Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
Neunter Brief.
Kreis der Weichthiere. (Mollusca.)


Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verschieden-
sten Formen zusammengesetzte Kreis der Weichthiere läßt sich kaum
durch ein genügendes Merkmal charakterisiren, welches den verschiede-
nen Klassen, die jener Kreis umschließt, ganz eigenthümlich wäre.
Die einzelnen Klassen zwar lassen sich scharf trennen und unterschei-
den; aber in ihrer Organisation und den Besonderheiten ihres
Baues zeigen sich überall allmählige Uebergänge, wodurch sich theils
die einzelnen Klassen, theils aber die Grenzen des Kreises bald hier,
bald dort, an andere Kreise anschließen. Nirgends so wie bei den
Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organischen Sy-
stemes bei den einzelnen Typen nachweisen und begründen, nirgends
so wie hier verschwindet nach und nach jeder vorstechende Charakter,
je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver-
schwimmt so jedes charakteristische Merkmal allmählig in unbestimmten
Umrissen und sinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo seine
vorzugsweise Berücksichtigung nicht mehr gestattet sein kann. Zu der
Schwierigkeit der Begrenzung, die aus diesen, mannigfach wechselnden
Verhältnissen hervorgeht, tritt noch der Umstand hinzu, daß man bei
den Weichthieren zwei Unterkreise unterscheiden muß, welche durch sehr
wesentliche und bestimmte Charaktere, namentlich durch die Beschaffen-
heit des Nervensystemes und des Blutumlaufes, sowie durch die An-
lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt sind und
die man vielleicht mit eben so großem Rechte als unabhängige Kreise
betrachten könnte.

Die symmetrische Anlagerung der Organe zu beiden
Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meisten Würmern in so
hohem Grade entwickelt sehen, ist bei den Weichthieren bedeutend zurück-
gesunken und noch weniger läßt sich eine strahlenförmige Anordnung
um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erscheinen
die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Tast-
werkzeuge u. s. w. symmetrisch geordnet, allein diese Anordnung ist

Vogt. Zoologische Briefe, I. 16
Neunter Brief.
Kreis der Weichthiere. (Mollusca.)


Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verſchieden-
ſten Formen zuſammengeſetzte Kreis der Weichthiere läßt ſich kaum
durch ein genügendes Merkmal charakteriſiren, welches den verſchiede-
nen Klaſſen, die jener Kreis umſchließt, ganz eigenthümlich wäre.
Die einzelnen Klaſſen zwar laſſen ſich ſcharf trennen und unterſchei-
den; aber in ihrer Organiſation und den Beſonderheiten ihres
Baues zeigen ſich überall allmählige Uebergänge, wodurch ſich theils
die einzelnen Klaſſen, theils aber die Grenzen des Kreiſes bald hier,
bald dort, an andere Kreiſe anſchließen. Nirgends ſo wie bei den
Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organiſchen Sy-
ſtemes bei den einzelnen Typen nachweiſen und begründen, nirgends
ſo wie hier verſchwindet nach und nach jeder vorſtechende Charakter,
je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver-
ſchwimmt ſo jedes charakteriſtiſche Merkmal allmählig in unbeſtimmten
Umriſſen und ſinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo ſeine
vorzugsweiſe Berückſichtigung nicht mehr geſtattet ſein kann. Zu der
Schwierigkeit der Begrenzung, die aus dieſen, mannigfach wechſelnden
Verhältniſſen hervorgeht, tritt noch der Umſtand hinzu, daß man bei
den Weichthieren zwei Unterkreiſe unterſcheiden muß, welche durch ſehr
weſentliche und beſtimmte Charaktere, namentlich durch die Beſchaffen-
heit des Nervenſyſtemes und des Blutumlaufes, ſowie durch die An-
lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt ſind und
die man vielleicht mit eben ſo großem Rechte als unabhängige Kreiſe
betrachten könnte.

Die ſymmetriſche Anlagerung der Organe zu beiden
Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meiſten Würmern in ſo
hohem Grade entwickelt ſehen, iſt bei den Weichthieren bedeutend zurück-
geſunken und noch weniger läßt ſich eine ſtrahlenförmige Anordnung
um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erſcheinen
die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Taſt-
werkzeuge u. ſ. w. ſymmetriſch geordnet, allein dieſe Anordnung iſt

Vogt. Zoologiſche Briefe, I. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0247" n="241"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Neunter Brief.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Kreis der Weichthiere. <hi rendition="#aq">(Mollusca.)</hi></hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>er außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der ver&#x017F;chieden-<lb/>
&#x017F;ten Formen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Kreis der Weichthiere läßt &#x017F;ich kaum<lb/>
durch ein genügendes Merkmal charakteri&#x017F;iren, welches den ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Kla&#x017F;&#x017F;en, die jener Kreis um&#x017F;chließt, ganz eigenthümlich wäre.<lb/>
Die einzelnen Kla&#x017F;&#x017F;en zwar la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;charf trennen und unter&#x017F;chei-<lb/>
den; aber in ihrer Organi&#x017F;ation und den Be&#x017F;onderheiten ihres<lb/>
Baues zeigen &#x017F;ich überall allmählige Uebergänge, wodurch &#x017F;ich theils<lb/>
die einzelnen Kla&#x017F;&#x017F;en, theils aber die Grenzen des Krei&#x017F;es bald hier,<lb/>
bald dort, an andere Krei&#x017F;e an&#x017F;chließen. Nirgends &#x017F;o wie bei den<lb/>
Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organi&#x017F;chen Sy-<lb/>
&#x017F;temes bei den einzelnen Typen nachwei&#x017F;en und begründen, nirgends<lb/>
&#x017F;o wie hier ver&#x017F;chwindet nach und nach jeder vor&#x017F;techende Charakter,<lb/>
je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver-<lb/>
&#x017F;chwimmt &#x017F;o jedes charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Merkmal allmählig in unbe&#x017F;timmten<lb/>
Umri&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;inkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo &#x017F;eine<lb/>
vorzugswei&#x017F;e Berück&#x017F;ichtigung nicht mehr ge&#x017F;tattet &#x017F;ein kann. Zu der<lb/>
Schwierigkeit der Begrenzung, die aus die&#x017F;en, mannigfach wech&#x017F;elnden<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en hervorgeht, tritt noch der Um&#x017F;tand hinzu, daß man bei<lb/>
den Weichthieren zwei Unterkrei&#x017F;e unter&#x017F;cheiden muß, welche durch &#x017F;ehr<lb/>
we&#x017F;entliche und be&#x017F;timmte Charaktere, namentlich durch die Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heit des Nerven&#x017F;y&#x017F;temes und des Blutumlaufes, &#x017F;owie durch die An-<lb/>
lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt &#x017F;ind und<lb/>
die man vielleicht mit eben &#x017F;o großem Rechte als unabhängige Krei&#x017F;e<lb/>
betrachten könnte.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#g">&#x017F;ymmetri&#x017F;che Anlagerung der Organe</hi> zu beiden<lb/>
Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den mei&#x017F;ten Würmern in &#x017F;o<lb/>
hohem Grade entwickelt &#x017F;ehen, i&#x017F;t bei den Weichthieren bedeutend zurück-<lb/>
ge&#x017F;unken und noch weniger läßt &#x017F;ich eine &#x017F;trahlenförmige Anordnung<lb/>
um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar er&#x017F;cheinen<lb/>
die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Ta&#x017F;t-<lb/>
werkzeuge u. &#x017F;. w. &#x017F;ymmetri&#x017F;ch geordnet, allein die&#x017F;e Anordnung i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Vogt. Zoologi&#x017F;che Briefe, <hi rendition="#aq">I.</hi> 16</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0247] Neunter Brief. Kreis der Weichthiere. (Mollusca.) Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verſchieden- ſten Formen zuſammengeſetzte Kreis der Weichthiere läßt ſich kaum durch ein genügendes Merkmal charakteriſiren, welches den verſchiede- nen Klaſſen, die jener Kreis umſchließt, ganz eigenthümlich wäre. Die einzelnen Klaſſen zwar laſſen ſich ſcharf trennen und unterſchei- den; aber in ihrer Organiſation und den Beſonderheiten ihres Baues zeigen ſich überall allmählige Uebergänge, wodurch ſich theils die einzelnen Klaſſen, theils aber die Grenzen des Kreiſes bald hier, bald dort, an andere Kreiſe anſchließen. Nirgends ſo wie bei den Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organiſchen Sy- ſtemes bei den einzelnen Typen nachweiſen und begründen, nirgends ſo wie hier verſchwindet nach und nach jeder vorſtechende Charakter, je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver- ſchwimmt ſo jedes charakteriſtiſche Merkmal allmählig in unbeſtimmten Umriſſen und ſinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo ſeine vorzugsweiſe Berückſichtigung nicht mehr geſtattet ſein kann. Zu der Schwierigkeit der Begrenzung, die aus dieſen, mannigfach wechſelnden Verhältniſſen hervorgeht, tritt noch der Umſtand hinzu, daß man bei den Weichthieren zwei Unterkreiſe unterſcheiden muß, welche durch ſehr weſentliche und beſtimmte Charaktere, namentlich durch die Beſchaffen- heit des Nervenſyſtemes und des Blutumlaufes, ſowie durch die An- lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt ſind und die man vielleicht mit eben ſo großem Rechte als unabhängige Kreiſe betrachten könnte. Die ſymmetriſche Anlagerung der Organe zu beiden Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meiſten Würmern in ſo hohem Grade entwickelt ſehen, iſt bei den Weichthieren bedeutend zurück- geſunken und noch weniger läßt ſich eine ſtrahlenförmige Anordnung um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erſcheinen die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Taſt- werkzeuge u. ſ. w. ſymmetriſch geordnet, allein dieſe Anordnung iſt Vogt. Zoologiſche Briefe, I. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/247
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/247>, abgerufen am 21.11.2024.