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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Fünftes Buch, sechstes Capitel.
du diese Warnung gelesen, nicht willst: so bist du kein
Agathon mehr, so bist du was wir andern alle sind;
thue was du willst, es ist nichts mehr an dir zu ver-
derben.

Sechstes Capitel.
Worinn der Geschichtschreiber sich einiger
Jndiscretion schuldig macht.

Die schöne Danae war sehr weit entfernt, gleichgül-
tig gegen die Vorzüge des Callias zu seyn, und es ko-
stete ihr würklich, so gesezt sie auch war, einige Mühe,
ihm zu verbergen, wie sehr sie von seiner Liebe ge-
rührt war, und wie gern sie sich dieselbe zu Nuz ge-
macht hätte. Allein aus einem Agathon einen Alci-
biades zu machen, das konnte nicht das Werk von
etlichen Tagen seyn, und um so viel weniger, da er
durch unmerkliche Schritte, und ohne, daß sie selbst
etwas dabey zu thun schien, zu einer so grossen Ver-
änderung gebracht werden mußte, wenn sie anders
dauerhaft seyn sollte. Die grosse Kunst war, unter
der Masque der Freundschaft seine Vegierden zu eben
der Zeit zu reizen, da sie selbige durch eine unaffec-
tirte Zurükhaltung abzuschreken schien. Allein auch
dieses war nicht genug; er mußte vorher die Macht zu
widerstehen verliehren; wenn der Augenblik einmal
gekommen seyn würde, da sie die ganze Gewalt ih-

rer

Fuͤnftes Buch, ſechstes Capitel.
du dieſe Warnung geleſen, nicht willſt: ſo biſt du kein
Agathon mehr, ſo biſt du was wir andern alle ſind;
thue was du willſt, es iſt nichts mehr an dir zu ver-
derben.

Sechstes Capitel.
Worinn der Geſchichtſchreiber ſich einiger
Jndiſcretion ſchuldig macht.

Die ſchoͤne Danae war ſehr weit entfernt, gleichguͤl-
tig gegen die Vorzuͤge des Callias zu ſeyn, und es ko-
ſtete ihr wuͤrklich, ſo geſezt ſie auch war, einige Muͤhe,
ihm zu verbergen, wie ſehr ſie von ſeiner Liebe ge-
ruͤhrt war, und wie gern ſie ſich dieſelbe zu Nuz ge-
macht haͤtte. Allein aus einem Agathon einen Alci-
biades zu machen, das konnte nicht das Werk von
etlichen Tagen ſeyn, und um ſo viel weniger, da er
durch unmerkliche Schritte, und ohne, daß ſie ſelbſt
etwas dabey zu thun ſchien, zu einer ſo groſſen Ver-
aͤnderung gebracht werden mußte, wenn ſie anders
dauerhaft ſeyn ſollte. Die groſſe Kunſt war, unter
der Masque der Freundſchaft ſeine Vegierden zu eben
der Zeit zu reizen, da ſie ſelbige durch eine unaffec-
tirte Zuruͤkhaltung abzuſchreken ſchien. Allein auch
dieſes war nicht genug; er mußte vorher die Macht zu
widerſtehen verliehren; wenn der Augenblik einmal
gekommen ſeyn wuͤrde, da ſie die ganze Gewalt ih-

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[187/0209] Fuͤnftes Buch, ſechstes Capitel. du dieſe Warnung geleſen, nicht willſt: ſo biſt du kein Agathon mehr, ſo biſt du was wir andern alle ſind; thue was du willſt, es iſt nichts mehr an dir zu ver- derben. Sechstes Capitel. Worinn der Geſchichtſchreiber ſich einiger Jndiſcretion ſchuldig macht. Die ſchoͤne Danae war ſehr weit entfernt, gleichguͤl- tig gegen die Vorzuͤge des Callias zu ſeyn, und es ko- ſtete ihr wuͤrklich, ſo geſezt ſie auch war, einige Muͤhe, ihm zu verbergen, wie ſehr ſie von ſeiner Liebe ge- ruͤhrt war, und wie gern ſie ſich dieſelbe zu Nuz ge- macht haͤtte. Allein aus einem Agathon einen Alci- biades zu machen, das konnte nicht das Werk von etlichen Tagen ſeyn, und um ſo viel weniger, da er durch unmerkliche Schritte, und ohne, daß ſie ſelbſt etwas dabey zu thun ſchien, zu einer ſo groſſen Ver- aͤnderung gebracht werden mußte, wenn ſie anders dauerhaft ſeyn ſollte. Die groſſe Kunſt war, unter der Masque der Freundſchaft ſeine Vegierden zu eben der Zeit zu reizen, da ſie ſelbige durch eine unaffec- tirte Zuruͤkhaltung abzuſchreken ſchien. Allein auch dieſes war nicht genug; er mußte vorher die Macht zu widerſtehen verliehren; wenn der Augenblik einmal gekommen ſeyn wuͤrde, da ſie die ganze Gewalt ih- rer

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/209>, abgerufen am 21.12.2024.