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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die vollendung der demokratie.
Kimons landesverweisung geschlagenen partei scheute nicht vor dem
meuchelmord zurück, der den Ephialtes beseitigte, noch vor der con-
spiration mit dem landesfeinde, den sie freilich in den Spartiaten nicht
sehen mochten und noch nicht zu sehen brauchten. aber die vater-
landsliebe überwog denn doch im entscheidenden momente. als bald
nach der änderung der archontenwahl, kurz vor der vollendung der
schenkelmauern ein peloponnesisches heer bei Tanagra an der grenze
Attikas erschien, hat die attische aristokratische partei, bei der Kimon
selbst in ritterlicher weise seinen einfluss geltend machte, in kampf und
tod den flecken von ihrem ehrenschilde abgewaschen. aber auf die
inneren verhältnisse hat sie keinen einfluss gehabt. ihre söhne, nicht
mehr aristokraten, sondern oligarchen, sind minder zurückhaltend ge-
wesen; sie führten 411 und 404 dieselben schlagwörter im munde. aber
es waren phrasen geworden; die 'väterliche verfassung' war tot, und
die sie herzustellen versprachen haben nur die geschichte Athens mit dem
blute vieler und mit dem eigenen befleckt.

Leider, so muss man sagen, waren die kimonischen traditionen
nicht eben so machtlos in der äusseren politik. freilich als er aus Athen
wich, nahm man den kampf mit Sparta, oder da dieses zur zeit macht-
los schien, mit seinen verbündeten, Korinth an der spitze, nicht nur
auf, sondern schuf sich durch den bund mit Argos eine operationsbasis
für die bezwingung des Peloponneses, und gelangte auch dazu, Aegina
endlich ganz in eigne hand zu bringen und an mehreren ecken des
Peloponneses fuss zu fassen. gleichzeitig gieng man gegen die delphische
Amphiktionie vor, die ein äusseres band um die nordgriechischen stämme
schlang, und hier gelang trotz dem für die peloponnesischen waffen
ruhmvollen tage von Tanagra die unterwerfung fast völlig. die eine
hälfte des programms der jungen, herrschaft in Hellas, schien sich zu
verwirklichen, ja sie hätte sich verwirklicht, so gut wie sie es im Reiche
tat, wenn die jungen in allem die majorität gehabt hätten. aber das
notwendige complement, friede mit Persien, wagte man nicht einmal
laut zu fordern. dazu waren die erinnerungen an 479 noch zu stark,
und wenn auch bürgerkrieg kein griechisches wort ist, mit dem die
modernen rasch bei der hand sind um die athenische politik zu stigma-
tisiren, so hatte der kampf wider die barbaren doch einen ganz andern
reiz als der wider die Boeoter. so kam es zu dem unverantwortlichen
wagnis, mitten in dem schwersten hellenischen kriege den abtrünnigen
vasallen des Grosskönigs in Kypros und Persien zu hilfe zu kommen.
einmal engagirt, fand man nicht den entschluss zum rückzuge, und so

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 7

Die vollendung der demokratie.
Kimons landesverweisung geschlagenen partei scheute nicht vor dem
meuchelmord zurück, der den Ephialtes beseitigte, noch vor der con-
spiration mit dem landesfeinde, den sie freilich in den Spartiaten nicht
sehen mochten und noch nicht zu sehen brauchten. aber die vater-
landsliebe überwog denn doch im entscheidenden momente. als bald
nach der änderung der archontenwahl, kurz vor der vollendung der
schenkelmauern ein peloponnesisches heer bei Tanagra an der grenze
Attikas erschien, hat die attische aristokratische partei, bei der Kimon
selbst in ritterlicher weise seinen einfluſs geltend machte, in kampf und
tod den flecken von ihrem ehrenschilde abgewaschen. aber auf die
inneren verhältnisse hat sie keinen einfluſs gehabt. ihre söhne, nicht
mehr aristokraten, sondern oligarchen, sind minder zurückhaltend ge-
wesen; sie führten 411 und 404 dieselben schlagwörter im munde. aber
es waren phrasen geworden; die ‘väterliche verfassung’ war tot, und
die sie herzustellen versprachen haben nur die geschichte Athens mit dem
blute vieler und mit dem eigenen befleckt.

Leider, so muſs man sagen, waren die kimonischen traditionen
nicht eben so machtlos in der äuſseren politik. freilich als er aus Athen
wich, nahm man den kampf mit Sparta, oder da dieses zur zeit macht-
los schien, mit seinen verbündeten, Korinth an der spitze, nicht nur
auf, sondern schuf sich durch den bund mit Argos eine operationsbasis
für die bezwingung des Peloponneses, und gelangte auch dazu, Aegina
endlich ganz in eigne hand zu bringen und an mehreren ecken des
Peloponneses fuſs zu fassen. gleichzeitig gieng man gegen die delphische
Amphiktionie vor, die ein äuſseres band um die nordgriechischen stämme
schlang, und hier gelang trotz dem für die peloponnesischen waffen
ruhmvollen tage von Tanagra die unterwerfung fast völlig. die eine
hälfte des programms der jungen, herrschaft in Hellas, schien sich zu
verwirklichen, ja sie hätte sich verwirklicht, so gut wie sie es im Reiche
tat, wenn die jungen in allem die majorität gehabt hätten. aber das
notwendige complement, friede mit Persien, wagte man nicht einmal
laut zu fordern. dazu waren die erinnerungen an 479 noch zu stark,
und wenn auch bürgerkrieg kein griechisches wort ist, mit dem die
modernen rasch bei der hand sind um die athenische politik zu stigma-
tisiren, so hatte der kampf wider die barbaren doch einen ganz andern
reiz als der wider die Boeoter. so kam es zu dem unverantwortlichen
wagnis, mitten in dem schwersten hellenischen kriege den abtrünnigen
vasallen des Groſskönigs in Kypros und Persien zu hilfe zu kommen.
einmal engagirt, fand man nicht den entschluſs zum rückzuge, und so

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 7
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[97/0107] Die vollendung der demokratie. Kimons landesverweisung geschlagenen partei scheute nicht vor dem meuchelmord zurück, der den Ephialtes beseitigte, noch vor der con- spiration mit dem landesfeinde, den sie freilich in den Spartiaten nicht sehen mochten und noch nicht zu sehen brauchten. aber die vater- landsliebe überwog denn doch im entscheidenden momente. als bald nach der änderung der archontenwahl, kurz vor der vollendung der schenkelmauern ein peloponnesisches heer bei Tanagra an der grenze Attikas erschien, hat die attische aristokratische partei, bei der Kimon selbst in ritterlicher weise seinen einfluſs geltend machte, in kampf und tod den flecken von ihrem ehrenschilde abgewaschen. aber auf die inneren verhältnisse hat sie keinen einfluſs gehabt. ihre söhne, nicht mehr aristokraten, sondern oligarchen, sind minder zurückhaltend ge- wesen; sie führten 411 und 404 dieselben schlagwörter im munde. aber es waren phrasen geworden; die ‘väterliche verfassung’ war tot, und die sie herzustellen versprachen haben nur die geschichte Athens mit dem blute vieler und mit dem eigenen befleckt. Leider, so muſs man sagen, waren die kimonischen traditionen nicht eben so machtlos in der äuſseren politik. freilich als er aus Athen wich, nahm man den kampf mit Sparta, oder da dieses zur zeit macht- los schien, mit seinen verbündeten, Korinth an der spitze, nicht nur auf, sondern schuf sich durch den bund mit Argos eine operationsbasis für die bezwingung des Peloponneses, und gelangte auch dazu, Aegina endlich ganz in eigne hand zu bringen und an mehreren ecken des Peloponneses fuſs zu fassen. gleichzeitig gieng man gegen die delphische Amphiktionie vor, die ein äuſseres band um die nordgriechischen stämme schlang, und hier gelang trotz dem für die peloponnesischen waffen ruhmvollen tage von Tanagra die unterwerfung fast völlig. die eine hälfte des programms der jungen, herrschaft in Hellas, schien sich zu verwirklichen, ja sie hätte sich verwirklicht, so gut wie sie es im Reiche tat, wenn die jungen in allem die majorität gehabt hätten. aber das notwendige complement, friede mit Persien, wagte man nicht einmal laut zu fordern. dazu waren die erinnerungen an 479 noch zu stark, und wenn auch bürgerkrieg kein griechisches wort ist, mit dem die modernen rasch bei der hand sind um die athenische politik zu stigma- tisiren, so hatte der kampf wider die barbaren doch einen ganz andern reiz als der wider die Boeoter. so kam es zu dem unverantwortlichen wagnis, mitten in dem schwersten hellenischen kriege den abtrünnigen vasallen des Groſskönigs in Kypros und Persien zu hilfe zu kommen. einmal engagirt, fand man nicht den entschluſs zum rückzuge, und so v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 7

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/107>, abgerufen am 27.04.2024.