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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die prytanen des naukrarischen rates.
folgen, nicht fügen. das passt auch zu dem hochvornehmen, dem könige
wenig nachstehenden namen sehr wenig. da tritt nun die drakontische
verfassung ein und schafft mit einem schlage licht. in ihr haben wir
vier prytanen gefunden, offenbar beamte, die vorsitzenden, aber jährigen
vorsitzenden des rates. ihnen also riet dieser rat. sie zu binden, so
wie der Areopag die beamten band, ist der rat geschaffen. die prytanen
sind durch eine ganz besondere härte der rechenschaftsabnahme ge-
bunden: sie müssen eine grosse, dem adel gefährliche macht besessen
haben. der census gilt für sie so wenig wie für ihren rat. was haben
diese plebejischen magistrate, diese tribuni, bedeutet?

Herodotos sagt in der erzählung vom tode Kylons, dass die pry-
tanen der naukraren damals Athen beherrschten (5, 71). das ist die tra-
dition der Alkmeoniden, der wir den glauben in betreff der schuldfrage
versagen, da die Atthis und Thukydides (der natürlich diese wiedergibt)
den archon Megakles verantwortlich gemacht hat: das gericht über die
Alkmeoniden, das sie schuldig sprach, muss auch für uns entscheidend
sein.28) aber die allgemeine angabe Herodots muss so viel gelten, dass
es prytanen der naukraren gab, und dass man diesen eine so bedeutende
machtstellung zuschreiben konnte. der drakontische rat stand damals
noch nicht neben den prytanen, wenn man es scharf nehmen darf.
aber die naukraren standen doch neben ihnen: welches verhältnis be-
steht zwischen dem rate und den naukraren?

Der kleisthenische rat ist eine vertretung der demen. die demarchen
sind damals an stelle der naukraren, die demen an die stelle der nau-
krarien getreten. die analogie führt also in der tat darauf, in dem
älteren rate eine vertretung der naukrarien zu suchen. so erscheint der
name prytanen der naukraren für die zeit vor der schaffung des rates
nicht unpassend, wenn der zusatz der naukraren auch ohne zweifel nur
von den gewährsmännern Herodots herrührt, die jene alten mächtigen
prytanen von denen ihrer zeit unterscheiden wollten. von der zusammen-
setzung des solonischen rates wissen wir nichts als die vertretung der
4 phylen: die prytanen Drakons sind 4, entsprechen also den phylen,
so gut wie die prytanencollegien des späteren rates den 10 phylen.

Man sollte meinen, die prytanen gehörten in das prytaneion; man

28) Herodot behauptet übrigens nur, dass die prytanen dem Kylon und seinen
leuten das leben versprochen und sie dadurch vermocht hätten, von den altären
aufzustehn. das ist möglich und glaublich. aber es entlastet den archon Megakles
nicht, führt höchstens darauf, dass Kylon bei den plebejern sympathieen hatte.

Die prytanen des naukrarischen rates.
folgen, nicht fügen. das paſst auch zu dem hochvornehmen, dem könige
wenig nachstehenden namen sehr wenig. da tritt nun die drakontische
verfassung ein und schafft mit einem schlage licht. in ihr haben wir
vier prytanen gefunden, offenbar beamte, die vorsitzenden, aber jährigen
vorsitzenden des rates. ihnen also riet dieser rat. sie zu binden, so
wie der Areopag die beamten band, ist der rat geschaffen. die prytanen
sind durch eine ganz besondere härte der rechenschaftsabnahme ge-
bunden: sie müssen eine groſse, dem adel gefährliche macht besessen
haben. der census gilt für sie so wenig wie für ihren rat. was haben
diese plebejischen magistrate, diese tribuni, bedeutet?

Herodotos sagt in der erzählung vom tode Kylons, daſs die pry-
tanen der naukraren damals Athen beherrschten (5, 71). das ist die tra-
dition der Alkmeoniden, der wir den glauben in betreff der schuldfrage
versagen, da die Atthis und Thukydides (der natürlich diese wiedergibt)
den archon Megakles verantwortlich gemacht hat: das gericht über die
Alkmeoniden, das sie schuldig sprach, muſs auch für uns entscheidend
sein.28) aber die allgemeine angabe Herodots muſs so viel gelten, daſs
es prytanen der naukraren gab, und daſs man diesen eine so bedeutende
machtstellung zuschreiben konnte. der drakontische rat stand damals
noch nicht neben den prytanen, wenn man es scharf nehmen darf.
aber die naukraren standen doch neben ihnen: welches verhältnis be-
steht zwischen dem rate und den naukraren?

Der kleisthenische rat ist eine vertretung der demen. die demarchen
sind damals an stelle der naukraren, die demen an die stelle der nau-
krarien getreten. die analogie führt also in der tat darauf, in dem
älteren rate eine vertretung der naukrarien zu suchen. so erscheint der
name prytanen der naukraren für die zeit vor der schaffung des rates
nicht unpassend, wenn der zusatz der naukraren auch ohne zweifel nur
von den gewährsmännern Herodots herrührt, die jene alten mächtigen
prytanen von denen ihrer zeit unterscheiden wollten. von der zusammen-
setzung des solonischen rates wissen wir nichts als die vertretung der
4 phylen: die prytanen Drakons sind 4, entsprechen also den phylen,
so gut wie die prytanencollegien des späteren rates den 10 phylen.

Man sollte meinen, die prytanen gehörten in das prytaneion; man

28) Herodot behauptet übrigens nur, daſs die prytanen dem Kylon und seinen
leuten das leben versprochen und sie dadurch vermocht hätten, von den altären
aufzustehn. das ist möglich und glaublich. aber es entlastet den archon Megakles
nicht, führt höchstens darauf, daſs Kylon bei den plebejern sympathieen hatte.
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[93/0107] Die prytanen des naukrarischen rates. folgen, nicht fügen. das paſst auch zu dem hochvornehmen, dem könige wenig nachstehenden namen sehr wenig. da tritt nun die drakontische verfassung ein und schafft mit einem schlage licht. in ihr haben wir vier prytanen gefunden, offenbar beamte, die vorsitzenden, aber jährigen vorsitzenden des rates. ihnen also riet dieser rat. sie zu binden, so wie der Areopag die beamten band, ist der rat geschaffen. die prytanen sind durch eine ganz besondere härte der rechenschaftsabnahme ge- bunden: sie müssen eine groſse, dem adel gefährliche macht besessen haben. der census gilt für sie so wenig wie für ihren rat. was haben diese plebejischen magistrate, diese tribuni, bedeutet? Herodotos sagt in der erzählung vom tode Kylons, daſs die pry- tanen der naukraren damals Athen beherrschten (5, 71). das ist die tra- dition der Alkmeoniden, der wir den glauben in betreff der schuldfrage versagen, da die Atthis und Thukydides (der natürlich diese wiedergibt) den archon Megakles verantwortlich gemacht hat: das gericht über die Alkmeoniden, das sie schuldig sprach, muſs auch für uns entscheidend sein. 28) aber die allgemeine angabe Herodots muſs so viel gelten, daſs es prytanen der naukraren gab, und daſs man diesen eine so bedeutende machtstellung zuschreiben konnte. der drakontische rat stand damals noch nicht neben den prytanen, wenn man es scharf nehmen darf. aber die naukraren standen doch neben ihnen: welches verhältnis be- steht zwischen dem rate und den naukraren? Der kleisthenische rat ist eine vertretung der demen. die demarchen sind damals an stelle der naukraren, die demen an die stelle der nau- krarien getreten. die analogie führt also in der tat darauf, in dem älteren rate eine vertretung der naukrarien zu suchen. so erscheint der name prytanen der naukraren für die zeit vor der schaffung des rates nicht unpassend, wenn der zusatz der naukraren auch ohne zweifel nur von den gewährsmännern Herodots herrührt, die jene alten mächtigen prytanen von denen ihrer zeit unterscheiden wollten. von der zusammen- setzung des solonischen rates wissen wir nichts als die vertretung der 4 phylen: die prytanen Drakons sind 4, entsprechen also den phylen, so gut wie die prytanencollegien des späteren rates den 10 phylen. Man sollte meinen, die prytanen gehörten in das prytaneion; man 28) Herodot behauptet übrigens nur, daſs die prytanen dem Kylon und seinen leuten das leben versprochen und sie dadurch vermocht hätten, von den altären aufzustehn. das ist möglich und glaublich. aber es entlastet den archon Megakles nicht, führt höchstens darauf, daſs Kylon bei den plebejern sympathieen hatte.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/107>, abgerufen am 26.04.2024.