herakles ein angestammter besitz lediglich der völker- gruppe, welche sich vom Pindos östlich wandte. Thessaler 26) Boeoter Dorer sind wesentlich durch diese gemeinsame religion als zusammen- gehörig zu erkennen. sie alle haben Herakles als den vertreter ihres wesens verehrt, haben von seinen taten erzählt, seine ehre als die ihre betrachtet, und sie sind irgend wie im spiele, wo immer uns Herakles begegnet. Herakles der Dorer. Ist Herakles vielleicht nichts anderes als der vertreter dieses volks- tumes, das a potiore dorisch heiſsen mag? und ist die entwickelung seiner sage so zu betrachten, daſs er allmählich vertreter des Hellenen- tumes geworden wäre, zuerst in Groſsgriechenland, schlieſslich aber ver- treter der menschheit? eponyme heroen der art gibt es in Hellas und bei anderen Ariern genug; semitische völker zeigen deutlicher als die Arier auch götter in solcher function. selbst Jahwe, der zuerst ein gott gewesen sein mag, der an einen bestimmten ort, den Sinai, gebunden war, hat seine bedeutung dadurch erhalten, daſs er der träger des israelitischen volkstums ward, und hat nur um den preis der zertrüm- merung dieses volkstumes ein gott der welt werden können. es kann aussichtsvoll erscheinen, Herakles in dieser nationalen weise erklären zu wollen. denn gewesen ist er allerdings vertreter der Dorer, und die jahrhunderte 8 bis 6 haben seine sage ganz vorwiegend nach dieser seite ausgestaltet. unübersehbar ist die masse dieser sagen, reichste fülle geschichtlicher überlieferung birgt sich in ihnen. der zusammenhang, in 25) 26) Entsprechend ihrer geringeren geistigen kraft und selbständigkeit kommen die Thessaler am wenigsten in betracht, obwol gerade Thessalos selbst ein Herakles- sohn ist, Boiotos nicht. im Peloponnes ist das verhältnis ähnlich zwischen Argos Korinth einerseits, Sparta Kreta andererseits. für die Heraklessage haben die süd- lichen Dorer fast nichts geleistet. 25) festzusetzen versucht haben. gerade auf der île de la Camargue soll ein Herakleia gelegen haben. CIL XII p. 500.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/297>, abgerufen am 27.04.2024.