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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die Peisistratiden.
weil er sich dem gerichte prodosias nicht gestellt hatte, eingeschmolzen
und aus ihrem metalle eine tafel hergestellt werde, auf der die hoch-
verräter verzeichnet werden sollten. errichtet kann die tafel erst sein,
nachdem Hipparchos 480 statt heim zu kehren verräterische handlungen
begieng; errichtet kann sie auch erst sein nach 479, denn sie stand noch.
es ist dieselbe eherne tafel, auf der Thukydides die namen der Peisistratiden
las, auf der die 506 geächteten oligarchen standen, auf der dann das urteil
über Arthmios von Zeleia und noch viel später das urteil über Diagoras den
Melier und über Phrynichos und genossen eingetragen ist. ich habe früher
angenommen, dass die publication auf erz für die beschlüsse über hoch-
verräter herkömmlich gewesen wäre, und ebenso die aufstellung para ton
arkhaion neon. dann musste ein neuer tempel vorhanden sein, und so
benutzte ich das zu einem zeugnis für einen vorpersischen Parthenon.
das ist seit der entdeckung des 'alten tempels', der bis zur erbauung des
'Kimonischen' Parthenons der einzige war, nicht mehr mit den baulichen
tatsachen vereinbar.28) die sache löst sich jetzt. die eherne stele stand
neben dem arkhaios neos, aber es war eine, die einen katalog der
hochverräter enthielt, wie es anderwärts stelen für die kataloge der
euergetai oder proxenoi gab, und diese stele war erst nach 479 er-
richtet, als der bau des neuen tempels südlich von dem alten beschlossene
sache war, oder wol als man an ihm baute.

Für die beurteilung des Thukydides ist die probe, der wir seine er-
zählung an der hand des aristotelischen berichtes unterziehen können,
zu wichtig, als dass ich hier davon schweigen könnte. das muss zugegeben
werden, er gibt eine erzählung des vorfalls selbst, die eine ganze anzahl
irrtümer enthält. aber er gibt sie ausdrücklich als mündliche überlieferung.
über deren wert hat er sich getäuscht: die tradition der Philaiden, zu

also ist sein irrtum nicht wahrscheinlich. dass vielmehr unsere elende handschrift
irrt, beweist Harpokration allos de estin Ipparkhos o Kharmou os phesin Lukourgos
en to kata Leokratous, worauf ein citat aus Androtion folgt, das mit einem aus
Aristoteles verquickt ist. lediglich durch den richtigen vatersnamen, der ausdrück-
lich für Lykurg bezeugt wird, hat der grammatiker die richtige person finden können.
Hipparchos war aus Kollytos, so steht bei Aristoteles; Plutarch sagt, aus Cholargos
(Nik. 11), in einer übersicht über den ostrakismos. er oder einer seiner vorgänger
hat sich in der liste der ältesten ostrakisirten versehn: aus Cholargos war Xan-
thippos.
28) Lolling Ekatompedon 19, der die sache sonst klar stellt, kann sich dem
zeugnis nur durch den verzweiflungsausweg entziehn, dass er die bestimmung arkhaios
für einen zusatz hält. -- Kydathen 68. der ausdruck arkhaios neos hat also in
einem späteren psephisma, das die früheren urteile zusammenfasste, gestanden.
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Die Peisistratiden.
weil er sich dem gerichte πϱοδοσίας nicht gestellt hatte, eingeschmolzen
und aus ihrem metalle eine tafel hergestellt werde, auf der die hoch-
verräter verzeichnet werden sollten. errichtet kann die tafel erst sein,
nachdem Hipparchos 480 statt heim zu kehren verräterische handlungen
begieng; errichtet kann sie auch erst sein nach 479, denn sie stand noch.
es ist dieselbe eherne tafel, auf der Thukydides die namen der Peisistratiden
las, auf der die 506 geächteten oligarchen standen, auf der dann das urteil
über Arthmios von Zeleia und noch viel später das urteil über Diagoras den
Melier und über Phrynichos und genossen eingetragen ist. ich habe früher
angenommen, daſs die publication auf erz für die beschlüsse über hoch-
verräter herkömmlich gewesen wäre, und ebenso die aufstellung παϱὰ τὸν
ἀϱχαῖον νεών. dann muſste ein neuer tempel vorhanden sein, und so
benutzte ich das zu einem zeugnis für einen vorpersischen Parthenon.
das ist seit der entdeckung des ‘alten tempels’, der bis zur erbauung des
‘Kimonischen’ Parthenons der einzige war, nicht mehr mit den baulichen
tatsachen vereinbar.28) die sache löst sich jetzt. die eherne stele stand
neben dem ἀϱχαῖος νεώς, aber es war eine, die einen katalog der
hochverräter enthielt, wie es anderwärts stelen für die kataloge der
εὐεϱγέται oder πϱόξενοι gab, und diese stele war erst nach 479 er-
richtet, als der bau des neuen tempels südlich von dem alten beschlossene
sache war, oder wol als man an ihm baute.

Für die beurteilung des Thukydides ist die probe, der wir seine er-
zählung an der hand des aristotelischen berichtes unterziehen können,
zu wichtig, als daſs ich hier davon schweigen könnte. das muſs zugegeben
werden, er gibt eine erzählung des vorfalls selbst, die eine ganze anzahl
irrtümer enthält. aber er gibt sie ausdrücklich als mündliche überlieferung.
über deren wert hat er sich getäuscht: die tradition der Philaiden, zu

also ist sein irrtum nicht wahrscheinlich. daſs vielmehr unsere elende handschrift
irrt, beweist Harpokration ἄλλος δέ ἐστιν Ἵππαϱχος ὁ Χάϱμου ὥς φησιν Λυκοῦϱγος
ἐν τῷ κατὰ Λεωκϱάτους, worauf ein citat aus Androtion folgt, das mit einem aus
Aristoteles verquickt ist. lediglich durch den richtigen vatersnamen, der ausdrück-
lich für Lykurg bezeugt wird, hat der grammatiker die richtige person finden können.
Hipparchos war aus Kollytos, so steht bei Aristoteles; Plutarch sagt, aus Cholargos
(Nik. 11), in einer übersicht über den ostrakismos. er oder einer seiner vorgänger
hat sich in der liste der ältesten ostrakisirten versehn: aus Cholargos war Xan-
thippos.
28) Lolling Ἑκατόμπεδον 19, der die sache sonst klar stellt, kann sich dem
zeugnis nur durch den verzweiflungsausweg entziehn, daſs er die bestimmung ἀϱχαῖος
für einen zusatz hält. — Kydathen 68. der ausdruck ἀϱχαῖος νεώς hat also in
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[115/0129] Die Peisistratiden. weil er sich dem gerichte πϱοδοσίας nicht gestellt hatte, eingeschmolzen und aus ihrem metalle eine tafel hergestellt werde, auf der die hoch- verräter verzeichnet werden sollten. errichtet kann die tafel erst sein, nachdem Hipparchos 480 statt heim zu kehren verräterische handlungen begieng; errichtet kann sie auch erst sein nach 479, denn sie stand noch. es ist dieselbe eherne tafel, auf der Thukydides die namen der Peisistratiden las, auf der die 506 geächteten oligarchen standen, auf der dann das urteil über Arthmios von Zeleia und noch viel später das urteil über Diagoras den Melier und über Phrynichos und genossen eingetragen ist. ich habe früher angenommen, daſs die publication auf erz für die beschlüsse über hoch- verräter herkömmlich gewesen wäre, und ebenso die aufstellung παϱὰ τὸν ἀϱχαῖον νεών. dann muſste ein neuer tempel vorhanden sein, und so benutzte ich das zu einem zeugnis für einen vorpersischen Parthenon. das ist seit der entdeckung des ‘alten tempels’, der bis zur erbauung des ‘Kimonischen’ Parthenons der einzige war, nicht mehr mit den baulichen tatsachen vereinbar. 28) die sache löst sich jetzt. die eherne stele stand neben dem ἀϱχαῖος νεώς, aber es war eine, die einen katalog der hochverräter enthielt, wie es anderwärts stelen für die kataloge der εὐεϱγέται oder πϱόξενοι gab, und diese stele war erst nach 479 er- richtet, als der bau des neuen tempels südlich von dem alten beschlossene sache war, oder wol als man an ihm baute. Für die beurteilung des Thukydides ist die probe, der wir seine er- zählung an der hand des aristotelischen berichtes unterziehen können, zu wichtig, als daſs ich hier davon schweigen könnte. das muſs zugegeben werden, er gibt eine erzählung des vorfalls selbst, die eine ganze anzahl irrtümer enthält. aber er gibt sie ausdrücklich als mündliche überlieferung. über deren wert hat er sich getäuscht: die tradition der Philaiden, zu 27) 28) Lolling Ἑκατόμπεδον 19, der die sache sonst klar stellt, kann sich dem zeugnis nur durch den verzweiflungsausweg entziehn, daſs er die bestimmung ἀϱχαῖος für einen zusatz hält. — Kydathen 68. der ausdruck ἀϱχαῖος νεώς hat also in einem späteren psephisma, das die früheren urteile zusammenfaſste, gestanden. 27) also ist sein irrtum nicht wahrscheinlich. daſs vielmehr unsere elende handschrift irrt, beweist Harpokration ἄλλος δέ ἐστιν Ἵππαϱχος ὁ Χάϱμου ὥς φησιν Λυκοῦϱγος ἐν τῷ κατὰ Λεωκϱάτους, worauf ein citat aus Androtion folgt, das mit einem aus Aristoteles verquickt ist. lediglich durch den richtigen vatersnamen, der ausdrück- lich für Lykurg bezeugt wird, hat der grammatiker die richtige person finden können. Hipparchos war aus Kollytos, so steht bei Aristoteles; Plutarch sagt, aus Cholargos (Nik. 11), in einer übersicht über den ostrakismos. er oder einer seiner vorgänger hat sich in der liste der ältesten ostrakisirten versehn: aus Cholargos war Xan- thippos. 8*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/129>, abgerufen am 26.04.2024.