Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Ohr vom Zauberstabe der Musik berührt werden,
wenn er ausruft: ich sage es frei heraus, daß
nach der Theologie keine Kunst sei, so mit der
Tonkunst kann verglichen werden, der die Flöte
und noch kunstreicher die Laute spielte, und sei¬
nen hellen männlichen Tenor jeden Abend in
seinem Hause ertönen ließ. Es ist nur Mangel
an Tonsinn, an kindlicher Stimmung, an poetisch¬
webenden Gefühlselementen, was Kant, Hegel
und andere Philosophen wie Nichtphilosophen zur
Herabsetzung der Musik bestimmte. Schon das
Medium, der Stoff der Musik erregen für ihre
ästhetische Würde ein günstiges Vorurtheil. Sie
spricht durch den Sinn des Gehörs zu uns, ihr
Medium, die Luft, ist unsichtbar, wie die Töne,
welche sie hervorruft, in diesem Unsichtbaren wirkt
sie selber als etwas Unsichtbares, als etwas aus
fremder Welt, und zwar nicht als Todtes, Unbe¬
wegtes, Ruhendes, sondern als etwas Eilendes,
Fließendes, über, neben, unter uns Hinschweben¬
des. Ihre Melodien sind uns die Sinnbilder un¬
serer geistigen Regsamkeit, unsere stummen Ge¬
fühle, Ahnungen, Hoffnungen, unsere Schmerzen
und Freuden, Alles wird laut in unserer Brust,
wir fühlen doppelt stark, allein wir erheben uns
über den Schmerz und genießen diesen nur als
Ton, der unser Ohr entzückt, ohne im Herzen

Ohr vom Zauberſtabe der Muſik beruͤhrt werden,
wenn er ausruft: ich ſage es frei heraus, daß
nach der Theologie keine Kunſt ſei, ſo mit der
Tonkunſt kann verglichen werden, der die Floͤte
und noch kunſtreicher die Laute ſpielte, und ſei¬
nen hellen maͤnnlichen Tenor jeden Abend in
ſeinem Hauſe ertoͤnen ließ. Es iſt nur Mangel
an Tonſinn, an kindlicher Stimmung, an poetiſch¬
webenden Gefuͤhlselementen, was Kant, Hegel
und andere Philoſophen wie Nichtphiloſophen zur
Herabſetzung der Muſik beſtimmte. Schon das
Medium, der Stoff der Muſik erregen fuͤr ihre
aͤſthetiſche Wuͤrde ein guͤnſtiges Vorurtheil. Sie
ſpricht durch den Sinn des Gehoͤrs zu uns, ihr
Medium, die Luft, iſt unſichtbar, wie die Toͤne,
welche ſie hervorruft, in dieſem Unſichtbaren wirkt
ſie ſelber als etwas Unſichtbares, als etwas aus
fremder Welt, und zwar nicht als Todtes, Unbe¬
wegtes, Ruhendes, ſondern als etwas Eilendes,
Fließendes, uͤber, neben, unter uns Hinſchweben¬
des. Ihre Melodien ſind uns die Sinnbilder un¬
ſerer geiſtigen Regſamkeit, unſere ſtummen Ge¬
fuͤhle, Ahnungen, Hoffnungen, unſere Schmerzen
und Freuden, Alles wird laut in unſerer Bruſt,
wir fuͤhlen doppelt ſtark, allein wir erheben uns
uͤber den Schmerz und genießen dieſen nur als
Ton, der unſer Ohr entzuͤckt, ohne im Herzen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0232" n="218"/>
Ohr vom Zauber&#x017F;tabe der Mu&#x017F;ik beru&#x0364;hrt werden,<lb/>
wenn er ausruft: ich &#x017F;age es frei heraus, daß<lb/>
nach der Theologie keine Kun&#x017F;t &#x017F;ei, &#x017F;o mit der<lb/>
Tonkun&#x017F;t kann verglichen werden, der die Flo&#x0364;te<lb/>
und noch kun&#x017F;treicher die Laute &#x017F;pielte, und &#x017F;ei¬<lb/>
nen hellen ma&#x0364;nnlichen Tenor jeden Abend in<lb/>
&#x017F;einem Hau&#x017F;e erto&#x0364;nen ließ. Es i&#x017F;t nur Mangel<lb/>
an Ton&#x017F;inn, an kindlicher Stimmung, an poeti&#x017F;ch¬<lb/>
webenden Gefu&#x0364;hlselementen, was Kant, Hegel<lb/>
und andere Philo&#x017F;ophen wie Nichtphilo&#x017F;ophen zur<lb/>
Herab&#x017F;etzung der Mu&#x017F;ik be&#x017F;timmte. Schon das<lb/>
Medium, der Stoff der Mu&#x017F;ik erregen fu&#x0364;r ihre<lb/>
a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che Wu&#x0364;rde ein gu&#x0364;n&#x017F;tiges Vorurtheil. Sie<lb/>
&#x017F;pricht durch den Sinn des Geho&#x0364;rs zu uns, ihr<lb/>
Medium, die Luft, i&#x017F;t un&#x017F;ichtbar, wie die To&#x0364;ne,<lb/>
welche &#x017F;ie hervorruft, in die&#x017F;em Un&#x017F;ichtbaren wirkt<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;elber als etwas Un&#x017F;ichtbares, als etwas aus<lb/>
fremder Welt, und zwar nicht als Todtes, Unbe¬<lb/>
wegtes, Ruhendes, &#x017F;ondern als etwas Eilendes,<lb/>
Fließendes, u&#x0364;ber, neben, unter uns Hin&#x017F;chweben¬<lb/>
des. Ihre Melodien &#x017F;ind uns die Sinnbilder un¬<lb/>
&#x017F;erer gei&#x017F;tigen Reg&#x017F;amkeit, un&#x017F;ere &#x017F;tummen Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hle, Ahnungen, Hoffnungen, un&#x017F;ere Schmerzen<lb/>
und Freuden, Alles wird laut in un&#x017F;erer Bru&#x017F;t,<lb/>
wir fu&#x0364;hlen doppelt &#x017F;tark, allein wir erheben uns<lb/>
u&#x0364;ber den Schmerz und genießen die&#x017F;en nur als<lb/>
Ton, der un&#x017F;er Ohr entzu&#x0364;ckt, ohne im Herzen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0232] Ohr vom Zauberſtabe der Muſik beruͤhrt werden, wenn er ausruft: ich ſage es frei heraus, daß nach der Theologie keine Kunſt ſei, ſo mit der Tonkunſt kann verglichen werden, der die Floͤte und noch kunſtreicher die Laute ſpielte, und ſei¬ nen hellen maͤnnlichen Tenor jeden Abend in ſeinem Hauſe ertoͤnen ließ. Es iſt nur Mangel an Tonſinn, an kindlicher Stimmung, an poetiſch¬ webenden Gefuͤhlselementen, was Kant, Hegel und andere Philoſophen wie Nichtphiloſophen zur Herabſetzung der Muſik beſtimmte. Schon das Medium, der Stoff der Muſik erregen fuͤr ihre aͤſthetiſche Wuͤrde ein guͤnſtiges Vorurtheil. Sie ſpricht durch den Sinn des Gehoͤrs zu uns, ihr Medium, die Luft, iſt unſichtbar, wie die Toͤne, welche ſie hervorruft, in dieſem Unſichtbaren wirkt ſie ſelber als etwas Unſichtbares, als etwas aus fremder Welt, und zwar nicht als Todtes, Unbe¬ wegtes, Ruhendes, ſondern als etwas Eilendes, Fließendes, uͤber, neben, unter uns Hinſchweben¬ des. Ihre Melodien ſind uns die Sinnbilder un¬ ſerer geiſtigen Regſamkeit, unſere ſtummen Ge¬ fuͤhle, Ahnungen, Hoffnungen, unſere Schmerzen und Freuden, Alles wird laut in unſerer Bruſt, wir fuͤhlen doppelt ſtark, allein wir erheben uns uͤber den Schmerz und genießen dieſen nur als Ton, der unſer Ohr entzuͤckt, ohne im Herzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/232
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/232>, abgerufen am 26.04.2024.