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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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3.
DIE POLITIE DER ATHENER VON PEISISTRATOS
BIS EPHIALTES.


Athen in der
tyrannen-
zeit.
Wer jetzt auf der burg von Athen wandelt, dem stellt sich als eine
schöne lösbare aufgabe dar, das Athen der tyrannenzeit in seiner zu-
ständlichkeit zu schildern. leibhaft sieht man die menschen jener gesell-
schaft vor sich, und, was mehr bedeutet, man kann empfinden, wofür
sie leben, wo sie ihren schatz und ihr herz haben. es geht ihnen gut
und sie geniessen ihr leben. sie haben an ihrer eignen existenz freude
und suchen die eudaimonia im olbos. es ist eine zeit, geschlagen in
enge fesseln der convention und der mode; vielleicht merkt man nur
ex eventu, dass vieles überlebte da ist, und ein neues leben sich zu regen
beginnt, das diese fesseln sprengen wird. den ungeheuren umschwung
der Perserkriege und der demokratischen arete schätzt man nirgend
so richtig, wie wenn man im sechsten jahrhundert wandelt. schon die
heroische naktheit des Harmodios erscheint wie ein protest gegen die
ceremoniöse toilette eines Aristion. dass die jünglinge und mädchen
des Parthenonfrieses grossmütter und väter gehabt haben sollen, die sich
anzogen wie die korai, die unsere archaeologische jugend so hübsch
als tanten bezeichnet hat, sich einen lockenkranz um die schläfen frisiren
liessen und die arme mit ekelhafter grazie weit vom leibe hielten, damit
die geknifften fältchen der mantillenkanten nicht zerknautscht würden,
muss man sich mühsam klar machen. es riecht alles nach truphe
Ionike, nach mura und abros bios.1) und doch wie sauber und

1) Das zwölfte buch des Athenaeus handelt über die truphe; historiker schon
des vierten jahrhunderts, peripatetiker und andere philosophen sind die hauptquellen.
wer genauer zusieht, wird in sehr vielem lediglich den niederschlag der sinnesart
finden, die mit den Perserkriegen aufkommt und der ganz besonders die tracht, aber
überhaupt die lebensführung der archaischen zeit als truphe erscheint. in der tracht
gewisser stände, wie der priester und der musiker, im costume der tragoedie, dann
3.
DIE POLITIE DER ATHENER VON PEISISTRATOS
BIS EPHIALTES.


Athen in der
tyrannen-
zeit.
Wer jetzt auf der burg von Athen wandelt, dem stellt sich als eine
schöne lösbare aufgabe dar, das Athen der tyrannenzeit in seiner zu-
ständlichkeit zu schildern. leibhaft sieht man die menschen jener gesell-
schaft vor sich, und, was mehr bedeutet, man kann empfinden, wofür
sie leben, wo sie ihren schatz und ihr herz haben. es geht ihnen gut
und sie genieſsen ihr leben. sie haben an ihrer eignen existenz freude
und suchen die εὐδαιμονία im ὄλβος. es ist eine zeit, geschlagen in
enge fesseln der convention und der mode; vielleicht merkt man nur
ex eventu, daſs vieles überlebte da ist, und ein neues leben sich zu regen
beginnt, das diese fesseln sprengen wird. den ungeheuren umschwung
der Perserkriege und der demokratischen ἀϱετή schätzt man nirgend
so richtig, wie wenn man im sechsten jahrhundert wandelt. schon die
heroische naktheit des Harmodios erscheint wie ein protest gegen die
ceremoniöse toilette eines Aristion. daſs die jünglinge und mädchen
des Parthenonfrieses groſsmütter und väter gehabt haben sollen, die sich
anzogen wie die κόϱαι, die unsere archaeologische jugend so hübsch
als tanten bezeichnet hat, sich einen lockenkranz um die schläfen frisiren
lieſsen und die arme mit ekelhafter grazie weit vom leibe hielten, damit
die geknifften fältchen der mantillenkanten nicht zerknautscht würden,
muſs man sich mühsam klar machen. es riecht alles nach τϱυφὴ
Ἰωνική, nach μύϱα und ἁβϱὸς βίος.1) und doch wie sauber und

1) Das zwölfte buch des Athenaeus handelt über die τϱυφή; historiker schon
des vierten jahrhunderts, peripatetiker und andere philosophen sind die hauptquellen.
wer genauer zusieht, wird in sehr vielem lediglich den niederschlag der sinnesart
finden, die mit den Perserkriegen aufkommt und der ganz besonders die tracht, aber
überhaupt die lebensführung der archaischen zeit als τϱυφή erscheint. in der tracht
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[[68]/0078] 3. DIE POLITIE DER ATHENER VON PEISISTRATOS BIS EPHIALTES. Wer jetzt auf der burg von Athen wandelt, dem stellt sich als eine schöne lösbare aufgabe dar, das Athen der tyrannenzeit in seiner zu- ständlichkeit zu schildern. leibhaft sieht man die menschen jener gesell- schaft vor sich, und, was mehr bedeutet, man kann empfinden, wofür sie leben, wo sie ihren schatz und ihr herz haben. es geht ihnen gut und sie genieſsen ihr leben. sie haben an ihrer eignen existenz freude und suchen die εὐδαιμονία im ὄλβος. es ist eine zeit, geschlagen in enge fesseln der convention und der mode; vielleicht merkt man nur ex eventu, daſs vieles überlebte da ist, und ein neues leben sich zu regen beginnt, das diese fesseln sprengen wird. den ungeheuren umschwung der Perserkriege und der demokratischen ἀϱετή schätzt man nirgend so richtig, wie wenn man im sechsten jahrhundert wandelt. schon die heroische naktheit des Harmodios erscheint wie ein protest gegen die ceremoniöse toilette eines Aristion. daſs die jünglinge und mädchen des Parthenonfrieses groſsmütter und väter gehabt haben sollen, die sich anzogen wie die κόϱαι, die unsere archaeologische jugend so hübsch als tanten bezeichnet hat, sich einen lockenkranz um die schläfen frisiren lieſsen und die arme mit ekelhafter grazie weit vom leibe hielten, damit die geknifften fältchen der mantillenkanten nicht zerknautscht würden, muſs man sich mühsam klar machen. es riecht alles nach τϱυφὴ Ἰωνική, nach μύϱα und ἁβϱὸς βίος. 1) und doch wie sauber und Athen in der tyrannen- zeit. 1) Das zwölfte buch des Athenaeus handelt über die τϱυφή; historiker schon des vierten jahrhunderts, peripatetiker und andere philosophen sind die hauptquellen. wer genauer zusieht, wird in sehr vielem lediglich den niederschlag der sinnesart finden, die mit den Perserkriegen aufkommt und der ganz besonders die tracht, aber überhaupt die lebensführung der archaischen zeit als τϱυφή erscheint. in der tracht gewisser stände, wie der priester und der musiker, im costume der tragoedie, dann

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [68]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/78>, abgerufen am 21.11.2024.