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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Verfassung der Demotioniden.
bedeutung des alten dörflichen heiligtums herstellen wollte, und dem
Dekeleerhause, dem von alters her die prüfung der neueintretenden zufiel,
zwar dies vorrecht erhalten, aber grössere garantien für die pünktliche
ausübung der prüfung schaffen wollte. darunter befand sich für einen fall
die übrigens durch die gefahr einer sehr hohen strafe stark erschwerte
appellation an das plenum der bruderschaft. für den augenblick ordnung
zu schaffen, war eine summarische aburteilung der noch restierenden un-
geprüft eingeführten brüder durch das plenum nicht zu umgehn gewesen.
es war alles fertig; Hierokles hatte seinem wolstilisirten antrage sogar
schon die verordnung der publication angehängt. aber auf der ver-
sammlung gieng es nicht so glatt; sie mochte durch die prüfung, die so-
fort nach Hierokles antrage erfolgte, lust bekommen haben, die sache
selbst in der hand zu behalten. Nikodemos stand auf, schloss sich zwar
in allem übrigen dem vorredner an, aber mit dem alten rechte des Deke-
leerhauses räumte er auf, obwol er selbst aus dem demos Dekeleia war. 7)
es sollten gar keine vorrechte mehr bestehn, am wenigsten für die leute,
die mit Sparta sich gut gestanden hatten. die beste garantie war schon
in der alten bestimmung gegeben, dass 3 zeugen bei der einführung zu
nennen waren: wenn das nicht beliebige leute, sondern die nächsten
bekannten des einzuführenden waren, mussten sie unterrichtet sein. und
die vorprüfung fiel wieder diesen wolunterrichteten, an die man sich in
fällen sträflicher nachsicht halten konnte, weit besser zu als dem Deke-
leerhause. so beseitigte er dieses und ersetzte es durch die thiasoi. das
fand den beifall der bruderschaft, ward mit dem beschlusse des Hierokles,
von dem ja noch sehr viel gültig blieb, aufgezeichnet, und danach haben
die Demotioniden gewirtschaftet, so lange die phratrie nicht in vergessen-
heit geriet.

Die urkunden sind vollkommen verständlich, sollte ich meinen. dass
wir lediglich durch sie eine sichere kenntnis aller bruderschaften er-
langen sollten, ist zu viel verlangt. aber einiges ist doch sicher, anderes
lässt sich vermuten. die Demotioniden zerfielen schon vor 396 in cult-
genossenschaften unbestimmter zahl und verschiedener grösse. ohne jede
spur gentilicischer verbindung, auch nur in der fiction, wurden sie aus-
schliesslich durch die verehrung desselben gottes oder heros zusammen-
gehalten. wie sie zu diesen überirdischen mächten in beziehung ge-
treten waren, wie sie sie pflegten, ist vollkommen dunkel: wir können
auch eine urkunde eines solchen thiasos von irgend einer beliebigen

7) CIA II 1982--84. 4213 stehn träger des namens aus Dekeleia.

Verfassung der Demotioniden.
bedeutung des alten dörflichen heiligtums herstellen wollte, und dem
Dekeleerhause, dem von alters her die prüfung der neueintretenden zufiel,
zwar dies vorrecht erhalten, aber gröſsere garantien für die pünktliche
ausübung der prüfung schaffen wollte. darunter befand sich für einen fall
die übrigens durch die gefahr einer sehr hohen strafe stark erschwerte
appellation an das plenum der bruderschaft. für den augenblick ordnung
zu schaffen, war eine summarische aburteilung der noch restierenden un-
geprüft eingeführten brüder durch das plenum nicht zu umgehn gewesen.
es war alles fertig; Hierokles hatte seinem wolstilisirten antrage sogar
schon die verordnung der publication angehängt. aber auf der ver-
sammlung gieng es nicht so glatt; sie mochte durch die prüfung, die so-
fort nach Hierokles antrage erfolgte, lust bekommen haben, die sache
selbst in der hand zu behalten. Nikodemos stand auf, schloſs sich zwar
in allem übrigen dem vorredner an, aber mit dem alten rechte des Deke-
leerhauses räumte er auf, obwol er selbst aus dem demos Dekeleia war. 7)
es sollten gar keine vorrechte mehr bestehn, am wenigsten für die leute,
die mit Sparta sich gut gestanden hatten. die beste garantie war schon
in der alten bestimmung gegeben, daſs 3 zeugen bei der einführung zu
nennen waren: wenn das nicht beliebige leute, sondern die nächsten
bekannten des einzuführenden waren, muſsten sie unterrichtet sein. und
die vorprüfung fiel wieder diesen wolunterrichteten, an die man sich in
fällen sträflicher nachsicht halten konnte, weit besser zu als dem Deke-
leerhause. so beseitigte er dieses und ersetzte es durch die thiasoi. das
fand den beifall der bruderschaft, ward mit dem beschlusse des Hierokles,
von dem ja noch sehr viel gültig blieb, aufgezeichnet, und danach haben
die Demotioniden gewirtschaftet, so lange die phratrie nicht in vergessen-
heit geriet.

Die urkunden sind vollkommen verständlich, sollte ich meinen. daſs
wir lediglich durch sie eine sichere kenntnis aller bruderschaften er-
langen sollten, ist zu viel verlangt. aber einiges ist doch sicher, anderes
läſst sich vermuten. die Demotioniden zerfielen schon vor 396 in cult-
genossenschaften unbestimmter zahl und verschiedener gröſse. ohne jede
spur gentilicischer verbindung, auch nur in der fiction, wurden sie aus-
schlieſslich durch die verehrung desselben gottes oder heros zusammen-
gehalten. wie sie zu diesen überirdischen mächten in beziehung ge-
treten waren, wie sie sie pflegten, ist vollkommen dunkel: wir können
auch eine urkunde eines solchen thiasos von irgend einer beliebigen

7) CIA II 1982—84. 4213 stehn träger des namens aus Dekeleia.
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[265/0275] Verfassung der Demotioniden. bedeutung des alten dörflichen heiligtums herstellen wollte, und dem Dekeleerhause, dem von alters her die prüfung der neueintretenden zufiel, zwar dies vorrecht erhalten, aber gröſsere garantien für die pünktliche ausübung der prüfung schaffen wollte. darunter befand sich für einen fall die übrigens durch die gefahr einer sehr hohen strafe stark erschwerte appellation an das plenum der bruderschaft. für den augenblick ordnung zu schaffen, war eine summarische aburteilung der noch restierenden un- geprüft eingeführten brüder durch das plenum nicht zu umgehn gewesen. es war alles fertig; Hierokles hatte seinem wolstilisirten antrage sogar schon die verordnung der publication angehängt. aber auf der ver- sammlung gieng es nicht so glatt; sie mochte durch die prüfung, die so- fort nach Hierokles antrage erfolgte, lust bekommen haben, die sache selbst in der hand zu behalten. Nikodemos stand auf, schloſs sich zwar in allem übrigen dem vorredner an, aber mit dem alten rechte des Deke- leerhauses räumte er auf, obwol er selbst aus dem demos Dekeleia war. 7) es sollten gar keine vorrechte mehr bestehn, am wenigsten für die leute, die mit Sparta sich gut gestanden hatten. die beste garantie war schon in der alten bestimmung gegeben, daſs 3 zeugen bei der einführung zu nennen waren: wenn das nicht beliebige leute, sondern die nächsten bekannten des einzuführenden waren, muſsten sie unterrichtet sein. und die vorprüfung fiel wieder diesen wolunterrichteten, an die man sich in fällen sträflicher nachsicht halten konnte, weit besser zu als dem Deke- leerhause. so beseitigte er dieses und ersetzte es durch die thiasoi. das fand den beifall der bruderschaft, ward mit dem beschlusse des Hierokles, von dem ja noch sehr viel gültig blieb, aufgezeichnet, und danach haben die Demotioniden gewirtschaftet, so lange die phratrie nicht in vergessen- heit geriet. Die urkunden sind vollkommen verständlich, sollte ich meinen. daſs wir lediglich durch sie eine sichere kenntnis aller bruderschaften er- langen sollten, ist zu viel verlangt. aber einiges ist doch sicher, anderes läſst sich vermuten. die Demotioniden zerfielen schon vor 396 in cult- genossenschaften unbestimmter zahl und verschiedener gröſse. ohne jede spur gentilicischer verbindung, auch nur in der fiction, wurden sie aus- schlieſslich durch die verehrung desselben gottes oder heros zusammen- gehalten. wie sie zu diesen überirdischen mächten in beziehung ge- treten waren, wie sie sie pflegten, ist vollkommen dunkel: wir können auch eine urkunde eines solchen thiasos von irgend einer beliebigen 7) CIA II 1982—84. 4213 stehn träger des namens aus Dekeleia.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/275>, abgerufen am 26.04.2024.