Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873.[Spaltenumbruch] 149 Wozu einer von Natur geneigt ist, dazu ist er leicht abzurichten. *150 Alles, was die Natur hervorgebracht. Lat.: Quodcunque in solum venit. (Tullius.) (Erasm., 7.) *151 Die Natur hat an ihm die Stiefmutter gemacht. - Eiselein, 580. *152 Die Natur langt nicht. Von jemand, der zu klein ist, einen Gegenstand zu erreichen. *153 Es ist eine problematische Natur. - Büchmann, 57. Dieser Ausdruck ist durch einen Roman Spielhagen's, der den Titel Problematische Naturen hat, sprichwörtlich geworden. In Bd. 3, Kap. 2 wird darin die Frage aufgeworfen: "Was nennen sie problematische Naturen?" Und geantwortet: "Es ist ein Goethe'scher Ausdruck und kommt in einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat." Diese Stelle befindet sich aber nicht, wie dort angenommen wird, in Wahrheit und Dichtung, sondern in den Sprüchen in Prosa, wo sie lautet: "Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keiner genug thut. Daraus entsteht der ungeheuere Widerstreit, der das Leben ohne Genuss verzehrt." (Vgl. G. von Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 127.) Diesem Spruch hat Spielhagen Idee und Titel seines Romans entnommen. Goethe kommt in seinen Sprüchen wiederholt auf diese Naturen zurück. So sagt er (Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 17): "Die Botaniker haben eine Pflanzenabtheilung, die sie Incompletae nennen; man kann aber auch sagen, dass es incomplete, unvollständige Menschen gibt. Es sind diejenigen, deren Sehnsucht und Streben mit ihrem Thun und Leisten nicht proportionirt ist." Und a. a. O. (Nr. 75) lautet ein anderer Spruch: "Es ist traurig, anzusehen, wie ein ausserordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel Bürger." *154 Er ist verliebter Natur. *155 Er jagt die Natur zum Fenster hinaus und lässt sie bei der Hausthür wieder herein. - Sailer, 310. Der falsche Tugendfreund. *156 Von der Natur stiefmütterlich bedacht sein. - Braun, I, 4298. Natürlich. 1 Es ist ganz natürlich, dass ein todt Pferd still liegt. Holl.: Het is natuurlijk, dat een dood paard stil ligt. (Harrebomee, II, 163a.) 2 He, natürlich, sagte die Nonne, als sie ein Kind bekam. - Klosterspiegel, 9, 9. 3 Was natürlich gaht, das bestaht. - Liedersaal. 4 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen. - Schamelius, 102, 10. In Japan baden sich beide Geschlechter gemeinschaftlich, und Frauen und Mädchen besuchen den Tempel, der dem Gotte ehelicher Fruchtbarkeit gewidmet und mit Symbolen derselben reich verziert ist, ohne irgendwelche Verschämtheit. (G. Spiess, Die preussische Expedition nach Ostasien, Leipzig 1864.) Lat.: Naturalia non sunt turpia. (Binder II, 1978; Schamelius, 102, 10.) 5 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen, sagte der Kerl, und setzte einen Haufen auf den Markt. Naturrecht. * Er studirt Naturrecht im Busentuch einer jungen (schönen) Maid. Naube, s. Naupe. Naugard. * Er wird (noch) nach Naugard kommen. D. h. ins Zuchthaus, weil diese Stadt eine solche Anstalt besitzt. (Schmidt, Jubelschrift, 20.) Naumburg. Wenn Naumburg mein wäre, wollte ich's in Jena verzehren. (S. Leipzig 8 und Nürnberg.) - Körte, 4499; Simrock, 7449. Naumburger. Die Naumburger sind keine Prasser, aber sie trinken lieber (mehr) Wein als Wasser. Naupe. *1 Der hat seine Naupen. - Tendlau, 422. Von einem Menschen, mit dem schwer auszukommen ist, der seine Eigenheiten, Einbildungen, Launen hat. Auch von Dingen und Unternehmungen, die schwierig sind, sagt man: Das Ding hat seine Naupen. Die Erklärung des Wortes Naupe oder Naube ist schwierig.[Spaltenumbruch] Schmeller (Wb.) hält es mit gnaupen, knaupen, Bewegungen wie ein Hinkender machen, zusammen. Bei den Talmudisten kommen, um Schwierigkeiten zu bezeichnen, ähnliche Redensarten vor, als: Hier seh' ich einen Knoten, und bei doppelten Schwierigkeiten: Man hat ihm zwei Knoten gemacht. (Jebamoth, 61b u. 107.) *2 Dös Ding hat seine (ihre) Naube. (Esslingen.) Die Sache hat ihre Schwierigkeiten. Nazareth. Was kann aus Nazareth Gutes kommen. Holl.: Kan ook iets goeds uit Nazareth komen? (Harrebomee, II, 118a.) Lat.: Semper affert Libya mali quidpiam. (Philippi, II, 173.) Neapel. 1 Neapel ist die erste Stadt der Welt. - Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713. 2 Neapel ist ein Paradies, darin nichts als lauter Teufel wohnen. - Berckenmeyer, 190; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713. Höchst günstiges Urtheil über die vortreffliche geographische Lage Neapels und seine herrliche Natur, aber ein desto ungünstigeres für dessen Bewohner, auch wenn man von der Allgemeinheit des obigen Sprichworts ganz absieht. (Vgl. über dies Sprichwort auch: Joh. Andr. Bühel, Oratio de proverbio Italorum: Regnum Neapolitanum Paradisus est, sed a diabolis habitatus, Altdorf 1707, 4.) 3 Neapel scheint vom Himmel herabgefallen zu sein. - Berckenmeyer, 189; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713. 4 Neapels Vicekönig muss für drei F sorgen: Feste, Farine, Forche. D. i. Vergnügen (Zerstreuung, Unterhaltung), Brot und Galgen. (Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.) 5 Sieh Neapel und dann stirb! So ruft der Lazzarone in patriotischer Begeisterung, und nennt sein Neapel ein auf die Erde gefallenes Stück vom Himmel. Wahr ist es, kein anderer Erdstrich kann des Besitzes so vieler Vorzüge sich rühmen als dieser. Zu allen Jahreszeiten ist die Luft balsamisch und mild, und selbst die Hitze des Hochsommers wird so sehr gemildert durch die Kühlung des Meeres, dass sie nur dann lästig wird, wenn der Scirocco weht. (Meyer's Universal-Lexikon, 35, 53.) Aber ebendarum erscheint das Gegentheil der Redensart viel natürlicher, nämlich: "Sieh Neapel und hasse den Tod!" - "Man liebt Neapel", schreibt Alexander Herzen (Febr. 1848), "sobald man nur hineintritt; und hätten Sie nur Einen Tag dort verbracht, so erinnerten Sie sich dieses seligen Tags mit einem tiefen Seufzer." (Neuyorker Abendzeitung, 1850, Nr. 19.) It.: Vedi Napoli e poi muori. (Bohn I, 131.) 6 Wenn das Königreich Neapel in fünf Theile getheilt würde, so würde man finden, dass vier Theile den Pfaffen gehören. - Berckenmeyer, 189. Nebbig (s. Osser). 1 Nebbig1 a Nejphele2. (Jüd.-deutsch. Warschau.) 1) Leider. 2) Abortirtes Kind. - Von einem durchtriebenen Menschen, der sich einfältig stellt. 2 Nebbig, sagt Goethe. (Königsberg.) - Frischbier2, 2763. Da mir ein solcher Ausspruch Goethe's nirgends begegnet war, wandte ich mich an den Herrn von Loeper, den auf gründliche Quellenstudien sich stützenden Herausgeber Goethe'scher Werke, der mir darüber Folgendes schreibt: "Nebbig, sagt Goethe nirgends. Es existirt auch meines Wissens kein Ausspruch von ihm, der hierauf bezogen werden könnte. An eine Corruption aus >Mephisto< ist z. B. nicht zu denken. Ich finde vielmehr in den Ausdrücken eine scherzhafte Gegenüberstellung einer positiven und einer negativen Formel. Sagt der eine >He<, so sagt der andere >Hott<; sagt einer >Ja<, so der andere >Nein<. In >Osser< steckt eine Bejahung, ein >Oui Sire<, oder Aehnliches. Hat nun Schiller >Ja< gesagt; so muss Goethe >Nein< sagen. Der Spruch könnte in Berlin auch lauten: >Is nich, sagt Goethe<; >Nebbich< thut dieselben Dienste. Aehnlich ist das Dictum vom weisen Salomo und dem grossen Alexander, ob alle Weiber stinken oder nicht." Tendlau (633) bei der Erklärung der jüdisch-deutschen Redensart Er is newich e Rachmones, d. i.: Er ist leider zum Erbarmen, sagt darüber: ">Newich< oder >Nebich<, das mir durch >leider< gegeben, ist ein sehr schwieriges Wort. Es hat oft den Sinn von: >Gott bewahre< oder >leider<, oft aber drückt es blos eine gemüthliche Theilnahme aus, ohne auf ein Unglück zu deuten. So heisst es z. B. in der Sage von Joseph (Tendlau, Buch der Sagen, XIX): >Das war dem guten Joseph nebich eine grosse Freud, dass er einen solchen Fisch auf den Schabbes könnt bekommen.<" - Zunz (Gottesdienstl. Vorträge, 441) hält das Wort für polnischen Ursprungs und schreibt "nebbach". Andere nehmen es für zusammengezogen aus: "nit bei euch" altdeutsch "ne bi uch," wie das gleichbedeutende hebräische lo alechem, um bei dem Zuhörer das Anklagen eines Uebels zu verhüten, und das ebenfalls hebräische lo [Spaltenumbruch] 149 Wozu einer von Natur geneigt ist, dazu ist er leicht abzurichten. *150 Alles, was die Natur hervorgebracht. Lat.: Quodcunque in solum venit. (Tullius.) (Erasm., 7.) *151 Die Natur hat an ihm die Stiefmutter gemacht. – Eiselein, 580. *152 Die Natur langt nicht. Von jemand, der zu klein ist, einen Gegenstand zu erreichen. *153 Es ist eine problematische Natur. – Büchmann, 57. Dieser Ausdruck ist durch einen Roman Spielhagen's, der den Titel Problematische Naturen hat, sprichwörtlich geworden. In Bd. 3, Kap. 2 wird darin die Frage aufgeworfen: „Was nennen sie problematische Naturen?“ Und geantwortet: „Es ist ein Goethe'scher Ausdruck und kommt in einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat.“ Diese Stelle befindet sich aber nicht, wie dort angenommen wird, in Wahrheit und Dichtung, sondern in den Sprüchen in Prosa, wo sie lautet: „Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keiner genug thut. Daraus entsteht der ungeheuere Widerstreit, der das Leben ohne Genuss verzehrt.“ (Vgl. G. von Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 127.) Diesem Spruch hat Spielhagen Idee und Titel seines Romans entnommen. Goethe kommt in seinen Sprüchen wiederholt auf diese Naturen zurück. So sagt er (Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 17): „Die Botaniker haben eine Pflanzenabtheilung, die sie Incompletae nennen; man kann aber auch sagen, dass es incomplete, unvollständige Menschen gibt. Es sind diejenigen, deren Sehnsucht und Streben mit ihrem Thun und Leisten nicht proportionirt ist.“ Und a. a. O. (Nr. 75) lautet ein anderer Spruch: „Es ist traurig, anzusehen, wie ein ausserordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel Bürger.“ *154 Er ist verliebter Natur. *155 Er jagt die Natur zum Fenster hinaus und lässt sie bei der Hausthür wieder herein. – Sailer, 310. Der falsche Tugendfreund. *156 Von der Natur stiefmütterlich bedacht sein. – Braun, I, 4298. Natürlich. 1 Es ist ganz natürlich, dass ein todt Pferd still liegt. Holl.: Het is natuurlijk, dat een dood paard stil ligt. (Harrebomée, II, 163a.) 2 He, natürlich, sagte die Nonne, als sie ein Kind bekam. – Klosterspiegel, 9, 9. 3 Was natürlich gaht, das bestaht. – Liedersaal. 4 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen. – Schamelius, 102, 10. In Japan baden sich beide Geschlechter gemeinschaftlich, und Frauen und Mädchen besuchen den Tempel, der dem Gotte ehelicher Fruchtbarkeit gewidmet und mit Symbolen derselben reich verziert ist, ohne irgendwelche Verschämtheit. (G. Spiess, Die preussische Expedition nach Ostasien, Leipzig 1864.) Lat.: Naturalia non sunt turpia. (Binder II, 1978; Schamelius, 102, 10.) 5 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen, sagte der Kerl, und setzte einen Haufen auf den Markt. Naturrecht. * Er studirt Naturrecht im Busentuch einer jungen (schönen) Maid. Naube, s. Naupe. Naugard. * Er wird (noch) nach Naugard kommen. D. h. ins Zuchthaus, weil diese Stadt eine solche Anstalt besitzt. (Schmidt, Jubelschrift, 20.) Naumburg. Wenn Naumburg mein wäre, wollte ich's in Jena verzehren. (S. Leipzig 8 und Nürnberg.) – Körte, 4499; Simrock, 7449. Naumburger. Die Naumburger sind keine Prasser, aber sie trinken lieber (mehr) Wein als Wasser. Naupe. *1 Der hat seine Naupen. – Tendlau, 422. Von einem Menschen, mit dem schwer auszukommen ist, der seine Eigenheiten, Einbildungen, Launen hat. Auch von Dingen und Unternehmungen, die schwierig sind, sagt man: Das Ding hat seine Naupen. Die Erklärung des Wortes Naupe oder Naube ist schwierig.[Spaltenumbruch] Schmeller (Wb.) hält es mit gnaupen, knaupen, Bewegungen wie ein Hinkender machen, zusammen. Bei den Talmudisten kommen, um Schwierigkeiten zu bezeichnen, ähnliche Redensarten vor, als: Hier seh' ich einen Knoten, und bei doppelten Schwierigkeiten: Man hat ihm zwei Knoten gemacht. (Jebamoth, 61b u. 107.) *2 Dös Ding hat seine (ihre) Naube. (Esslingen.) Die Sache hat ihre Schwierigkeiten. Nazareth. Was kann aus Nazareth Gutes kommen. Holl.: Kan ook iets goeds uit Nazareth komen? (Harrebomée, II, 118a.) Lat.: Semper affert Libya mali quidpiam. (Philippi, II, 173.) Neapel. 1 Neapel ist die erste Stadt der Welt. – Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713. 2 Neapel ist ein Paradies, darin nichts als lauter Teufel wohnen. – Berckenmeyer, 190; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713. Höchst günstiges Urtheil über die vortreffliche geographische Lage Neapels und seine herrliche Natur, aber ein desto ungünstigeres für dessen Bewohner, auch wenn man von der Allgemeinheit des obigen Sprichworts ganz absieht. (Vgl. über dies Sprichwort auch: Joh. Andr. Bühel, Oratio de proverbio Italorum: Regnum Neapolitanum Paradisus est, sed a diabolis habitatus, Altdorf 1707, 4.) 3 Neapel scheint vom Himmel herabgefallen zu sein. – Berckenmeyer, 189; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713. 4 Neapels Vicekönig muss für drei F sorgen: Feste, Farine, Forche. D. i. Vergnügen (Zerstreuung, Unterhaltung), Brot und Galgen. (Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.) 5 Sieh Neapel und dann stirb! So ruft der Lazzarone in patriotischer Begeisterung, und nennt sein Neapel ein auf die Erde gefallenes Stück vom Himmel. Wahr ist es, kein anderer Erdstrich kann des Besitzes so vieler Vorzüge sich rühmen als dieser. Zu allen Jahreszeiten ist die Luft balsamisch und mild, und selbst die Hitze des Hochsommers wird so sehr gemildert durch die Kühlung des Meeres, dass sie nur dann lästig wird, wenn der Scirocco weht. (Meyer's Universal-Lexikon, 35, 53.) Aber ebendarum erscheint das Gegentheil der Redensart viel natürlicher, nämlich: „Sieh Neapel und hasse den Tod!“ – „Man liebt Neapel“, schreibt Alexander Herzen (Febr. 1848), „sobald man nur hineintritt; und hätten Sie nur Einen Tag dort verbracht, so erinnerten Sie sich dieses seligen Tags mit einem tiefen Seufzer.“ (Neuyorker Abendzeitung, 1850, Nr. 19.) It.: Vedi Napoli e poi muori. (Bohn I, 131.) 6 Wenn das Königreich Neapel in fünf Theile getheilt würde, so würde man finden, dass vier Theile den Pfaffen gehören. – Berckenmeyer, 189. Nebbig (s. Osser). 1 Nebbig1 a Nejphele2. (Jüd.-deutsch. Warschau.) 1) Leider. 2) Abortirtes Kind. – Von einem durchtriebenen Menschen, der sich einfältig stellt. 2 Nebbig, sagt Goethe. (Königsberg.) – Frischbier2, 2763. Da mir ein solcher Ausspruch Goethe's nirgends begegnet war, wandte ich mich an den Herrn von Loeper, den auf gründliche Quellenstudien sich stützenden Herausgeber Goethe'scher Werke, der mir darüber Folgendes schreibt: „Nebbig, sagt Goethe nirgends. Es existirt auch meines Wissens kein Ausspruch von ihm, der hierauf bezogen werden könnte. An eine Corruption aus ›Mephisto‹ ist z. B. nicht zu denken. Ich finde vielmehr in den Ausdrücken eine scherzhafte Gegenüberstellung einer positiven und einer negativen Formel. Sagt der eine ›He‹, so sagt der andere ›Hott‹; sagt einer ›Ja‹, so der andere ›Nein‹. In ›Osser‹ steckt eine Bejahung, ein ›Oui Sire‹, oder Aehnliches. Hat nun Schiller ›Ja‹ gesagt; so muss Goethe ›Nein‹ sagen. Der Spruch könnte in Berlin auch lauten: ›Is nich, sagt Goethe‹; ›Nebbich‹ thut dieselben Dienste. Aehnlich ist das Dictum vom weisen Salomo und dem grossen Alexander, ob alle Weiber stinken oder nicht.“ Tendlau (633) bei der Erklärung der jüdisch-deutschen Redensart Er is newich e Rachmones, d. i.: Er ist leider zum Erbarmen, sagt darüber: „›Newich‹ oder ›Nebich‹, das mir durch ›leider‹ gegeben, ist ein sehr schwieriges Wort. Es hat oft den Sinn von: ›Gott bewahre‹ oder ›leider‹, oft aber drückt es blos eine gemüthliche Theilnahme aus, ohne auf ein Unglück zu deuten. So heisst es z. B. in der Sage von Joseph (Tendlau, Buch der Sagen, XIX): ›Das war dem guten Joseph nebich eine grosse Freud, dass er einen solchen Fisch auf den Schabbes könnt bekommen.‹“ – Zunz (Gottesdienstl. Vorträge, 441) hält das Wort für polnischen Ursprungs und schreibt „nebbach“. Andere nehmen es für zusammengezogen aus: „nit bei euch“ altdeutsch „ne bi uch,“ wie das gleichbedeutende hebräische lo aléchem, um bei dem Zuhörer das Anklagen eines Uebels zu verhüten, und das ebenfalls hebräische lo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger"><pb facs="#f0502" n="[488]"/><cb n="975"/> 149 Wozu einer von Natur geneigt ist, dazu ist er leicht abzurichten.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">*150 Alles, was die Natur hervorgebracht.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et2"><hi rendition="#i">Lat.</hi>: Quodcunque in solum venit. (<hi rendition="#i">Tullius.</hi>) (<hi rendition="#i">Erasm., 7.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">*151 Die Natur hat an ihm die Stiefmutter gemacht.</hi> – <hi rendition="#i">Eiselein, 580.</hi></p><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">*152 Die Natur langt nicht.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et">Von jemand, der zu klein ist, einen Gegenstand zu erreichen.</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">*153 Es ist eine problematische Natur.</hi> – <hi rendition="#i">Büchmann, 57.</hi></p><lb/> <p rendition="#et">Dieser Ausdruck ist durch einen Roman <hi rendition="#i">Spielhagen's,</hi> der den Titel <hi rendition="#i">Problematische Naturen</hi> hat, sprichwörtlich geworden. In Bd. 3, Kap. 2 wird darin die Frage aufgeworfen: „Was nennen sie problematische Naturen?“ Und geantwortet: „Es ist ein <hi rendition="#i">Goethe'scher</hi> Ausdruck und kommt in einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat.“ Diese Stelle befindet sich aber nicht, wie dort angenommen wird, in <hi rendition="#i">Wahrheit und Dichtung,</hi> sondern in den Sprüchen in Prosa, wo sie lautet: „Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keiner genug thut. Daraus entsteht der ungeheuere Widerstreit, der das Leben ohne Genuss verzehrt.“ (Vgl. <hi rendition="#i">G. von Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 127.</hi>) Diesem Spruch hat <hi rendition="#i">Spielhagen</hi> Idee und Titel seines Romans entnommen. <hi rendition="#i">Goethe</hi> kommt in seinen Sprüchen wiederholt auf diese Naturen zurück. So sagt er (<hi rendition="#i">Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 17</hi>): „Die Botaniker haben eine Pflanzenabtheilung, die sie Incompletae nennen; man kann aber auch sagen, dass es incomplete, unvollständige Menschen gibt. Es sind diejenigen, deren Sehnsucht und Streben mit ihrem Thun und Leisten nicht proportionirt ist.“ Und a. a. O. (Nr. 75) lautet ein anderer Spruch: „Es ist traurig, anzusehen, wie ein ausserordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel Bürger.“</p><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">*154 Er ist verliebter Natur.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">*155 Er jagt die Natur zum Fenster hinaus und lässt sie bei der Hausthür wieder herein.</hi> – <hi rendition="#i">Sailer, 310.</hi></p><lb/> <p rendition="#et">Der falsche Tugendfreund.</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">*156 Von der Natur stiefmütterlich bedacht sein.</hi> – <hi rendition="#i">Braun, I, 4298.</hi></p><lb/> <p/><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Natürlich.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">1 Es ist ganz natürlich, dass ein todt Pferd still liegt.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et2"><hi rendition="#i">Holl.</hi>: Het is natuurlijk, dat een dood paard stil ligt. (<hi rendition="#i">Harrebomée, II, 163<hi rendition="#sup">a</hi>.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">2 He, natürlich, sagte die Nonne, als sie ein Kind bekam.</hi> – <hi rendition="#i">Klosterspiegel, 9, 9.</hi></p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">3 Was natürlich gaht, das bestaht.</hi> – <hi rendition="#i">Liedersaal.</hi></p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">4 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen.</hi> – <hi rendition="#i">Schamelius, 102, 10.</hi></p><lb/> <p rendition="#et">In Japan baden sich beide Geschlechter gemeinschaftlich, und Frauen und Mädchen besuchen den Tempel, der dem Gotte ehelicher Fruchtbarkeit gewidmet und mit Symbolen derselben reich verziert ist, ohne irgendwelche Verschämtheit. (<hi rendition="#i">G. Spiess, Die preussische Expedition nach Ostasien, Leipzig 1864.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et2"><hi rendition="#i">Lat.</hi>: Naturalia non sunt turpia. (<hi rendition="#i">Binder II, 1978; Schamelius, 102, 10.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">5 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen, sagte der Kerl, und setzte einen Haufen auf den Markt.</hi> </p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Naturrecht.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">* Er studirt Naturrecht im Busentuch einer jungen (schönen) Maid.</hi> </p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head><hi rendition="#b">Naube,</hi> s. Naupe.</head><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Naugard.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">* Er wird (noch) nach Naugard kommen.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et">D. h. ins Zuchthaus, weil diese Stadt eine solche Anstalt besitzt. (<hi rendition="#i">Schmidt, Jubelschrift, 20.</hi>)</p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Naumburg.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">Wenn Naumburg mein wäre, wollte ich's in Jena verzehren.</hi> (S. Leipzig 8 und Nürnberg.) – <hi rendition="#i">Körte, 4499; Simrock, 7449.</hi></p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Naumburger.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">Die Naumburger sind keine Prasser, aber sie trinken lieber (mehr) Wein als Wasser.</hi> </p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Naupe.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">*1 Der hat seine Naupen.</hi> – <hi rendition="#i">Tendlau, 422.</hi></p><lb/> <p rendition="#et">Von einem Menschen, mit dem schwer auszukommen ist, der seine Eigenheiten, Einbildungen, Launen hat. Auch von Dingen und Unternehmungen, die schwierig sind, sagt man: Das Ding hat seine Naupen. Die Erklärung des Wortes Naupe oder Naube ist schwierig.<hi rendition="#i"><cb n="976"/> Schmeller (Wb.</hi>) hält es mit gnaupen, knaupen, Bewegungen wie ein Hinkender machen, zusammen. Bei den Talmudisten kommen, um Schwierigkeiten zu bezeichnen, ähnliche Redensarten vor, als: Hier seh' ich einen Knoten, und bei doppelten Schwierigkeiten: Man hat ihm zwei Knoten gemacht. (<hi rendition="#i">Jebamoth, 61<hi rendition="#sup">b</hi> u. 107.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">*2 Dös Ding hat seine (ihre) Naube.</hi> (<hi rendition="#i">Esslingen.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et">Die Sache hat ihre Schwierigkeiten.</p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Nazareth.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">Was kann aus Nazareth Gutes kommen.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et2"><hi rendition="#i">Holl.</hi>: Kan ook iets goeds uit Nazareth komen? (<hi rendition="#i">Harrebomée, II, 118<hi rendition="#sup">a</hi>.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et2"><hi rendition="#i">Lat.</hi>: Semper affert Libya mali quidpiam. (<hi rendition="#i">Philippi, II, 173.</hi>)</p><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Neapel.</hi> </head><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">1 Neapel ist die erste Stadt der Welt.</hi> – <hi rendition="#i">Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.</hi></p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">2 Neapel ist ein Paradies, darin nichts als lauter Teufel wohnen.</hi> – <hi rendition="#i">Berckenmeyer, 190; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.</hi></p><lb/> <p rendition="#et">Höchst günstiges Urtheil über die vortreffliche geographische Lage Neapels und seine herrliche Natur, aber ein desto ungünstigeres für dessen Bewohner, auch wenn man von der Allgemeinheit des obigen Sprichworts ganz absieht. (Vgl. über dies Sprichwort auch: Joh. Andr. Bühel, Oratio de proverbio Italorum: Regnum Neapolitanum Paradisus est, sed a diabolis habitatus, <hi rendition="#i">Altdorf 1707, 4.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">3 Neapel scheint vom Himmel herabgefallen zu sein.</hi> – <hi rendition="#i">Berckenmeyer, 189; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.</hi></p><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">4 Neapels Vicekönig muss für drei F sorgen: Feste, Farine, Forche.</hi> </p><lb/> <p rendition="#et">D. i. Vergnügen (Zerstreuung, Unterhaltung), Brot und Galgen. (<hi rendition="#i">Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"> <hi rendition="#larger">5 Sieh Neapel und dann stirb!</hi> </p><lb/> <p rendition="#et">So ruft der Lazzarone in patriotischer Begeisterung, und nennt sein Neapel ein auf die Erde gefallenes Stück vom Himmel. Wahr ist es, kein anderer Erdstrich kann des Besitzes so vieler Vorzüge sich rühmen als dieser. Zu allen Jahreszeiten ist die Luft balsamisch und mild, und selbst die Hitze des Hochsommers wird so sehr gemildert durch die Kühlung des Meeres, dass sie nur dann lästig wird, wenn der Scirocco weht. (<hi rendition="#i">Meyer's Universal-Lexikon, 35, 53.</hi>) Aber ebendarum erscheint das Gegentheil der Redensart viel natürlicher, nämlich: „Sieh Neapel und hasse den Tod!“ – „Man liebt Neapel“, schreibt <hi rendition="#i">Alexander Herzen</hi> (Febr. 1848), „sobald man nur hineintritt; und hätten Sie nur Einen Tag dort verbracht, so erinnerten Sie sich dieses seligen Tags mit einem tiefen Seufzer.“ (<hi rendition="#i">Neuyorker Abendzeitung, 1850, Nr. 19.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et2"><hi rendition="#i">It.</hi>: Vedi Napoli e poi muori. (<hi rendition="#i">Bohn I, 131.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">6 Wenn das Königreich Neapel in fünf Theile getheilt würde, so würde man finden, dass vier Theile den Pfaffen gehören.</hi> – <hi rendition="#i">Berckenmeyer, 189.</hi></p><lb/> <p/><lb/> </div> <div type="lexiconEntry" n="2"> <head><hi rendition="#b">Nebbig</hi> (s. Osser).</head><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">1 Nebbig<hi rendition="#sup">1</hi> a Nejphele<hi rendition="#sup">2</hi>.</hi> (<hi rendition="#i">Jüd.-deutsch. Warschau.</hi>)</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#sup">1</hi>) Leider.</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#sup">2</hi>) Abortirtes Kind. – Von einem durchtriebenen Menschen, der sich einfältig stellt.</p><lb/> <p rendition="#et"><hi rendition="#larger">2 Nebbig, sagt Goethe.</hi> (<hi rendition="#i">Königsberg.</hi>) – <hi rendition="#i">Frischbier<hi rendition="#sup">2</hi>, 2763.</hi></p><lb/> <p rendition="#et">Da mir ein solcher Ausspruch <hi rendition="#i">Goethe's</hi> nirgends begegnet war, wandte ich mich an den Herrn <hi rendition="#i">von Loeper,</hi> den auf gründliche Quellenstudien sich stützenden Herausgeber <hi rendition="#i">Goethe'scher Werke,</hi> der mir darüber Folgendes schreibt: „Nebbig, sagt <hi rendition="#i">Goethe</hi> nirgends. Es existirt auch meines Wissens kein Ausspruch von ihm, der hierauf bezogen werden könnte. An eine Corruption aus ›Mephisto‹ ist z. B. nicht zu denken. Ich finde vielmehr in den Ausdrücken eine scherzhafte Gegenüberstellung einer positiven und einer negativen Formel. Sagt der eine ›He‹, so sagt der andere ›Hott‹; sagt einer ›Ja‹, so der andere ›Nein‹. In ›Osser‹ steckt eine Bejahung, ein ›Oui Sire‹, oder Aehnliches. Hat nun <hi rendition="#i">Schiller</hi> ›Ja‹ gesagt; so muss <hi rendition="#i">Goethe</hi> ›Nein‹ sagen. Der Spruch könnte in Berlin auch lauten: ›Is nich, sagt Goethe‹; ›Nebbich‹ thut dieselben Dienste. Aehnlich ist das Dictum vom weisen Salomo und dem grossen Alexander, ob alle Weiber stinken oder nicht.“ <hi rendition="#i">Tendlau (633)</hi> bei der Erklärung der jüdisch-deutschen Redensart Er is newich e Rachmones, d. i.: Er ist leider zum Erbarmen, sagt darüber: „›Newich‹ oder ›Nebich‹, das mir durch ›leider‹ gegeben, ist ein sehr schwieriges Wort. Es hat oft den Sinn von: ›Gott bewahre‹ oder ›leider‹, oft aber drückt es blos eine gemüthliche Theilnahme aus, ohne auf ein Unglück zu deuten. So heisst es z. B. in der Sage von Joseph (<hi rendition="#i">Tendlau, Buch der Sagen, XIX</hi>): ›Das war dem guten Joseph nebich eine grosse Freud, dass er einen solchen Fisch auf den Schabbes könnt bekommen.‹“ – <hi rendition="#i">Zunz (Gottesdienstl. Vorträge, 441</hi>) hält das Wort für polnischen Ursprungs und schreibt „nebbach“. Andere nehmen es für zusammengezogen aus: „nit bei euch“ altdeutsch „ne bi uch,“ wie das gleichbedeutende hebräische lo aléchem, um bei dem Zuhörer das Anklagen eines Uebels zu verhüten, und das ebenfalls hebräische lo </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[488]/0502]
149 Wozu einer von Natur geneigt ist, dazu ist er leicht abzurichten.
*150 Alles, was die Natur hervorgebracht.
Lat.: Quodcunque in solum venit. (Tullius.) (Erasm., 7.)
*151 Die Natur hat an ihm die Stiefmutter gemacht. – Eiselein, 580.
*152 Die Natur langt nicht.
Von jemand, der zu klein ist, einen Gegenstand zu erreichen.
*153 Es ist eine problematische Natur. – Büchmann, 57.
Dieser Ausdruck ist durch einen Roman Spielhagen's, der den Titel Problematische Naturen hat, sprichwörtlich geworden. In Bd. 3, Kap. 2 wird darin die Frage aufgeworfen: „Was nennen sie problematische Naturen?“ Und geantwortet: „Es ist ein Goethe'scher Ausdruck und kommt in einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat.“ Diese Stelle befindet sich aber nicht, wie dort angenommen wird, in Wahrheit und Dichtung, sondern in den Sprüchen in Prosa, wo sie lautet: „Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keiner genug thut. Daraus entsteht der ungeheuere Widerstreit, der das Leben ohne Genuss verzehrt.“ (Vgl. G. von Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 127.) Diesem Spruch hat Spielhagen Idee und Titel seines Romans entnommen. Goethe kommt in seinen Sprüchen wiederholt auf diese Naturen zurück. So sagt er (Loeper, Goethe's Sprüche, Nr. 17): „Die Botaniker haben eine Pflanzenabtheilung, die sie Incompletae nennen; man kann aber auch sagen, dass es incomplete, unvollständige Menschen gibt. Es sind diejenigen, deren Sehnsucht und Streben mit ihrem Thun und Leisten nicht proportionirt ist.“ Und a. a. O. (Nr. 75) lautet ein anderer Spruch: „Es ist traurig, anzusehen, wie ein ausserordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel Bürger.“
*154 Er ist verliebter Natur.
*155 Er jagt die Natur zum Fenster hinaus und lässt sie bei der Hausthür wieder herein. – Sailer, 310.
Der falsche Tugendfreund.
*156 Von der Natur stiefmütterlich bedacht sein. – Braun, I, 4298.
Natürlich.
1 Es ist ganz natürlich, dass ein todt Pferd still liegt.
Holl.: Het is natuurlijk, dat een dood paard stil ligt. (Harrebomée, II, 163a.)
2 He, natürlich, sagte die Nonne, als sie ein Kind bekam. – Klosterspiegel, 9, 9.
3 Was natürlich gaht, das bestaht. – Liedersaal.
4 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen. – Schamelius, 102, 10.
In Japan baden sich beide Geschlechter gemeinschaftlich, und Frauen und Mädchen besuchen den Tempel, der dem Gotte ehelicher Fruchtbarkeit gewidmet und mit Symbolen derselben reich verziert ist, ohne irgendwelche Verschämtheit. (G. Spiess, Die preussische Expedition nach Ostasien, Leipzig 1864.)
Lat.: Naturalia non sunt turpia. (Binder II, 1978; Schamelius, 102, 10.)
5 Was natürlich ist, dess hat man sich nicht zu schämen, sagte der Kerl, und setzte einen Haufen auf den Markt.
Naturrecht.
* Er studirt Naturrecht im Busentuch einer jungen (schönen) Maid.
Naube, s. Naupe.
Naugard.
* Er wird (noch) nach Naugard kommen.
D. h. ins Zuchthaus, weil diese Stadt eine solche Anstalt besitzt. (Schmidt, Jubelschrift, 20.)
Naumburg.
Wenn Naumburg mein wäre, wollte ich's in Jena verzehren. (S. Leipzig 8 und Nürnberg.) – Körte, 4499; Simrock, 7449.
Naumburger.
Die Naumburger sind keine Prasser, aber sie trinken lieber (mehr) Wein als Wasser.
Naupe.
*1 Der hat seine Naupen. – Tendlau, 422.
Von einem Menschen, mit dem schwer auszukommen ist, der seine Eigenheiten, Einbildungen, Launen hat. Auch von Dingen und Unternehmungen, die schwierig sind, sagt man: Das Ding hat seine Naupen. Die Erklärung des Wortes Naupe oder Naube ist schwierig.
Schmeller (Wb.) hält es mit gnaupen, knaupen, Bewegungen wie ein Hinkender machen, zusammen. Bei den Talmudisten kommen, um Schwierigkeiten zu bezeichnen, ähnliche Redensarten vor, als: Hier seh' ich einen Knoten, und bei doppelten Schwierigkeiten: Man hat ihm zwei Knoten gemacht. (Jebamoth, 61b u. 107.)
*2 Dös Ding hat seine (ihre) Naube. (Esslingen.)
Die Sache hat ihre Schwierigkeiten.
Nazareth.
Was kann aus Nazareth Gutes kommen.
Holl.: Kan ook iets goeds uit Nazareth komen? (Harrebomée, II, 118a.)
Lat.: Semper affert Libya mali quidpiam. (Philippi, II, 173.)
Neapel.
1 Neapel ist die erste Stadt der Welt. – Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.
2 Neapel ist ein Paradies, darin nichts als lauter Teufel wohnen. – Berckenmeyer, 190; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.
Höchst günstiges Urtheil über die vortreffliche geographische Lage Neapels und seine herrliche Natur, aber ein desto ungünstigeres für dessen Bewohner, auch wenn man von der Allgemeinheit des obigen Sprichworts ganz absieht. (Vgl. über dies Sprichwort auch: Joh. Andr. Bühel, Oratio de proverbio Italorum: Regnum Neapolitanum Paradisus est, sed a diabolis habitatus, Altdorf 1707, 4.)
3 Neapel scheint vom Himmel herabgefallen zu sein. – Berckenmeyer, 189; Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.
4 Neapels Vicekönig muss für drei F sorgen: Feste, Farine, Forche.
D. i. Vergnügen (Zerstreuung, Unterhaltung), Brot und Galgen. (Deutsche Romanzeitung, III, 45, 713.)
5 Sieh Neapel und dann stirb!
So ruft der Lazzarone in patriotischer Begeisterung, und nennt sein Neapel ein auf die Erde gefallenes Stück vom Himmel. Wahr ist es, kein anderer Erdstrich kann des Besitzes so vieler Vorzüge sich rühmen als dieser. Zu allen Jahreszeiten ist die Luft balsamisch und mild, und selbst die Hitze des Hochsommers wird so sehr gemildert durch die Kühlung des Meeres, dass sie nur dann lästig wird, wenn der Scirocco weht. (Meyer's Universal-Lexikon, 35, 53.) Aber ebendarum erscheint das Gegentheil der Redensart viel natürlicher, nämlich: „Sieh Neapel und hasse den Tod!“ – „Man liebt Neapel“, schreibt Alexander Herzen (Febr. 1848), „sobald man nur hineintritt; und hätten Sie nur Einen Tag dort verbracht, so erinnerten Sie sich dieses seligen Tags mit einem tiefen Seufzer.“ (Neuyorker Abendzeitung, 1850, Nr. 19.)
It.: Vedi Napoli e poi muori. (Bohn I, 131.)
6 Wenn das Königreich Neapel in fünf Theile getheilt würde, so würde man finden, dass vier Theile den Pfaffen gehören. – Berckenmeyer, 189.
Nebbig (s. Osser).
1 Nebbig1 a Nejphele2. (Jüd.-deutsch. Warschau.)
1) Leider.
2) Abortirtes Kind. – Von einem durchtriebenen Menschen, der sich einfältig stellt.
2 Nebbig, sagt Goethe. (Königsberg.) – Frischbier2, 2763.
Da mir ein solcher Ausspruch Goethe's nirgends begegnet war, wandte ich mich an den Herrn von Loeper, den auf gründliche Quellenstudien sich stützenden Herausgeber Goethe'scher Werke, der mir darüber Folgendes schreibt: „Nebbig, sagt Goethe nirgends. Es existirt auch meines Wissens kein Ausspruch von ihm, der hierauf bezogen werden könnte. An eine Corruption aus ›Mephisto‹ ist z. B. nicht zu denken. Ich finde vielmehr in den Ausdrücken eine scherzhafte Gegenüberstellung einer positiven und einer negativen Formel. Sagt der eine ›He‹, so sagt der andere ›Hott‹; sagt einer ›Ja‹, so der andere ›Nein‹. In ›Osser‹ steckt eine Bejahung, ein ›Oui Sire‹, oder Aehnliches. Hat nun Schiller ›Ja‹ gesagt; so muss Goethe ›Nein‹ sagen. Der Spruch könnte in Berlin auch lauten: ›Is nich, sagt Goethe‹; ›Nebbich‹ thut dieselben Dienste. Aehnlich ist das Dictum vom weisen Salomo und dem grossen Alexander, ob alle Weiber stinken oder nicht.“ Tendlau (633) bei der Erklärung der jüdisch-deutschen Redensart Er is newich e Rachmones, d. i.: Er ist leider zum Erbarmen, sagt darüber: „›Newich‹ oder ›Nebich‹, das mir durch ›leider‹ gegeben, ist ein sehr schwieriges Wort. Es hat oft den Sinn von: ›Gott bewahre‹ oder ›leider‹, oft aber drückt es blos eine gemüthliche Theilnahme aus, ohne auf ein Unglück zu deuten. So heisst es z. B. in der Sage von Joseph (Tendlau, Buch der Sagen, XIX): ›Das war dem guten Joseph nebich eine grosse Freud, dass er einen solchen Fisch auf den Schabbes könnt bekommen.‹“ – Zunz (Gottesdienstl. Vorträge, 441) hält das Wort für polnischen Ursprungs und schreibt „nebbach“. Andere nehmen es für zusammengezogen aus: „nit bei euch“ altdeutsch „ne bi uch,“ wie das gleichbedeutende hebräische lo aléchem, um bei dem Zuhörer das Anklagen eines Uebels zu verhüten, und das ebenfalls hebräische lo
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription.
(2020-09-18T08:39:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-09-18T08:39:28Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein Verzeichnisse im Vorspann wurden nicht transkribiert. Errata aus den Berichtigungen im Nachspann wurden stillschweigend integriert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |