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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 3. Solon.
Aristoteles anders gegangen sein? und sollten die Lesbier Phainias und
Theophrast nicht an ihren Pittakos gedacht haben, der in gleicher stellung
wie Solon gewirkt und sich auch einen platz unter den Sieben weisen
errungen hatte? diese mitbewerber werden also mit sicherer hand in
einen tieferen rang verwiesen.

Es folgt die behandlung des Solon, von der wir nach dieser ein-
leitung erwarten, dass sie eine motivirte ablehnung sein muss. aber Aristo-
teles müsste ein stümperhafter schriftsteller sein, wenn er damit abbräche.
denn jene umständliche überleitung auf Solon ist nur als proparaskeue
berechtigt. wenn er nicht bloss die classe von gesetzgebern unterscheidet,
welche keine verfassung begründet haben, sondern unter diesen wieder
solche die zu hause und die in der fremde gesetze gegeben haben, so
hat das nur sinn, wenn die entsprechenden personen nachher namhaft
gemacht werden. und wirklich, es folgen auf Solon die Westhellenen
Charondas und Zaleukos und der in Theben tätige Korinther Philolaos.
es ist unbegreiflich, wie diese namen jemand vertreiben kann. freilich
hat der vortragende politisch bedeutsames nicht von ihnen zu berichten,
er schätzt sie ja nicht sehr hoch; aber eben deshalb teilt er geschicht-
liches über sie mit, gelegentlich auch ein wenig polemisirend. ganz so
hat er es vorher mit Hippodamos gehalten 37), und selbst in der Politie

erhalten, brauchten die Römer allerdings nicht nach Athen zu schicken, das konnten
sie da holen, wo sie den götterverein am forum boarium, Apollon und die sprüche
der Sibylla, schrift und mass hernahmen. aber nach griechischem vorbild sind die
XII tafeln gemacht; daran wird das misbehagen der juristen, die allenfalls indo-
germanisch, aber kein griechisch anerkennen mögen, nichts ändern. beiläufig: die
namen sugkletos und demarkhos sind neapolitanisch, das wissen wir nun, aber das
sind nur übersetzungen der römischen senatus und tribunus. aedilis heisst später
agoranomos, aber das lateinische wort ist seltsam für das amt, für die unterbeamten
der demarkhoi. da dürften vielleicht die ionischen naopoioi das vorbild geliefert
haben, und der Cerestempel eine grosse bedeutung gehabt haben. nur wissen wir
zu wenig von den italischen Chalkidiern, um bei ihnen naopoioi aufzeigen zu können.
37) B 1267b: natürlich fehlt es nicht an solchen, die dem Aristoteles mit ge-
walt den pedantismus eines wolparagraphirten collegienheftes aufzwingen, bei dem
der zuhörer einschläft. das laster der recapitulationen und der erklärungen, dass
nachdem nun der eine gedanke zu ende gedacht wäre, der andere an die reihe käme,
hat Aristoteles als vortragender lehrer allerdings besessen. aber auch das ist das
laster eines redners: als rede aufgefasst, verlieren die akroamatischen schriften sehr
viel von dem was den leser allerdings ärgert. aber beredt war Aristoteles offenbar
nur mit der feder: sonst hätte er nicht all das gleichgiltige zeug mit aufgeschrieben.
Antipatros, der an ihm die peitho bewunderte, hat damit der empfindung ausdruck
gegeben, die seine logische unüberwindlichkeit macht, es ist nicht die dulcis suadela,
sondern die peithanagke.

I. 3. Solon.
Aristoteles anders gegangen sein? und sollten die Lesbier Phainias und
Theophrast nicht an ihren Pittakos gedacht haben, der in gleicher stellung
wie Solon gewirkt und sich auch einen platz unter den Sieben weisen
errungen hatte? diese mitbewerber werden also mit sicherer hand in
einen tieferen rang verwiesen.

Es folgt die behandlung des Solon, von der wir nach dieser ein-
leitung erwarten, daſs sie eine motivirte ablehnung sein muſs. aber Aristo-
teles müſste ein stümperhafter schriftsteller sein, wenn er damit abbräche.
denn jene umständliche überleitung auf Solon ist nur als πϱοπαϱασκευή
berechtigt. wenn er nicht bloſs die classe von gesetzgebern unterscheidet,
welche keine verfassung begründet haben, sondern unter diesen wieder
solche die zu hause und die in der fremde gesetze gegeben haben, so
hat das nur sinn, wenn die entsprechenden personen nachher namhaft
gemacht werden. und wirklich, es folgen auf Solon die Westhellenen
Charondas und Zaleukos und der in Theben tätige Korinther Philolaos.
es ist unbegreiflich, wie diese namen jemand vertreiben kann. freilich
hat der vortragende politisch bedeutsames nicht von ihnen zu berichten,
er schätzt sie ja nicht sehr hoch; aber eben deshalb teilt er geschicht-
liches über sie mit, gelegentlich auch ein wenig polemisirend. ganz so
hat er es vorher mit Hippodamos gehalten 37), und selbst in der Politie

erhalten, brauchten die Römer allerdings nicht nach Athen zu schicken, das konnten
sie da holen, wo sie den götterverein am forum boarium, Apollon und die sprüche
der Sibylla, schrift und maſs hernahmen. aber nach griechischem vorbild sind die
XII tafeln gemacht; daran wird das misbehagen der juristen, die allenfalls indo-
germanisch, aber kein griechisch anerkennen mögen, nichts ändern. beiläufig: die
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sind nur übersetzungen der römischen senatus und tribunus. aedilis heiſst später
ἀγοϱανόμος, aber das lateinische wort ist seltsam für das amt, für die unterbeamten
der δήμαϱχοι. da dürften vielleicht die ionischen ναοποιοί das vorbild geliefert
haben, und der Cerestempel eine groſse bedeutung gehabt haben. nur wissen wir
zu wenig von den italischen Chalkidiern, um bei ihnen ναοποιοί aufzeigen zu können.
37) B 1267b: natürlich fehlt es nicht an solchen, die dem Aristoteles mit ge-
walt den pedantismus eines wolparagraphirten collegienheftes aufzwingen, bei dem
der zuhörer einschläft. das laster der recapitulationen und der erklärungen, daſs
nachdem nun der eine gedanke zu ende gedacht wäre, der andere an die reihe käme,
hat Aristoteles als vortragender lehrer allerdings besessen. aber auch das ist das
laster eines redners: als rede aufgefaſst, verlieren die akroamatischen schriften sehr
viel von dem was den leser allerdings ärgert. aber beredt war Aristoteles offenbar
nur mit der feder: sonst hätte er nicht all das gleichgiltige zeug mit aufgeschrieben.
Antipatros, der an ihm die πειϑώ bewunderte, hat damit der empfindung ausdruck
gegeben, die seine logische unüberwindlichkeit macht, es ist nicht die dulcis suadela,
sondern die πειϑανάγκη.
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/80>, abgerufen am 26.04.2024.