Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verschieden- sten Formen zusammengesetzte Kreis der Weichthiere läßt sich kaum durch ein genügendes Merkmal charakterisiren, welches den verschiede- nen Klassen, die jener Kreis umschließt, ganz eigenthümlich wäre. Die einzelnen Klassen zwar lassen sich scharf trennen und unterschei- den; aber in ihrer Organisation und den Besonderheiten ihres Baues zeigen sich überall allmählige Uebergänge, wodurch sich theils die einzelnen Klassen, theils aber die Grenzen des Kreises bald hier, bald dort, an andere Kreise anschließen. Nirgends so wie bei den Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organischen Sy- stemes bei den einzelnen Typen nachweisen und begründen, nirgends so wie hier verschwindet nach und nach jeder vorstechende Charakter, je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver- schwimmt so jedes charakteristische Merkmal allmählig in unbestimmten Umrissen und sinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo seine vorzugsweise Berücksichtigung nicht mehr gestattet sein kann. Zu der Schwierigkeit der Begrenzung, die aus diesen, mannigfach wechselnden Verhältnissen hervorgeht, tritt noch der Umstand hinzu, daß man bei den Weichthieren zwei Unterkreise unterscheiden muß, welche durch sehr wesentliche und bestimmte Charaktere, namentlich durch die Beschaffen- heit des Nervensystemes und des Blutumlaufes, sowie durch die An- lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt sind und die man vielleicht mit eben so großem Rechte als unabhängige Kreise betrachten könnte.
Die symmetrische Anlagerung der Organe zu beiden Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meisten Würmern in so hohem Grade entwickelt sehen, ist bei den Weichthieren bedeutend zurück- gesunken und noch weniger läßt sich eine strahlenförmige Anordnung um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erscheinen die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Tast- werkzeuge u. s. w. symmetrisch geordnet, allein diese Anordnung ist
Vogt. Zoologische Briefe, I. 16
Neunter Brief. Kreis der Weichthiere. (Mollusca.)
Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verſchieden- ſten Formen zuſammengeſetzte Kreis der Weichthiere läßt ſich kaum durch ein genügendes Merkmal charakteriſiren, welches den verſchiede- nen Klaſſen, die jener Kreis umſchließt, ganz eigenthümlich wäre. Die einzelnen Klaſſen zwar laſſen ſich ſcharf trennen und unterſchei- den; aber in ihrer Organiſation und den Beſonderheiten ihres Baues zeigen ſich überall allmählige Uebergänge, wodurch ſich theils die einzelnen Klaſſen, theils aber die Grenzen des Kreiſes bald hier, bald dort, an andere Kreiſe anſchließen. Nirgends ſo wie bei den Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organiſchen Sy- ſtemes bei den einzelnen Typen nachweiſen und begründen, nirgends ſo wie hier verſchwindet nach und nach jeder vorſtechende Charakter, je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver- ſchwimmt ſo jedes charakteriſtiſche Merkmal allmählig in unbeſtimmten Umriſſen und ſinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo ſeine vorzugsweiſe Berückſichtigung nicht mehr geſtattet ſein kann. Zu der Schwierigkeit der Begrenzung, die aus dieſen, mannigfach wechſelnden Verhältniſſen hervorgeht, tritt noch der Umſtand hinzu, daß man bei den Weichthieren zwei Unterkreiſe unterſcheiden muß, welche durch ſehr weſentliche und beſtimmte Charaktere, namentlich durch die Beſchaffen- heit des Nervenſyſtemes und des Blutumlaufes, ſowie durch die An- lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt ſind und die man vielleicht mit eben ſo großem Rechte als unabhängige Kreiſe betrachten könnte.
Die ſymmetriſche Anlagerung der Organe zu beiden Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meiſten Würmern in ſo hohem Grade entwickelt ſehen, iſt bei den Weichthieren bedeutend zurück- geſunken und noch weniger läßt ſich eine ſtrahlenförmige Anordnung um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erſcheinen die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Taſt- werkzeuge u. ſ. w. ſymmetriſch geordnet, allein dieſe Anordnung iſt
Vogt. Zoologiſche Briefe, I. 16
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Neunter Brief.
Kreis der Weichthiere. (Mollusca.)
Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verſchieden-
ſten Formen zuſammengeſetzte Kreis der Weichthiere läßt ſich kaum
durch ein genügendes Merkmal charakteriſiren, welches den verſchiede-
nen Klaſſen, die jener Kreis umſchließt, ganz eigenthümlich wäre.
Die einzelnen Klaſſen zwar laſſen ſich ſcharf trennen und unterſchei-
den; aber in ihrer Organiſation und den Beſonderheiten ihres
Baues zeigen ſich überall allmählige Uebergänge, wodurch ſich theils
die einzelnen Klaſſen, theils aber die Grenzen des Kreiſes bald hier,
bald dort, an andere Kreiſe anſchließen. Nirgends ſo wie bei den
Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organiſchen Sy-
ſtemes bei den einzelnen Typen nachweiſen und begründen, nirgends
ſo wie hier verſchwindet nach und nach jeder vorſtechende Charakter,
je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver-
ſchwimmt ſo jedes charakteriſtiſche Merkmal allmählig in unbeſtimmten
Umriſſen und ſinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo ſeine
vorzugsweiſe Berückſichtigung nicht mehr geſtattet ſein kann. Zu der
Schwierigkeit der Begrenzung, die aus dieſen, mannigfach wechſelnden
Verhältniſſen hervorgeht, tritt noch der Umſtand hinzu, daß man bei
den Weichthieren zwei Unterkreiſe unterſcheiden muß, welche durch ſehr
weſentliche und beſtimmte Charaktere, namentlich durch die Beſchaffen-
heit des Nervenſyſtemes und des Blutumlaufes, ſowie durch die An-
lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt ſind und
die man vielleicht mit eben ſo großem Rechte als unabhängige Kreiſe
betrachten könnte.
Die ſymmetriſche Anlagerung der Organe zu beiden
Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meiſten Würmern in ſo
hohem Grade entwickelt ſehen, iſt bei den Weichthieren bedeutend zurück-
geſunken und noch weniger läßt ſich eine ſtrahlenförmige Anordnung
um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erſcheinen
die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Taſt-
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/247>, abgerufen am 21.11.2024.
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