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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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4.
DRAKONS VERFASSUNG.1)

Herkunft
des
berichtes.
Aristoteles hat sein viertes capitel in einen für ihn bereits gegebenen
zusammenhang eingeschoben, aus dem es herausfällt. die umgebung stammt
aus der Atthis; diese hat also nichts von der drakontischen2) verfassung
gewusst. das stimmt dazu, dass die gesammte tradition sie nicht kennt.
ja Aristoteles selbst hat, als er die Politik schrieb, nur so viel wie die
Atthis von Drakon gewusst. das hat sich in dem vorigen capitel ergeben.
er hat die verfassung also erst irgendwoher kennen gelernt, als er daran
gieng die Politie zu schreiben; dann aber hat er dieser überlieferung
vollen glauben beigemessen.

Neben der Atthis haben wir als quellen des Aristoteles bereits oli-
garchische parteischriften kennen gelernt, und wir werden später sehen,
dass sie ihm die geschichte des fünften jahrhunderts fast ganz geliefert
haben. gerade die actenstücke, die er aus dieser quelle für das jahr 411
entnimmt, stehen mit der verfassung Drakons in so naher beziehung,
dass wir vor dem dilemma stehn: entweder haben die oligarchen von 411
sich an diese verfassung Drakons angeschlossen, oder aber sie haben sie
zu gunsten ihres planes als angebliches vorbild erfunden. in beiden
fällen ist der schluss unvermeidlich, dass Aristoteles seine kenntnis der

1) Ich habe dieses capitel noch im winter 91 geschrieben und nur für die
drucklegung januar 93 stilistisch redigirt. nur in betreff der lesart habe ich die neue
lesung der handschrift befolgt, die nun schon wieder durch Sandys in frage ge-
stellt ist. es hat das aber für die frage, was Aristoteles geschrieben hat, keine
bedeutung, so wenig wie die mir bekannten erklärungsversuche für das was er ge-
meint hat.
2) Man muss es den philologen immer noch einschärfen, dass der mann
'drache' hiess, und also nicht wie die kurznamen Philon Simon declinirt wird. das
scheusal 'drakonisch' sollten wir den zeitungsschreibern und volksrednern für den
metaphorischen gebrauch überlassen.
4.
DRAKONS VERFASSUNG.1)

Herkunft
des
berichtes.
Aristoteles hat sein viertes capitel in einen für ihn bereits gegebenen
zusammenhang eingeschoben, aus dem es herausfällt. die umgebung stammt
aus der Atthis; diese hat also nichts von der drakontischen2) verfassung
gewuſst. das stimmt dazu, daſs die gesammte tradition sie nicht kennt.
ja Aristoteles selbst hat, als er die Politik schrieb, nur so viel wie die
Atthis von Drakon gewuſst. das hat sich in dem vorigen capitel ergeben.
er hat die verfassung also erst irgendwoher kennen gelernt, als er daran
gieng die Politie zu schreiben; dann aber hat er dieser überlieferung
vollen glauben beigemessen.

Neben der Atthis haben wir als quellen des Aristoteles bereits oli-
garchische parteischriften kennen gelernt, und wir werden später sehen,
daſs sie ihm die geschichte des fünften jahrhunderts fast ganz geliefert
haben. gerade die actenstücke, die er aus dieser quelle für das jahr 411
entnimmt, stehen mit der verfassung Drakons in so naher beziehung,
daſs wir vor dem dilemma stehn: entweder haben die oligarchen von 411
sich an diese verfassung Drakons angeschlossen, oder aber sie haben sie
zu gunsten ihres planes als angebliches vorbild erfunden. in beiden
fällen ist der schluſs unvermeidlich, daſs Aristoteles seine kenntnis der

1) Ich habe dieses capitel noch im winter 91 geschrieben und nur für die
drucklegung januar 93 stilistisch redigirt. nur in betreff der lesart habe ich die neue
lesung der handschrift befolgt, die nun schon wieder durch Sandys in frage ge-
stellt ist. es hat das aber für die frage, was Aristoteles geschrieben hat, keine
bedeutung, so wenig wie die mir bekannten erklärungsversuche für das was er ge-
meint hat.
2) Man muſs es den philologen immer noch einschärfen, daſs der mann
‘drache’ hieſs, und also nicht wie die kurznamen Φίλων Σίμων declinirt wird. das
scheusal ‘drakonisch’ sollten wir den zeitungsschreibern und volksrednern für den
metaphorischen gebrauch überlassen.
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[[76]/0090] 4. DRAKONS VERFASSUNG. 1) Aristoteles hat sein viertes capitel in einen für ihn bereits gegebenen zusammenhang eingeschoben, aus dem es herausfällt. die umgebung stammt aus der Atthis; diese hat also nichts von der drakontischen 2) verfassung gewuſst. das stimmt dazu, daſs die gesammte tradition sie nicht kennt. ja Aristoteles selbst hat, als er die Politik schrieb, nur so viel wie die Atthis von Drakon gewuſst. das hat sich in dem vorigen capitel ergeben. er hat die verfassung also erst irgendwoher kennen gelernt, als er daran gieng die Politie zu schreiben; dann aber hat er dieser überlieferung vollen glauben beigemessen. Herkunft des berichtes. Neben der Atthis haben wir als quellen des Aristoteles bereits oli- garchische parteischriften kennen gelernt, und wir werden später sehen, daſs sie ihm die geschichte des fünften jahrhunderts fast ganz geliefert haben. gerade die actenstücke, die er aus dieser quelle für das jahr 411 entnimmt, stehen mit der verfassung Drakons in so naher beziehung, daſs wir vor dem dilemma stehn: entweder haben die oligarchen von 411 sich an diese verfassung Drakons angeschlossen, oder aber sie haben sie zu gunsten ihres planes als angebliches vorbild erfunden. in beiden fällen ist der schluſs unvermeidlich, daſs Aristoteles seine kenntnis der 1) Ich habe dieses capitel noch im winter 91 geschrieben und nur für die drucklegung januar 93 stilistisch redigirt. nur in betreff der lesart habe ich die neue lesung der handschrift befolgt, die nun schon wieder durch Sandys in frage ge- stellt ist. es hat das aber für die frage, was Aristoteles geschrieben hat, keine bedeutung, so wenig wie die mir bekannten erklärungsversuche für das was er ge- meint hat. 2) Man muſs es den philologen immer noch einschärfen, daſs der mann ‘drache’ hieſs, und also nicht wie die kurznamen Φίλων Σίμων declinirt wird. das scheusal ‘drakonisch’ sollten wir den zeitungsschreibern und volksrednern für den metaphorischen gebrauch überlassen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. [76]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/90>, abgerufen am 21.11.2024.