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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 4. Drakons verfassung.
dann die bruderschaften zum stamme, os phretre phretrephin arere,
phula de phulois. aber mit der zeit ward diese ordnung unbrauchbar.
nicht die Kynniden hatten interesse an einem fahrwege vom cap Zoster
nach der stadt, sondern die bewohner von Lamptra und Aixone. nicht
die nachkommen des Thymoites waren geeignet einen dreissigruderer zu
bemannen, sondern die bewohner des dorfes der Thymaitaden, wes ge-
schlechtes sie auch sein mochten. deshalb schuf man die organisation
der naukrarien, wie der name sagt31), zunächst für die flotte, wie sie
denn auch noch über Kleisthenes hinaus für die flotte geltung behalten
haben.32) aber die chronik sagt, dass die naukrarien überhaupt für das
steuerwesen da waren und eine casse hatten. an der spitze der nau-
krarie, die also der römischen ortstribus entspricht, stehen die naukraren:
das ist die ortsbehörde. die 48 naukrarien sind, wie es eben gieng, in
die vier phylen eingeordnet. es fehlt die staatliche behörde, die ihre
gesammtheit zusammenhält: diese lücke füllen die vier prytanen, die
tribuni. sie verhalten sich zu den vier phylenkönigen wie der archon
zum könige, aber sie sind nicht mehr patricische beamte. das organ, welches
die frohnden und steuern verteilt und einzieht, ist wol geeignet, eine
starke effective macht zu erlangen. die prytanen, die mit dem naukrarikon
argurion zu tun haben, forderten allerdings eine scharfe überwachung
bei der rechenschaftsabnahme heraus. und wenn der könig und der
archon an den rat auf dem Areshügel gebunden war, so war es ein con-
sequenter schritt, den prytanen eine vertretung der naukrarien in einem
rate zur seite zu stellen. das war ganz eben so gut eine die tribune
bindende wie die aspirationen der plebs befriedigende massregel. die
fortentwickelung ist gewesen, dass die prytanen in den rat selbst aufgiengen.
dieser erhielt selbst die macht; die plebejische magistratur war unnötig,
da der ständische gegensatz doch schon durch Drakon ein gegensatz
des census geworden war, zumal die beamten immer mehr an das volks-
gericht gefesselt wurden. die prytanen können noch nach Solon als
magistrate bestanden haben; er kann sie auch beseitigt haben: das wissen
wir nicht. was sie zu Drakons zeit sein mochten, und wie er dazu ge-

31) naukraros setzen die alten mit naukleros gleich. dann muss der rhota-
cismus, der ja in dem alten attisch analoga genug hat (klados krados, kribanos
klibanos, Kekrops Kropidai Klopidai) älter sein als die brechung des a. das ist
der fall, denn wir können nauklaros noch belegen, CIA IV p. 202. also nicht in
diesem lautwandel liegt die schwierigkeit, sondern darin, dass man naukleros in
seiner gewöhnlichen bedeutung nicht ableiten kann.
32) Vgl. das capitel 'Trittyen und Demen.'

I. 4. Drakons verfassung.
dann die bruderschaften zum stamme, ὡς φϱήτϱη φϱήτϱηφιν ἀϱήϱη,
φῦλα δὲ φύλοις. aber mit der zeit ward diese ordnung unbrauchbar.
nicht die Kynniden hatten interesse an einem fahrwege vom cap Zoster
nach der stadt, sondern die bewohner von Lamptra und Aixone. nicht
die nachkommen des Thymoites waren geeignet einen dreiſsigruderer zu
bemannen, sondern die bewohner des dorfes der Thymaitaden, wes ge-
schlechtes sie auch sein mochten. deshalb schuf man die organisation
der naukrarien, wie der name sagt31), zunächst für die flotte, wie sie
denn auch noch über Kleisthenes hinaus für die flotte geltung behalten
haben.32) aber die chronik sagt, daſs die naukrarien überhaupt für das
steuerwesen da waren und eine casse hatten. an der spitze der nau-
krarie, die also der römischen ortstribus entspricht, stehen die naukraren:
das ist die ortsbehörde. die 48 naukrarien sind, wie es eben gieng, in
die vier phylen eingeordnet. es fehlt die staatliche behörde, die ihre
gesammtheit zusammenhält: diese lücke füllen die vier prytanen, die
tribuni. sie verhalten sich zu den vier phylenkönigen wie der archon
zum könige, aber sie sind nicht mehr patricische beamte. das organ, welches
die frohnden und steuern verteilt und einzieht, ist wol geeignet, eine
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ἀϱγύϱιον zu tun haben, forderten allerdings eine scharfe überwachung
bei der rechenschaftsabnahme heraus. und wenn der könig und der
archon an den rat auf dem Areshügel gebunden war, so war es ein con-
sequenter schritt, den prytanen eine vertretung der naukrarien in einem
rate zur seite zu stellen. das war ganz eben so gut eine die tribune
bindende wie die aspirationen der plebs befriedigende maſsregel. die
fortentwickelung ist gewesen, daſs die prytanen in den rat selbst aufgiengen.
dieser erhielt selbst die macht; die plebejische magistratur war unnötig,
da der ständische gegensatz doch schon durch Drakon ein gegensatz
des census geworden war, zumal die beamten immer mehr an das volks-
gericht gefesselt wurden. die prytanen können noch nach Solon als
magistrate bestanden haben; er kann sie auch beseitigt haben: das wissen
wir nicht. was sie zu Drakons zeit sein mochten, und wie er dazu ge-

31) ναύκϱαϱος setzen die alten mit ναύκληϱος gleich. dann muſs der rhota-
cismus, der ja in dem alten attisch analoga genug hat (κλάδος κϱάδος, κϱίβανος
κλίβανος, Κέκϱωψ Κϱωπίδαι Κλωπίδαι) älter sein als die brechung des α. das ist
der fall, denn wir können ναύκλαϱος noch belegen, CIA IV p. 202. also nicht in
diesem lautwandel liegt die schwierigkeit, sondern darin, daſs man ναύκληϱος in
seiner gewöhnlichen bedeutung nicht ableiten kann.
32) Vgl. das capitel ‘Trittyen und Demen.’
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[96/0110] I. 4. Drakons verfassung. dann die bruderschaften zum stamme, ὡς φϱήτϱη φϱήτϱηφιν ἀϱήϱη, φῦλα δὲ φύλοις. aber mit der zeit ward diese ordnung unbrauchbar. nicht die Kynniden hatten interesse an einem fahrwege vom cap Zoster nach der stadt, sondern die bewohner von Lamptra und Aixone. nicht die nachkommen des Thymoites waren geeignet einen dreiſsigruderer zu bemannen, sondern die bewohner des dorfes der Thymaitaden, wes ge- schlechtes sie auch sein mochten. deshalb schuf man die organisation der naukrarien, wie der name sagt 31), zunächst für die flotte, wie sie denn auch noch über Kleisthenes hinaus für die flotte geltung behalten haben. 32) aber die chronik sagt, daſs die naukrarien überhaupt für das steuerwesen da waren und eine casse hatten. an der spitze der nau- krarie, die also der römischen ortstribus entspricht, stehen die naukraren: das ist die ortsbehörde. die 48 naukrarien sind, wie es eben gieng, in die vier phylen eingeordnet. es fehlt die staatliche behörde, die ihre gesammtheit zusammenhält: diese lücke füllen die vier prytanen, die tribuni. sie verhalten sich zu den vier phylenkönigen wie der archon zum könige, aber sie sind nicht mehr patricische beamte. das organ, welches die frohnden und steuern verteilt und einzieht, ist wol geeignet, eine starke effective macht zu erlangen. die prytanen, die mit dem ναυκϱαϱικὸν ἀϱγύϱιον zu tun haben, forderten allerdings eine scharfe überwachung bei der rechenschaftsabnahme heraus. und wenn der könig und der archon an den rat auf dem Areshügel gebunden war, so war es ein con- sequenter schritt, den prytanen eine vertretung der naukrarien in einem rate zur seite zu stellen. das war ganz eben so gut eine die tribune bindende wie die aspirationen der plebs befriedigende maſsregel. die fortentwickelung ist gewesen, daſs die prytanen in den rat selbst aufgiengen. dieser erhielt selbst die macht; die plebejische magistratur war unnötig, da der ständische gegensatz doch schon durch Drakon ein gegensatz des census geworden war, zumal die beamten immer mehr an das volks- gericht gefesselt wurden. die prytanen können noch nach Solon als magistrate bestanden haben; er kann sie auch beseitigt haben: das wissen wir nicht. was sie zu Drakons zeit sein mochten, und wie er dazu ge- 31) ναύκϱαϱος setzen die alten mit ναύκληϱος gleich. dann muſs der rhota- cismus, der ja in dem alten attisch analoga genug hat (κλάδος κϱάδος, κϱίβανος κλίβανος, Κέκϱωψ Κϱωπίδαι Κλωπίδαι) älter sein als die brechung des α. das ist der fall, denn wir können ναύκλαϱος noch belegen, CIA IV p. 202. also nicht in diesem lautwandel liegt die schwierigkeit, sondern darin, daſs man ναύκληϱος in seiner gewöhnlichen bedeutung nicht ableiten kann. 32) Vgl. das capitel ‘Trittyen und Demen.’

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/110>, abgerufen am 27.04.2024.