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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 4. Drakons verfassung.
haushaltes notwendig ist. und es ist eine einfache und verständige
gliederung dieser stände, dass der bauer, der sein land mit der hilfe
seiner frau und des joches ochsen bestellt16), wehrhaft ist, weil er seine
volle rüstung neben seinem herde hängen hat, dass sich über dieser
breiten schicht der hopliten der berittene adel erhebt, dem seine mittel
und neigungen ein pferd zu halten verstatten, und hervorragend aus
diesem adel eine kleinere schar von grossgrundbesitzern, die sehr äusser-
lich, aber für die alten verhältnisse zureichend ein ziemlich tief gegriffener
bruttoertrag ihres ackerlandes heraushebt. diese ordnung setzt eine
starke bäuerliche bevölkerung voraus, einen von den bauern nicht eben
stark unterschiedenen ländlichen adel, wirklich grosse güter überhaupt
noch nicht. sie setzt ferner eine landwirtschaft voraus, die wesentlich
auf den körnerbau gerichtet ist; wein mag daneben stehn, aber die
ölproduction und die gartenwirtschaft, die schon um 600 in Athen vor-
waltet, passt für diese classen so wenig wie die industrie der Peisistra-
tidenzeit. der adel, d. h. die reiterei, ist gegenüber der späteren zeit,
so sportlustig diese war, unverhältnismässig stark: nur vorübergehend
in der reichsten periode, um 445, hat Athen drei hipparchen gehabt17);
411 nahm man die zweizahl zwar für die zukunft in aussicht, begnügte
sich aber für die gegenwart mit einem (30, 2. 31, 2). hier steht der
plural: das gehört sich für die ritterzeit. die reiterei ist ja nicht überall
so heruntergekommen wie in Sparta, wo die ippeis gar keine pferde
haben, aber seit statt der einfachen verpflichtung, dass der be-
sitzer eines 'rittergutes' auf eigenem pferde dienen müsste, der staat
die equi publici ständig unterhielt, d. h. einer bestimmten zahl pferde-
besitzern die unterhaltungskosten zahlte, ist die cavallerie überall an zahl
und güte gesunken; auch darin trifft die römische analogie zu. es
wundere sich also niemand über die hipparchen Drakons. der fand
freilich nicht mehr die einfachen verhältnisse vor, die allein zu den
classen passten. die meisten bauern waren von ihren gütern vertrieben
oder durch ihre verschuldung den grösseren besitzern frohnpflichtig ge-
worden; die herrschenden kreise aber hatten einen besitz, der mit dem
ertrage der 500 scheffel zum teil gar nicht getroffen ward, weil er in
hypothekenzinsen bestand, zum teil in folge ihrer grösseren güter und
intensiveren landwirtschaft eine viel höhere steuerstufe verlangte, um
die wirklich ständisch abgesonderte obere schicht zu fassen. was konnten

16) oikon men protista gunaika te boun t arotera Hesiod Erg. 403.
Aristoteles Pol. A 1252. -- e d aspis en to phepsalo kremisetai sagt Dikaiopolis.
17) Das hat die inschrift von Nikepyrgos ergeben, CIA IV p. 184.

I. 4. Drakons verfassung.
haushaltes notwendig ist. und es ist eine einfache und verständige
gliederung dieser stände, daſs der bauer, der sein land mit der hilfe
seiner frau und des joches ochsen bestellt16), wehrhaft ist, weil er seine
volle rüstung neben seinem herde hängen hat, daſs sich über dieser
breiten schicht der hopliten der berittene adel erhebt, dem seine mittel
und neigungen ein pferd zu halten verstatten, und hervorragend aus
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lich, aber für die alten verhältnisse zureichend ein ziemlich tief gegriffener
bruttoertrag ihres ackerlandes heraushebt. diese ordnung setzt eine
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stark unterschiedenen ländlichen adel, wirklich groſse güter überhaupt
noch nicht. sie setzt ferner eine landwirtschaft voraus, die wesentlich
auf den körnerbau gerichtet ist; wein mag daneben stehn, aber die
ölproduction und die gartenwirtschaft, die schon um 600 in Athen vor-
waltet, paſst für diese classen so wenig wie die industrie der Peisistra-
tidenzeit. der adel, d. h. die reiterei, ist gegenüber der späteren zeit,
so sportlustig diese war, unverhältnismäſsig stark: nur vorübergehend
in der reichsten periode, um 445, hat Athen drei hipparchen gehabt17);
411 nahm man die zweizahl zwar für die zukunft in aussicht, begnügte
sich aber für die gegenwart mit einem (30, 2. 31, 2). hier steht der
plural: das gehört sich für die ritterzeit. die reiterei ist ja nicht überall
so heruntergekommen wie in Sparta, wo die ἱππεῖς gar keine pferde
haben, aber seit statt der einfachen verpflichtung, daſs der be-
sitzer eines ‘rittergutes’ auf eigenem pferde dienen müſste, der staat
die equi publici ständig unterhielt, d. h. einer bestimmten zahl pferde-
besitzern die unterhaltungskosten zahlte, ist die cavallerie überall an zahl
und güte gesunken; auch darin trifft die römische analogie zu. es
wundere sich also niemand über die hipparchen Drakons. der fand
freilich nicht mehr die einfachen verhältnisse vor, die allein zu den
classen paſsten. die meisten bauern waren von ihren gütern vertrieben
oder durch ihre verschuldung den gröſseren besitzern frohnpflichtig ge-
worden; die herrschenden kreise aber hatten einen besitz, der mit dem
ertrage der 500 scheffel zum teil gar nicht getroffen ward, weil er in
hypothekenzinsen bestand, zum teil in folge ihrer gröſseren güter und
intensiveren landwirtschaft eine viel höhere steuerstufe verlangte, um
die wirklich ständisch abgesonderte obere schicht zu fassen. was konnten

16) οἶκον μὲν πϱώτιστα γυναῖκά τε βοῦν τ̕ ἀϱοτῆϱα Hesiod Erg. 403.
Aristoteles Pol. A 1252. — ἡ δ̕ ἀσπὶς ἐν τῷ φεψάλῳ κϱεμίσεται sagt Dikaiopolis.
17) Das hat die inschrift von Nikepyrgos ergeben, CIA IV p. 184.
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[84/0098] I. 4. Drakons verfassung. haushaltes notwendig ist. und es ist eine einfache und verständige gliederung dieser stände, daſs der bauer, der sein land mit der hilfe seiner frau und des joches ochsen bestellt 16), wehrhaft ist, weil er seine volle rüstung neben seinem herde hängen hat, daſs sich über dieser breiten schicht der hopliten der berittene adel erhebt, dem seine mittel und neigungen ein pferd zu halten verstatten, und hervorragend aus diesem adel eine kleinere schar von groſsgrundbesitzern, die sehr äuſser- lich, aber für die alten verhältnisse zureichend ein ziemlich tief gegriffener bruttoertrag ihres ackerlandes heraushebt. diese ordnung setzt eine starke bäuerliche bevölkerung voraus, einen von den bauern nicht eben stark unterschiedenen ländlichen adel, wirklich groſse güter überhaupt noch nicht. sie setzt ferner eine landwirtschaft voraus, die wesentlich auf den körnerbau gerichtet ist; wein mag daneben stehn, aber die ölproduction und die gartenwirtschaft, die schon um 600 in Athen vor- waltet, paſst für diese classen so wenig wie die industrie der Peisistra- tidenzeit. der adel, d. h. die reiterei, ist gegenüber der späteren zeit, so sportlustig diese war, unverhältnismäſsig stark: nur vorübergehend in der reichsten periode, um 445, hat Athen drei hipparchen gehabt 17); 411 nahm man die zweizahl zwar für die zukunft in aussicht, begnügte sich aber für die gegenwart mit einem (30, 2. 31, 2). hier steht der plural: das gehört sich für die ritterzeit. die reiterei ist ja nicht überall so heruntergekommen wie in Sparta, wo die ἱππεῖς gar keine pferde haben, aber seit statt der einfachen verpflichtung, daſs der be- sitzer eines ‘rittergutes’ auf eigenem pferde dienen müſste, der staat die equi publici ständig unterhielt, d. h. einer bestimmten zahl pferde- besitzern die unterhaltungskosten zahlte, ist die cavallerie überall an zahl und güte gesunken; auch darin trifft die römische analogie zu. es wundere sich also niemand über die hipparchen Drakons. der fand freilich nicht mehr die einfachen verhältnisse vor, die allein zu den classen paſsten. die meisten bauern waren von ihren gütern vertrieben oder durch ihre verschuldung den gröſseren besitzern frohnpflichtig ge- worden; die herrschenden kreise aber hatten einen besitz, der mit dem ertrage der 500 scheffel zum teil gar nicht getroffen ward, weil er in hypothekenzinsen bestand, zum teil in folge ihrer gröſseren güter und intensiveren landwirtschaft eine viel höhere steuerstufe verlangte, um die wirklich ständisch abgesonderte obere schicht zu fassen. was konnten 16) οἶκον μὲν πϱώτιστα γυναῖκά τε βοῦν τ̕ ἀϱοτῆϱα Hesiod Erg. 403. Aristoteles Pol. A 1252. — ἡ δ̕ ἀσπὶς ἐν τῷ φεψάλῳ κϱεμίσεται sagt Dikaiopolis. 17) Das hat die inschrift von Nikepyrgos ergeben, CIA IV p. 184.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/98>, abgerufen am 26.04.2024.