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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Ephialtes. die vollendung der demokratie.
lange aufgestauten demokratischen wasser einen nur zu stürmischen lauf.
es sind die eigentlich entscheidenden jahre für Hellas, in denen sowol die
athenische demokratie ihre vollendung erhalten hat wie auch das attische
Reich: beides ewig denkwürdige gebilde; gleichzeitig aber hat Athen soDie vollen-
dung der
demokratie.

viele und so schwere kämpfe nach aussen geführt, dass es sowol dem
ruin wie dem vollsten triumphe ganz nahe gekommen ist. es sind wie
die entscheidenden, so leider auch die am schwersten kenntlichen jahre;
obwol die zeitrechnung der kriegerischen ereignisse sich mit befriedigen-
der sicherheit feststellen lässt und eine anzahl politischer reformen nun-
mehr auch an bestimmte jahre gebunden werden kann, fehlt es nur zu
sehr an concreten tatsachen und gänzlich an einem zusammenhängenden
berichte. nur die grundlinien der entwickelung lassen sich ziehen.

An die stelle des Areopages trat als centralinstanz der verwaltung
der rat der 500, die gemeindevertretung Athens. erst jetzt sind für
ihn die diaeten eingeführt, die einfach notwendig waren, wenn die
ratsherren das ganze jahr in der stadt leben33) sollten. im rate lag die
gesammte finanzverwaltung; nach wenig jahren zog man auch die
reichscasse nach Athen. dem rate fiel die controlle der beamten zu,
aller mit ausnahme der feldherren: die magistratur war zu einem organe
des rates geworden. die archonten, die candidaten zum Areopag, ver-
loren auch die letzte beschränkung durch den census: jeder waffen-
fähige, jeder bauer, der ein joch ochsen im stalle hatte, konnte sich zur
losung melden. diese neuerung hat besonders viel erregung verursacht,
aber sie war eine ganz gerechtfertigte consequenz der degradation der
magistratur und des Areopags. auch für die geschworenen ward ein
bescheidener sold bewilligt: das war die notwendige consequenz davon,
dass man die privatprocesse der bündner nach Athen zog, und dass die
grenze, bei welcher der magistrat nicht ohne zuziehung von geschwornen
das urteil finden durfte, immer tiefer gesteckt ward; das einzelne ist uns
unbekannt. aber wol sehen wir, dass ein neues gerichtshaus nach dem
andern gebaut werden muss, und dass in den statuten, die Athen bei
der oder jener gelegenheit den einzelnen Reichstädten aufzwingt, die

33) Wenn man dem rate diaeten zugestand, so war das bedürfnis dazu hervor-
getreten, d. h. es hatten die ratsherren in folge der vermehrten geschäftslast zu
häufig gefehlt. die prytanen, die doch wol schon eher in permanenz gewesen sind,
werden naturalverpflegung erhalten haben. es folgt, dass der rat in älterer zeit
nicht nur nicht täglich, wie später, sondern selten plenarsitzungen hielt. auch das
volk wird erst jetzt regelmässig in jeder der drei zehntägigen wochen eine sitzung
gehalten haben.

Ephialtes. die vollendung der demokratie.
lange aufgestauten demokratischen wasser einen nur zu stürmischen lauf.
es sind die eigentlich entscheidenden jahre für Hellas, in denen sowol die
athenische demokratie ihre vollendung erhalten hat wie auch das attische
Reich: beides ewig denkwürdige gebilde; gleichzeitig aber hat Athen soDie vollen-
dung der
demokratie.

viele und so schwere kämpfe nach auſsen geführt, daſs es sowol dem
ruin wie dem vollsten triumphe ganz nahe gekommen ist. es sind wie
die entscheidenden, so leider auch die am schwersten kenntlichen jahre;
obwol die zeitrechnung der kriegerischen ereignisse sich mit befriedigen-
der sicherheit feststellen läſst und eine anzahl politischer reformen nun-
mehr auch an bestimmte jahre gebunden werden kann, fehlt es nur zu
sehr an concreten tatsachen und gänzlich an einem zusammenhängenden
berichte. nur die grundlinien der entwickelung lassen sich ziehen.

An die stelle des Areopages trat als centralinstanz der verwaltung
der rat der 500, die gemeindevertretung Athens. erst jetzt sind für
ihn die diaeten eingeführt, die einfach notwendig waren, wenn die
ratsherren das ganze jahr in der stadt leben33) sollten. im rate lag die
gesammte finanzverwaltung; nach wenig jahren zog man auch die
reichscasse nach Athen. dem rate fiel die controlle der beamten zu,
aller mit ausnahme der feldherren: die magistratur war zu einem organe
des rates geworden. die archonten, die candidaten zum Areopag, ver-
loren auch die letzte beschränkung durch den census: jeder waffen-
fähige, jeder bauer, der ein joch ochsen im stalle hatte, konnte sich zur
losung melden. diese neuerung hat besonders viel erregung verursacht,
aber sie war eine ganz gerechtfertigte consequenz der degradation der
magistratur und des Areopags. auch für die geschworenen ward ein
bescheidener sold bewilligt: das war die notwendige consequenz davon,
daſs man die privatprocesse der bündner nach Athen zog, und daſs die
grenze, bei welcher der magistrat nicht ohne zuziehung von geschwornen
das urteil finden durfte, immer tiefer gesteckt ward; das einzelne ist uns
unbekannt. aber wol sehen wir, daſs ein neues gerichtshaus nach dem
andern gebaut werden muſs, und daſs in den statuten, die Athen bei
der oder jener gelegenheit den einzelnen Reichstädten aufzwingt, die

33) Wenn man dem rate diaeten zugestand, so war das bedürfnis dazu hervor-
getreten, d. h. es hatten die ratsherren in folge der vermehrten geschäftslast zu
häufig gefehlt. die prytanen, die doch wol schon eher in permanenz gewesen sind,
werden naturalverpflegung erhalten haben. es folgt, daſs der rat in älterer zeit
nicht nur nicht täglich, wie später, sondern selten plenarsitzungen hielt. auch das
volk wird erst jetzt regelmäſsig in jeder der drei zehntägigen wochen eine sitzung
gehalten haben.
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[95/0105] Ephialtes. die vollendung der demokratie. lange aufgestauten demokratischen wasser einen nur zu stürmischen lauf. es sind die eigentlich entscheidenden jahre für Hellas, in denen sowol die athenische demokratie ihre vollendung erhalten hat wie auch das attische Reich: beides ewig denkwürdige gebilde; gleichzeitig aber hat Athen so viele und so schwere kämpfe nach auſsen geführt, daſs es sowol dem ruin wie dem vollsten triumphe ganz nahe gekommen ist. es sind wie die entscheidenden, so leider auch die am schwersten kenntlichen jahre; obwol die zeitrechnung der kriegerischen ereignisse sich mit befriedigen- der sicherheit feststellen läſst und eine anzahl politischer reformen nun- mehr auch an bestimmte jahre gebunden werden kann, fehlt es nur zu sehr an concreten tatsachen und gänzlich an einem zusammenhängenden berichte. nur die grundlinien der entwickelung lassen sich ziehen. Die vollen- dung der demokratie. An die stelle des Areopages trat als centralinstanz der verwaltung der rat der 500, die gemeindevertretung Athens. erst jetzt sind für ihn die diaeten eingeführt, die einfach notwendig waren, wenn die ratsherren das ganze jahr in der stadt leben 33) sollten. im rate lag die gesammte finanzverwaltung; nach wenig jahren zog man auch die reichscasse nach Athen. dem rate fiel die controlle der beamten zu, aller mit ausnahme der feldherren: die magistratur war zu einem organe des rates geworden. die archonten, die candidaten zum Areopag, ver- loren auch die letzte beschränkung durch den census: jeder waffen- fähige, jeder bauer, der ein joch ochsen im stalle hatte, konnte sich zur losung melden. diese neuerung hat besonders viel erregung verursacht, aber sie war eine ganz gerechtfertigte consequenz der degradation der magistratur und des Areopags. auch für die geschworenen ward ein bescheidener sold bewilligt: das war die notwendige consequenz davon, daſs man die privatprocesse der bündner nach Athen zog, und daſs die grenze, bei welcher der magistrat nicht ohne zuziehung von geschwornen das urteil finden durfte, immer tiefer gesteckt ward; das einzelne ist uns unbekannt. aber wol sehen wir, daſs ein neues gerichtshaus nach dem andern gebaut werden muſs, und daſs in den statuten, die Athen bei der oder jener gelegenheit den einzelnen Reichstädten aufzwingt, die 33) Wenn man dem rate diaeten zugestand, so war das bedürfnis dazu hervor- getreten, d. h. es hatten die ratsherren in folge der vermehrten geschäftslast zu häufig gefehlt. die prytanen, die doch wol schon eher in permanenz gewesen sind, werden naturalverpflegung erhalten haben. es folgt, daſs der rat in älterer zeit nicht nur nicht täglich, wie später, sondern selten plenarsitzungen hielt. auch das volk wird erst jetzt regelmäſsig in jeder der drei zehntägigen wochen eine sitzung gehalten haben.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/105>, abgerufen am 26.04.2024.