Ein ungemeiner Reichthum lebender Wesen drängt sich dem Blicke eines Jeden entgegen, der die Augen auf die ihn umgebende Natur lenkt. In allen Elementen, in der Luft, auf und in der Erde, in allen Tiefen des Wassers lebt und webt es in den mannigfachsten Gestalten. Schwärme von Insekten und Vögeln erheben sich auf leichten Flügeln, während andere Thiere, durch ihre Organisation an den Boden ge- fesselt, auf diesem nach Nahrung umherschweifen, oder selbst unter der Oberfläche Wohnung und Unterhalt suchen. Jeder Baum, jeder Strauch beherbergt seine eigenthümlichen Gäste, jede Erdscholle dient belebten Thierwesen als Aufenthaltsort. Die süßen und salzigen Gewässer sind erfüllt mit schwimmenden Thieren, mit Fischen, Krustern, Weichthieren, Infusorien, ihr Boden überzogen von Polypen, Strahlthieren und anderen Organismen, die ein selbstständiges Leben führen. Wie hoch der Mensch sich auch erheben mag an den Gehängen der Gebirge, wie tief er auch sein forschendes Senkblei in den Ocean versenken mag, überall findet er Spuren schaffenden Thierlebens, überall sieht er sich von be- lebten Formen umgeben, deren Mannigfaltigkeit seine Bewunderung erregt. Nicht minder groß ist der Wechsel, welchen der Beobachter beim Durchmessen größerer Entfernungen auf der Erdoberfläche wahr- nimmt. Der Bewohner der Polargegenden findet bei uns eine durch- aus veränderte Thierwelt, er sieht keine Robben, die zu Hunderten in dem Strahle einer kärglichen Sonne schlafen, keine Alke und Fett- gänse, die in unzähligen Schwärmen an den Felsenufern seiner Eis- meere nisten. Der weiße Bär, der blaue Fuchs, die ungeschlachten Walthiere haben ihn verlassen, statt des Elenns' und des Renns, sieht er Hirsche und Rehe in unsern Wäldern, Schwärme von Sing- vögeln und Tauben auf unsern Feldern, andere Fische, andere Muscheln in unsern Flüssen und Meeren. Nicht minder erstaunt der Bewohner unserer Zone bei dem Anblicke jener tropischen Gegenden, die wieder
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Einleitung.
Ein ungemeiner Reichthum lebender Weſen drängt ſich dem Blicke eines Jeden entgegen, der die Augen auf die ihn umgebende Natur lenkt. In allen Elementen, in der Luft, auf und in der Erde, in allen Tiefen des Waſſers lebt und webt es in den mannigfachſten Geſtalten. Schwärme von Inſekten und Vögeln erheben ſich auf leichten Flügeln, während andere Thiere, durch ihre Organiſation an den Boden ge- feſſelt, auf dieſem nach Nahrung umherſchweifen, oder ſelbſt unter der Oberfläche Wohnung und Unterhalt ſuchen. Jeder Baum, jeder Strauch beherbergt ſeine eigenthümlichen Gäſte, jede Erdſcholle dient belebten Thierweſen als Aufenthaltsort. Die ſüßen und ſalzigen Gewäſſer ſind erfüllt mit ſchwimmenden Thieren, mit Fiſchen, Kruſtern, Weichthieren, Infuſorien, ihr Boden überzogen von Polypen, Strahlthieren und anderen Organismen, die ein ſelbſtſtändiges Leben führen. Wie hoch der Menſch ſich auch erheben mag an den Gehängen der Gebirge, wie tief er auch ſein forſchendes Senkblei in den Ocean verſenken mag, überall findet er Spuren ſchaffenden Thierlebens, überall ſieht er ſich von be- lebten Formen umgeben, deren Mannigfaltigkeit ſeine Bewunderung erregt. Nicht minder groß iſt der Wechſel, welchen der Beobachter beim Durchmeſſen größerer Entfernungen auf der Erdoberfläche wahr- nimmt. Der Bewohner der Polargegenden findet bei uns eine durch- aus veränderte Thierwelt, er ſieht keine Robben, die zu Hunderten in dem Strahle einer kärglichen Sonne ſchlafen, keine Alke und Fett- gänſe, die in unzähligen Schwärmen an den Felſenufern ſeiner Eis- meere niſten. Der weiße Bär, der blaue Fuchs, die ungeſchlachten Walthiere haben ihn verlaſſen, ſtatt des Elenns’ und des Renns, ſieht er Hirſche und Rehe in unſern Wäldern, Schwärme von Sing- vögeln und Tauben auf unſern Feldern, andere Fiſche, andere Muſcheln in unſern Flüſſen und Meeren. Nicht minder erſtaunt der Bewohner unſerer Zone bei dem Anblicke jener tropiſchen Gegenden, die wieder
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Einleitung.
Ein ungemeiner Reichthum lebender Weſen drängt ſich dem Blicke
eines Jeden entgegen, der die Augen auf die ihn umgebende Natur
lenkt. In allen Elementen, in der Luft, auf und in der Erde, in allen
Tiefen des Waſſers lebt und webt es in den mannigfachſten Geſtalten.
Schwärme von Inſekten und Vögeln erheben ſich auf leichten Flügeln,
während andere Thiere, durch ihre Organiſation an den Boden ge-
feſſelt, auf dieſem nach Nahrung umherſchweifen, oder ſelbſt unter der
Oberfläche Wohnung und Unterhalt ſuchen. Jeder Baum, jeder Strauch
beherbergt ſeine eigenthümlichen Gäſte, jede Erdſcholle dient belebten
Thierweſen als Aufenthaltsort. Die ſüßen und ſalzigen Gewäſſer ſind
erfüllt mit ſchwimmenden Thieren, mit Fiſchen, Kruſtern, Weichthieren,
Infuſorien, ihr Boden überzogen von Polypen, Strahlthieren und
anderen Organismen, die ein ſelbſtſtändiges Leben führen. Wie hoch der
Menſch ſich auch erheben mag an den Gehängen der Gebirge, wie tief
er auch ſein forſchendes Senkblei in den Ocean verſenken mag, überall
findet er Spuren ſchaffenden Thierlebens, überall ſieht er ſich von be-
lebten Formen umgeben, deren Mannigfaltigkeit ſeine Bewunderung
erregt. Nicht minder groß iſt der Wechſel, welchen der Beobachter
beim Durchmeſſen größerer Entfernungen auf der Erdoberfläche wahr-
nimmt. Der Bewohner der Polargegenden findet bei uns eine durch-
aus veränderte Thierwelt, er ſieht keine Robben, die zu Hunderten in
dem Strahle einer kärglichen Sonne ſchlafen, keine Alke und Fett-
gänſe, die in unzähligen Schwärmen an den Felſenufern ſeiner Eis-
meere niſten. Der weiße Bär, der blaue Fuchs, die ungeſchlachten
Walthiere haben ihn verlaſſen, ſtatt des Elenns’ und des Renns,
ſieht er Hirſche und Rehe in unſern Wäldern, Schwärme von Sing-
vögeln und Tauben auf unſern Feldern, andere Fiſche, andere Muſcheln
in unſern Flüſſen und Meeren. Nicht minder erſtaunt der Bewohner
unſerer Zone bei dem Anblicke jener tropiſchen Gegenden, die wieder
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/9>, abgerufen am 22.12.2024.
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