Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wetzel, Franz Xaver: Reisebegleiter für Jünglinge. Ravensburg, [1901].

Bild:
<< vorherige Seite

Geld er verdiene. Da packte auch unser Wilhelm
seine sieben Sachen zusammen und zog in die große
Stadt am Fuße des Erzgebirges. In einer Maschinen-
fabrik fand er Arbeit und verdiente ganz ordentlich.
Er konnte wenigstens damit leben. Aber das ging
nur 3 Wochen lang. Da wurde ihm und seinem
Freunde an einem Montag Morgen eröffnet, es
gebe für sie keine Arbeit mehr; 200 andere
Arbeiter seien schon am Samstag entlassen worden.

Die zwei bartlosen, unerfahrenen Jünglinge
wandten sich nun an verschiedene andere Fabriken.
Ueberall hieß es: Schon mehr als genug Leute!
Nirgends fanden sie Anstellung. Erspart hatten
sie auch nichts, der Lohn war zu gering gewesen,
und zu betteln schämten sie sich. In dieser Not-
lage setzte sich der jüngere, Wilhelm Grünauer,
hin und schrieb an mich folgenden Brief:

Geehrter Herr Pfarrer!

Es sind zwar erst drei Wochen, seitdem ich
meine Heimat verlassen. Aber ich bin doch schon
jetzt gezwungen, Ihnen zu schreiben. Dem Vater
darf ich nicht schreiben. Er war zu böse, daß ich
fortging; er sagte, ich sei noch viel zu jung zum
Reisen und solle ihm noch etwas helfen. Ich
habe zwar hier etwas mehr verdient, als in der
dortigen Buntweberei. Aber es kostet auch mehr.
Alles ist teurer. Und jetzt verdiene ich gar nichts
mehr. Ich und mein Freund, Karl Bittner, der
ja gelernter Schlosser ist, sind am letzten Montag

Geld er verdiene. Da packte auch unser Wilhelm
seine sieben Sachen zusammen und zog in die große
Stadt am Fuße des Erzgebirges. In einer Maschinen-
fabrik fand er Arbeit und verdiente ganz ordentlich.
Er konnte wenigstens damit leben. Aber das ging
nur 3 Wochen lang. Da wurde ihm und seinem
Freunde an einem Montag Morgen eröffnet, es
gebe für sie keine Arbeit mehr; 200 andere
Arbeiter seien schon am Samstag entlassen worden.

Die zwei bartlosen, unerfahrenen Jünglinge
wandten sich nun an verschiedene andere Fabriken.
Ueberall hieß es: Schon mehr als genug Leute!
Nirgends fanden sie Anstellung. Erspart hatten
sie auch nichts, der Lohn war zu gering gewesen,
und zu betteln schämten sie sich. In dieser Not-
lage setzte sich der jüngere, Wilhelm Grünauer,
hin und schrieb an mich folgenden Brief:

Geehrter Herr Pfarrer!

Es sind zwar erst drei Wochen, seitdem ich
meine Heimat verlassen. Aber ich bin doch schon
jetzt gezwungen, Ihnen zu schreiben. Dem Vater
darf ich nicht schreiben. Er war zu böse, daß ich
fortging; er sagte, ich sei noch viel zu jung zum
Reisen und solle ihm noch etwas helfen. Ich
habe zwar hier etwas mehr verdient, als in der
dortigen Buntweberei. Aber es kostet auch mehr.
Alles ist teurer. Und jetzt verdiene ich gar nichts
mehr. Ich und mein Freund, Karl Bittner, der
ja gelernter Schlosser ist, sind am letzten Montag

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" xml:id="W544R3_001_1901_pb0005_0001" n="5"/>
Geld er verdiene. Da packte auch unser Wilhelm<lb/>
seine sieben Sachen zusammen und zog in die große<lb/>
Stadt am Fuße des Erzgebirges. In einer Maschinen-<lb/>
fabrik fand er Arbeit und verdiente ganz ordentlich.<lb/>
Er konnte wenigstens damit leben. Aber das ging<lb/>
nur 3 Wochen lang. Da wurde ihm und seinem<lb/>
Freunde an einem Montag Morgen eröffnet, es<lb/>
gebe für sie keine Arbeit mehr; 200 andere<lb/>
Arbeiter seien schon am Samstag entlassen worden.</p>
        <p>Die zwei bartlosen, unerfahrenen Jünglinge<lb/>
wandten sich nun an verschiedene andere Fabriken.<lb/>
Ueberall hieß es: Schon mehr als genug Leute!<lb/>
Nirgends fanden sie Anstellung. Erspart hatten<lb/>
sie auch nichts, der Lohn war zu gering gewesen,<lb/>
und zu betteln schämten sie sich. In dieser Not-<lb/>
lage setzte sich der jüngere, Wilhelm Grünauer,<lb/>
hin und schrieb an mich folgenden Brief:</p>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <salute rendition="#c">Geehrter Herr Pfarrer!</salute>
              <p>Es sind zwar erst drei Wochen, seitdem ich<lb/>
meine Heimat verlassen. Aber ich bin doch schon<lb/>
jetzt gezwungen, Ihnen zu schreiben. Dem Vater<lb/>
darf ich nicht schreiben. Er war zu böse, daß ich<lb/>
fortging; er sagte, ich sei noch viel zu jung zum<lb/>
Reisen und solle ihm noch etwas helfen. Ich<lb/>
habe zwar hier etwas mehr verdient, als in der<lb/>
dortigen Buntweberei. Aber es kostet auch mehr.<lb/>
Alles ist teurer. Und jetzt verdiene ich gar nichts<lb/>
mehr. Ich und mein Freund, Karl Bittner, der<lb/>
ja gelernter Schlosser ist, sind am letzten Montag<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0011] Geld er verdiene. Da packte auch unser Wilhelm seine sieben Sachen zusammen und zog in die große Stadt am Fuße des Erzgebirges. In einer Maschinen- fabrik fand er Arbeit und verdiente ganz ordentlich. Er konnte wenigstens damit leben. Aber das ging nur 3 Wochen lang. Da wurde ihm und seinem Freunde an einem Montag Morgen eröffnet, es gebe für sie keine Arbeit mehr; 200 andere Arbeiter seien schon am Samstag entlassen worden. Die zwei bartlosen, unerfahrenen Jünglinge wandten sich nun an verschiedene andere Fabriken. Ueberall hieß es: Schon mehr als genug Leute! Nirgends fanden sie Anstellung. Erspart hatten sie auch nichts, der Lohn war zu gering gewesen, und zu betteln schämten sie sich. In dieser Not- lage setzte sich der jüngere, Wilhelm Grünauer, hin und schrieb an mich folgenden Brief: Geehrter Herr Pfarrer! Es sind zwar erst drei Wochen, seitdem ich meine Heimat verlassen. Aber ich bin doch schon jetzt gezwungen, Ihnen zu schreiben. Dem Vater darf ich nicht schreiben. Er war zu böse, daß ich fortging; er sagte, ich sei noch viel zu jung zum Reisen und solle ihm noch etwas helfen. Ich habe zwar hier etwas mehr verdient, als in der dortigen Buntweberei. Aber es kostet auch mehr. Alles ist teurer. Und jetzt verdiene ich gar nichts mehr. Ich und mein Freund, Karl Bittner, der ja gelernter Schlosser ist, sind am letzten Montag

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901/11
Zitationshilfe: Wetzel, Franz Xaver: Reisebegleiter für Jünglinge. Ravensburg, [1901], S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901/11>, abgerufen am 21.11.2024.