Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.[Abbildung]
Zweiter Act. Erste Scene. Abend auf Melchior's Studierzimmer. Das Fenster steht offen, die Lampe brennt auf dem Tisch. -- Melchior und Moritz auf dem Kanapee. Moritz. Jetzt bin ich wieder ganz munter, nur etwas aufgeregt. -- Aber in der Griechischstunde habe ich doch geschlafen wie der besoffene Poliphem. Nimmt mich Wunder, daß mich der alte Zungenschlag nicht in die Ohren gezwickt. -- Heut früh wäre ich um ein Haar noch zu spät gekommen. -- Mein erster Gedanke beim Erwachen waren die Verba auf mi. -- Himmel- Herrgott-Teufel-Donnerwetter, während des Frühstücks und den Weg entlang habe ich conjungirt, daß mir grün vor den Augen wurde. -- Kurz nach drei muß ich abgeschnappt sein. Die Feder hat mir noch einen Klex in's Buch gemacht. Die Lampe qualmte als Mathilde mich weckte; in den Fliederbüschen unter dem Fenster zwitscherten die Amseln so lebensfroh -- mir ward gleich wieder unsagbar melancholisch zu Muthe. Ich band mir den Kragen um und fuhr mit der Bürste durch's Haar. -- -- Aber man fühlt sich, wenn man seiner Natur etwas abgerungen! Melchior. Darf ich dir eine Cigarette drehen? Moritz. Danke, ich rauche nicht. -- Wenn es nun nur so weiter geht! Ich will arbeiten und arbeiten bis mir die Augen zum Kopf herausplatzen. -- Ernst Röbel hat seit den Ferien [Abbildung]
Zweiter Act. Erſte Scene. Abend auf Melchior's Studierzimmer. Das Fenſter ſteht offen, die Lampe brennt auf dem Tiſch. — Melchior und Moritz auf dem Kanapee. Moritz. Jetzt bin ich wieder ganz munter, nur etwas aufgeregt. — Aber in der Griechiſchſtunde habe ich doch geſchlafen wie der beſoffene Poliphem. Nimmt mich Wunder, daß mich der alte Zungenſchlag nicht in die Ohren gezwickt. — Heut früh wäre ich um ein Haar noch zu ſpät gekommen. — Mein erſter Gedanke beim Erwachen waren die Verba auf μι. — Himmel- Herrgott-Teufel-Donnerwetter, während des Frühſtücks und den Weg entlang habe ich conjungirt, daß mir grün vor den Augen wurde. — Kurz nach drei muß ich abgeſchnappt ſein. Die Feder hat mir noch einen Klex in's Buch gemacht. Die Lampe qualmte als Mathilde mich weckte; in den Fliederbüſchen unter dem Fenſter zwitſcherten die Amſeln ſo lebensfroh — mir ward gleich wieder unſagbar melancholiſch zu Muthe. Ich band mir den Kragen um und fuhr mit der Bürſte durch's Haar. — — Aber man fühlt ſich, wenn man ſeiner Natur etwas abgerungen! Melchior. Darf ich dir eine Cigarette drehen? Moritz. Danke, ich rauche nicht. — Wenn es nun nur ſo weiter geht! Ich will arbeiten und arbeiten bis mir die Augen zum Kopf herausplatzen. — Ernſt Röbel hat ſeit den Ferien <TEI> <text> <body> <pb n="[25]" facs="#f0041"/> <figure rendition="#c"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Zweiter Act</hi>.</hi> </head><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Erſte Scene.</hi> </head><lb/> <stage> <hi rendition="#c">Abend auf Melchior's <hi rendition="#g">Studierzimmer</hi>. Das Fenſter ſteht offen, die<lb/> Lampe brennt auf dem Tiſch. — <hi rendition="#g">Melchior</hi> und <hi rendition="#g">Moritz</hi> auf dem Kanapee.</hi> </stage><lb/> <sp who="#MOR"> <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker> <p>Jetzt bin ich wieder ganz munter, nur etwas<lb/> aufgeregt. — Aber in der Griechiſchſtunde habe ich doch geſchlafen<lb/> wie der beſoffene Poliphem. Nimmt mich Wunder, daß mich der<lb/> alte Zungenſchlag nicht in die Ohren gezwickt. — Heut früh<lb/> wäre ich um ein Haar noch zu ſpät gekommen. — Mein erſter<lb/> Gedanke beim Erwachen waren die Verba auf μι. — Himmel-<lb/> Herrgott-Teufel-Donnerwetter, während des Frühſtücks und den<lb/> Weg entlang habe ich conjungirt, daß mir grün vor den Augen<lb/> wurde. — Kurz nach drei muß ich abgeſchnappt ſein. Die Feder<lb/> hat mir noch einen Klex in's Buch gemacht. Die Lampe qualmte<lb/> als Mathilde mich weckte; in den Fliederbüſchen unter dem<lb/> Fenſter zwitſcherten die Amſeln ſo lebensfroh — mir ward gleich<lb/> wieder unſagbar melancholiſch zu Muthe. Ich band mir den<lb/> Kragen um und fuhr mit der Bürſte durch's Haar. — — Aber<lb/> man fühlt ſich, wenn man ſeiner Natur etwas abgerungen!</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker> <p>Darf ich dir eine Cigarette drehen?</p> </sp><lb/> <sp who="#MOR"> <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker> <p>Danke, ich rauche nicht. — Wenn es nun nur ſo<lb/> weiter geht! Ich will arbeiten und arbeiten bis mir die Augen<lb/> zum Kopf herausplatzen. — Ernſt Röbel hat ſeit den Ferien<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[25]/0041]
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Zweiter Act.
Erſte Scene.
Abend auf Melchior's Studierzimmer. Das Fenſter ſteht offen, die
Lampe brennt auf dem Tiſch. — Melchior und Moritz auf dem Kanapee.
Moritz. Jetzt bin ich wieder ganz munter, nur etwas
aufgeregt. — Aber in der Griechiſchſtunde habe ich doch geſchlafen
wie der beſoffene Poliphem. Nimmt mich Wunder, daß mich der
alte Zungenſchlag nicht in die Ohren gezwickt. — Heut früh
wäre ich um ein Haar noch zu ſpät gekommen. — Mein erſter
Gedanke beim Erwachen waren die Verba auf μι. — Himmel-
Herrgott-Teufel-Donnerwetter, während des Frühſtücks und den
Weg entlang habe ich conjungirt, daß mir grün vor den Augen
wurde. — Kurz nach drei muß ich abgeſchnappt ſein. Die Feder
hat mir noch einen Klex in's Buch gemacht. Die Lampe qualmte
als Mathilde mich weckte; in den Fliederbüſchen unter dem
Fenſter zwitſcherten die Amſeln ſo lebensfroh — mir ward gleich
wieder unſagbar melancholiſch zu Muthe. Ich band mir den
Kragen um und fuhr mit der Bürſte durch's Haar. — — Aber
man fühlt ſich, wenn man ſeiner Natur etwas abgerungen!
Melchior. Darf ich dir eine Cigarette drehen?
Moritz. Danke, ich rauche nicht. — Wenn es nun nur ſo
weiter geht! Ich will arbeiten und arbeiten bis mir die Augen
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Zitationshilfe: | Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. [25]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/41>, abgerufen am 03.03.2025. |