Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.Anhang zur Lehre von der dramatischen Dichtkunst. Die Schauspielkunst. §. 921. Die Dichtkunst hat die sichtbare und hörbare Welt nur der innern Vor-1. 1. Daß nicht bloß die sichtbare, sondern auch die hörbare Welt Vischer's Aesthetik. 4. Band. 93
Anhang zur Lehre von der dramatiſchen Dichtkunſt. Die Schauſpielkunſt. §. 921. Die Dichtkunſt hat die ſichtbare und hörbare Welt nur der innern Vor-1. 1. Daß nicht bloß die ſichtbare, ſondern auch die hörbare Welt Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 93
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Anhang zur Lehre von der dramatiſchen Dichtkunſt.
Die Schauſpielkunſt.
§. 921.
Die Dichtkunſt hat die ſichtbare und hörbare Welt nur der innern Vor-
ſtellung wieder eröffnet. Bis zur vollen Gegenwärtigkeit, aber zunächſt in der-
ſelben Grenze, iſt dieß im Drama geſchehen; hier aber wird dieſe Grenze noth-
wendig durchbrochen, die innere Gegenwart geht in die äußere, ſinnliche über,
indem die lebendige Perſönlichkeit mit den Mitteln der Darſtellung für das
Auge und Ohr, Action und Declamation, als Material herbeigezogen wird,
um das Werk der Poeſie zur Anſchauung zu bringen. Die Schauſpielkunſt,
welche dieß leiſtet, iſt zwar blos anhängend, aber, weil die Reproduction des
Dichtwerks productiv künſtleriſchen Geiſt fordert, die höchſte unter den anhän-
genden Künſten. Ihre Geſchichte zeigt in entſchiedener Geſtalt den Gegenſatz
des direct idealen und des charakteriſtiſchen Styls.
1. Daß nicht bloß die ſichtbare, ſondern auch die hörbare Welt
von der Dichtkunſt für die innere Vorſtellung wieder aufgethan iſt, muß
hier ausdrücklich noch aufgenommen werden. Dieſe Kunſt ſpricht, aber ſie
ſpricht nicht nur ſelbſt, ſondern führt uns durch ihr Sprechen das Sprechen
der dargeſtellten Perſonen vor und bringt uns überhaupt die Tonwelt vor
den inneren Sinn. Nur in der lyriſchen Form fällt das Sprechen als Vehikel
der Kunſt und als Inhalt, den dieſes Vehikel uns mittheilt, einfach zu-
ſammen, denn der Dichter ſpricht hier im eigenen Namen; das Epos
meldet uns vom Sprechen und von Tönen, und kann allerdings, doch iſt
dieß nicht weſentlich und nothwendig, die Perſonen auch in directer Rede
ſprechend einführen; in der dramatiſchen Dichtkunſt dagegen ſpricht der
Dichter als objectiv gewordenes, in ſeine Perſonen auseinandergelegtes
Subject ſo, daß man vielmehr nur dieſe vernimmt und daß ſie gegenwärtig
ſprechend die Handlung erwirken. Dieß Alles alſo zunächſt nur für die
innere Vorſtellung. Die Poeſie hat auf alle Sinnenwirkung, bis auf das
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 93
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