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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Themistokles.
inselfahrt des herbstes 480 viel böses blut gemacht hatten. es steht
die rhetorische antithese da, dass die Athener sich seiner als feld-
herrn, des Aristeides als berater bedient hätten.28) das würde nur wahr
sein, wenn die kriegerischen erfolge von Byzantion bis Thasos dem
Themistokles statt dem Kimon gehörten, und wenn sie das täten, hätte
er auch etwas zu tun gehabt in der zeit bis 462, die ihn Aristoteles
in Athen sein lässt. aber die antithese bliebe dennoch schielend, da ja
bei Plataiai und in Byzantion nicht Themistokles sondern Aristeides dem
Pausanias zur seite steht. und ist es nicht seltsam, dass eben derjenige,
der den feldherrn in Themistokles so hoch stellt, nur politische strategeme
von ihm erzählt? eines, aus früherer zeit, geht wenigstens die flotten-
gründung an. aber die anlage des hafens wird nicht erzählt, die stadt-
erweiterung dem Aristeides beigelegt, der mauerbau beiden. und selbst
das verdienst von Salamis wird mit versteckter bosheit geschmälert. es
soll der Areopag gewesen sein, der die Athener bei der räumung der
stadt vermochte sich auf der flotte zu sammeln, indem er ihnen einen
soldvorschuss von 8 drachmen auf den kopf zahlte "während die stra-
tegen den kopf verloren hatten und den heroldsruf "rette sich wer
kann" ausgegeben hatten." die strategen, das ist Themistokles -- der
freilich zugleich auch Areopagit war, so dass die fabel auf beiden beinen
hinkt. bekanntlich war die flotte längst mobil, ehe es zur räumung der
stadt kam, und wenn man die erzählung dadurch verständlich macht,
dass man vielmehr an eine unterstützung der flüchtenden familien denkt,
für die freilich die feldherrn nicht zu sorgen hatten, die nur verkünden
konnten, dass die stadt geräumt würde, so kommt etwas heraus, das man

partei. dann verfiel er aber der acht, so gut wie Arthmios von Zeleia oder
die emigranten von Erythrai, deren dauernde verbannung die Athener den Erythraeern
auferlegen (CIA I 9). dabei konnte er noch in mancher Griechenstadt von Asien,
konnte auch z. b. in Thessalien leben, es war ja noch vor der Eurymedonschlacht.
und sein lied trug der mund der sänger weiter, so gut wie ehedem die rhapsoden
die verse des Archilochos verbreitet hatten: es bringt die neue zeitung vom verrat
des berühmtesten mannes in aller mund. das ist die form, wie jetzt die merk-
würdigen ereignisse behandelt wurden; Solon machte eine elegie, Stesimbrotos später
ein pasquill. natürlich ist das gedicht 471/70 entstanden. am Perserhofe können
sich dann die feinde begegnet sein, Themistokles als freund des königs, Timokreon
als clown: ganz den verhältnissen entsprechend. verse verstand der sultan nicht,
aber als fresskünstler bewies ihm auch dieser Hellene die überlegenheit seiner race
(Thrasymachos bei Athen. X 416a).
28) Der sinn ist unzweifelhaft. die verdorbene stelle scheint mir nicht sicher
geheilt zu sein.

Themistokles.
inselfahrt des herbstes 480 viel böses blut gemacht hatten. es steht
die rhetorische antithese da, daſs die Athener sich seiner als feld-
herrn, des Aristeides als berater bedient hätten.28) das würde nur wahr
sein, wenn die kriegerischen erfolge von Byzantion bis Thasos dem
Themistokles statt dem Kimon gehörten, und wenn sie das täten, hätte
er auch etwas zu tun gehabt in der zeit bis 462, die ihn Aristoteles
in Athen sein läſst. aber die antithese bliebe dennoch schielend, da ja
bei Plataiai und in Byzantion nicht Themistokles sondern Aristeides dem
Pausanias zur seite steht. und ist es nicht seltsam, daſs eben derjenige,
der den feldherrn in Themistokles so hoch stellt, nur politische strategeme
von ihm erzählt? eines, aus früherer zeit, geht wenigstens die flotten-
gründung an. aber die anlage des hafens wird nicht erzählt, die stadt-
erweiterung dem Aristeides beigelegt, der mauerbau beiden. und selbst
das verdienst von Salamis wird mit versteckter bosheit geschmälert. es
soll der Areopag gewesen sein, der die Athener bei der räumung der
stadt vermochte sich auf der flotte zu sammeln, indem er ihnen einen
soldvorschuſs von 8 drachmen auf den kopf zahlte “während die stra-
tegen den kopf verloren hatten und den heroldsruf “rette sich wer
kann” ausgegeben hatten.” die strategen, das ist Themistokles — der
freilich zugleich auch Areopagit war, so daſs die fabel auf beiden beinen
hinkt. bekanntlich war die flotte längst mobil, ehe es zur räumung der
stadt kam, und wenn man die erzählung dadurch verständlich macht,
daſs man vielmehr an eine unterstützung der flüchtenden familien denkt,
für die freilich die feldherrn nicht zu sorgen hatten, die nur verkünden
konnten, daſs die stadt geräumt würde, so kommt etwas heraus, das man

partei. dann verfiel er aber der acht, so gut wie Arthmios von Zeleia oder
die emigranten von Erythrai, deren dauernde verbannung die Athener den Erythraeern
auferlegen (CIA I 9). dabei konnte er noch in mancher Griechenstadt von Asien,
konnte auch z. b. in Thessalien leben, es war ja noch vor der Eurymedonschlacht.
und sein lied trug der mund der sänger weiter, so gut wie ehedem die rhapsoden
die verse des Archilochos verbreitet hatten: es bringt die neue zeitung vom verrat
des berühmtesten mannes in aller mund. das ist die form, wie jetzt die merk-
würdigen ereignisse behandelt wurden; Solon machte eine elegie, Stesimbrotos später
ein pasquill. natürlich ist das gedicht 471/70 entstanden. am Perserhofe können
sich dann die feinde begegnet sein, Themistokles als freund des königs, Timokreon
als clown: ganz den verhältnissen entsprechend. verse verstand der sultan nicht,
aber als freſskünstler bewies ihm auch dieser Hellene die überlegenheit seiner race
(Thrasymachos bei Athen. X 416a).
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[139/0153] Themistokles. inselfahrt des herbstes 480 viel böses blut gemacht hatten. es steht die rhetorische antithese da, daſs die Athener sich seiner als feld- herrn, des Aristeides als berater bedient hätten. 28) das würde nur wahr sein, wenn die kriegerischen erfolge von Byzantion bis Thasos dem Themistokles statt dem Kimon gehörten, und wenn sie das täten, hätte er auch etwas zu tun gehabt in der zeit bis 462, die ihn Aristoteles in Athen sein läſst. aber die antithese bliebe dennoch schielend, da ja bei Plataiai und in Byzantion nicht Themistokles sondern Aristeides dem Pausanias zur seite steht. und ist es nicht seltsam, daſs eben derjenige, der den feldherrn in Themistokles so hoch stellt, nur politische strategeme von ihm erzählt? eines, aus früherer zeit, geht wenigstens die flotten- gründung an. aber die anlage des hafens wird nicht erzählt, die stadt- erweiterung dem Aristeides beigelegt, der mauerbau beiden. und selbst das verdienst von Salamis wird mit versteckter bosheit geschmälert. es soll der Areopag gewesen sein, der die Athener bei der räumung der stadt vermochte sich auf der flotte zu sammeln, indem er ihnen einen soldvorschuſs von 8 drachmen auf den kopf zahlte “während die stra- tegen den kopf verloren hatten und den heroldsruf “rette sich wer kann” ausgegeben hatten.” die strategen, das ist Themistokles — der freilich zugleich auch Areopagit war, so daſs die fabel auf beiden beinen hinkt. bekanntlich war die flotte längst mobil, ehe es zur räumung der stadt kam, und wenn man die erzählung dadurch verständlich macht, daſs man vielmehr an eine unterstützung der flüchtenden familien denkt, für die freilich die feldherrn nicht zu sorgen hatten, die nur verkünden konnten, daſs die stadt geräumt würde, so kommt etwas heraus, das man 27) 28) Der sinn ist unzweifelhaft. die verdorbene stelle scheint mir nicht sicher geheilt zu sein. 27) partei. dann verfiel er aber der acht, so gut wie Arthmios von Zeleia oder die emigranten von Erythrai, deren dauernde verbannung die Athener den Erythraeern auferlegen (CIA I 9). dabei konnte er noch in mancher Griechenstadt von Asien, konnte auch z. b. in Thessalien leben, es war ja noch vor der Eurymedonschlacht. und sein lied trug der mund der sänger weiter, so gut wie ehedem die rhapsoden die verse des Archilochos verbreitet hatten: es bringt die neue zeitung vom verrat des berühmtesten mannes in aller mund. das ist die form, wie jetzt die merk- würdigen ereignisse behandelt wurden; Solon machte eine elegie, Stesimbrotos später ein pasquill. natürlich ist das gedicht 471/70 entstanden. am Perserhofe können sich dann die feinde begegnet sein, Themistokles als freund des königs, Timokreon als clown: ganz den verhältnissen entsprechend. verse verstand der sultan nicht, aber als freſskünstler bewies ihm auch dieser Hellene die überlegenheit seiner race (Thrasymachos bei Athen. X 416a).

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/153>, abgerufen am 26.04.2024.