Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang
einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück-
geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz
aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden
Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir
aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird
die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und
um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma
als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm
gegenüber ist mit dem alle Anlagen umfassenden, überall vor-
handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim-
zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus
Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche
Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge-
rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma
des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der
Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können,
bei den höheren Thieren ist das unmöglich.

Zusammenfassung des zweiten Buches.

Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der
einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen
Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication
besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber
noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung
weiter gehen.

Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines
vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung
darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim-
plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz-
mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der
Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi-

vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang
einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück-
geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz
aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden
Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir
aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird
die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und
um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma
als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm
gegenüber ist mit dem alle Anlagen umfassenden, überall vor-
handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim-
zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus
Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche
Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge-
rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma
des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der
Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können,
bei den höheren Thieren ist das unmöglich.

Zusammenfassung des zweiten Buches.

Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der
einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen
Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication
besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber
noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung
weiter gehen.

Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines
vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung
darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim-
plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz-
mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der
Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0319" n="295"/>
vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang<lb/>
einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück-<lb/>
geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz<lb/>
aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden<lb/>
Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir<lb/>
aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird<lb/>
die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und<lb/>
um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma<lb/>
als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm<lb/>
gegenüber ist mit dem <hi rendition="#g">alle</hi> Anlagen umfassenden, überall vor-<lb/>
handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim-<lb/>
zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus<lb/>
Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche<lb/>
Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge-<lb/>
rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma<lb/>
des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der<lb/>
Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können,<lb/>
bei den höheren Thieren ist das unmöglich.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zusammenfassung des zweiten Buches.</hi> </head><lb/>
          <p>Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der<lb/>
einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen<lb/>
Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication<lb/>
besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber<lb/>
noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung<lb/>
weiter gehen.</p><lb/>
          <p>Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines<lb/>
vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung<lb/>
darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim-<lb/>
plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz-<lb/>
mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der<lb/>
Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0319] vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück- geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm gegenüber ist mit dem alle Anlagen umfassenden, überall vor- handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim- zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge- rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können, bei den höheren Thieren ist das unmöglich. Zusammenfassung des zweiten Buches. Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung weiter gehen. Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim- plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz- mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/319
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/319>, abgerufen am 22.12.2024.