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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Sinnlichen gegründet, waren Autochthone, wie sie
sich auch nannten und hingen mit dem verwitter¬
ten Urstamme der asiatischen Menschheit nur in
so fern zusammen, als sie die nachquillenden rohen
Natursäfte desselben zu ihrer eigenen Blüthe ver¬
wandten.

Leider war auch diese Blüthe vom Schicksal
bestimmt, um zu verwelken und andern Blüthen
des menschlichen Geistes Platz zu machen. Die
Römer haben Griechenland nicht zerstört, sie haben
nur die letzte Hand daran gelegt, sie haben die
sterbende Nationalexistenz nach höherem Beschluß
exekutirt. Sie stehen überhaupt in der Geschichte
als unerbittliche Exekutoren da, die alles Leben,
was nicht auf den Beinen feststeht, vor sich nie¬
derwerfen und mit eisernem Fuße auf eine unter¬
jochte und zertrümmerte Welt hintreten. Die
Griechen waren sich selbst genug, daher machten
sie keine auswärtigen Eroberungen, außer geisti¬
gen. Die Römer hingegen drängten sich, mit aller
Kraft einer isolirten Richtung, aus sich heraus
und wurden Eroberer und Unterjocher, weil ihnen
das innere poetische Leben und der gestaltende Sinn
der Kunst abging. Rom hat keine großen Dich¬
ter und Künstler erzeugt, noch viel weniger einen
Philosophen, aber Roms Redner besaßen eine dä¬
monische Kraft, weil die Beredtsamkeit des Forums

Sinnlichen gegruͤndet, waren Autochthone, wie ſie
ſich auch nannten und hingen mit dem verwitter¬
ten Urſtamme der aſiatiſchen Menſchheit nur in
ſo fern zuſammen, als ſie die nachquillenden rohen
Naturſaͤfte deſſelben zu ihrer eigenen Bluͤthe ver¬
wandten.

Leider war auch dieſe Bluͤthe vom Schickſal
beſtimmt, um zu verwelken und andern Bluͤthen
des menſchlichen Geiſtes Platz zu machen. Die
Roͤmer haben Griechenland nicht zerſtoͤrt, ſie haben
nur die letzte Hand daran gelegt, ſie haben die
ſterbende Nationalexiſtenz nach hoͤherem Beſchluß
exekutirt. Sie ſtehen uͤberhaupt in der Geſchichte
als unerbittliche Exekutoren da, die alles Leben,
was nicht auf den Beinen feſtſteht, vor ſich nie¬
derwerfen und mit eiſernem Fuße auf eine unter¬
jochte und zertruͤmmerte Welt hintreten. Die
Griechen waren ſich ſelbſt genug, daher machten
ſie keine auswaͤrtigen Eroberungen, außer geiſti¬
gen. Die Roͤmer hingegen draͤngten ſich, mit aller
Kraft einer iſolirten Richtung, aus ſich heraus
und wurden Eroberer und Unterjocher, weil ihnen
das innere poetiſche Leben und der geſtaltende Sinn
der Kunſt abging. Rom hat keine großen Dich¬
ter und Kuͤnſtler erzeugt, noch viel weniger einen
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[108/0122] Sinnlichen gegruͤndet, waren Autochthone, wie ſie ſich auch nannten und hingen mit dem verwitter¬ ten Urſtamme der aſiatiſchen Menſchheit nur in ſo fern zuſammen, als ſie die nachquillenden rohen Naturſaͤfte deſſelben zu ihrer eigenen Bluͤthe ver¬ wandten. Leider war auch dieſe Bluͤthe vom Schickſal beſtimmt, um zu verwelken und andern Bluͤthen des menſchlichen Geiſtes Platz zu machen. Die Roͤmer haben Griechenland nicht zerſtoͤrt, ſie haben nur die letzte Hand daran gelegt, ſie haben die ſterbende Nationalexiſtenz nach hoͤherem Beſchluß exekutirt. Sie ſtehen uͤberhaupt in der Geſchichte als unerbittliche Exekutoren da, die alles Leben, was nicht auf den Beinen feſtſteht, vor ſich nie¬ derwerfen und mit eiſernem Fuße auf eine unter¬ jochte und zertruͤmmerte Welt hintreten. Die Griechen waren ſich ſelbſt genug, daher machten ſie keine auswaͤrtigen Eroberungen, außer geiſti¬ gen. Die Roͤmer hingegen draͤngten ſich, mit aller Kraft einer iſolirten Richtung, aus ſich heraus und wurden Eroberer und Unterjocher, weil ihnen das innere poetiſche Leben und der geſtaltende Sinn der Kunſt abging. Rom hat keine großen Dich¬ ter und Kuͤnſtler erzeugt, noch viel weniger einen Philoſophen, aber Roms Redner beſaßen eine daͤ¬ moniſche Kraft, weil die Beredtſamkeit des Forums

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/122>, abgerufen am 27.04.2024.