Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
komische Act ist nur im Dichter, wir folgen ihm und stehen als die Lauscher §. 901. Der dramatische Styl entnimmt sein Grundgesetz aus dem Momente des1.
komiſche Act iſt nur im Dichter, wir folgen ihm und ſtehen als die Lauſcher §. 901. Der dramatiſche Styl entnimmt ſein Grundgeſetz aus dem Momente des1. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0253" n="1389"/> komiſche Act iſt nur im Dichter, wir folgen ihm und ſtehen als die Lauſcher<lb/> über den Belauſchten und Lauſchern im Stücke: die komiſche Scala, welche<lb/> in §. 182 aufgewieſen iſt. Die ganze Lehre vom Komiſchen, namentlich<lb/> von der Poſſe und vom Humor, wies überall ſchon auf das Drama hin,<lb/> klang fühlbar dramatiſch, da in jedem Sinn ein Wechſel-Act zwiſchen Spieler<lb/> und Zuſchauer geſetzt war. Wir haben im Epos komiſche Beſtandtheile,<lb/> wir haben einen komiſchen Roman, komiſche Lyrik gefunden; die letztere iſt<lb/> doch kein häufiger, kein reicher Klang, dieß widerſpräche der Poeſie der<lb/> Empfindung; die epiſche Breite iſt ein Hinderniß, daß ein Moment, das<lb/> auch hier noch, wie im Tragiſchen, beſonders hervorgehoben werden muß,<lb/> nämlich die abſolute Plötzlichkeit des Komiſchen recht zum Durchbruch komme.<lb/> Der komiſche Blitz iſt der Form der Gegenwart vorbehalten, die ſich nach<lb/> der Zukunft ſpannt. Wie das Schickſal in den Reibungen des komiſchen<lb/> Charakters mit der Außenwelt zum <hi rendition="#g">Zufalle</hi> wird und an die Stelle der<lb/> Nemeſis die bloße Verlegenheit tritt, iſt in der Lehre vom Komiſchen aus-<lb/> einandergeſetzt und kann danach ein Schein des Widerſpruchs mit dem Satze,<lb/> daß das Drama den Zufall aufhebe, wie keine andere Kunſtform, nicht<lb/> entſtehen. — Die Schönheit der harmloſen Anmuth wird im tragiſchen<lb/> und komiſchen Prozeß ihre weſentliche Stelle finden; ſie wird wie eine Blume<lb/> am ſchäumenden Waſſerſturze ſtehen und gerettet oder mit in ſeine Wirbel<lb/> hineingeriſſen werden. Dieſes Schickſal wird ein mehr äußeres oder mehr<lb/> inneres ſein, Clärchen folgt dem Geliebten durch freien Entſchluß in den<lb/> Tod, Gretchen im Fauſt wird erſt innerlich zerriſſen, um dann in erhabener<lb/> Faſſung zu ſterben; im Komiſchen theilt die naive Luſtigkeit der Anmuth<lb/> harmlos das komiſche Spiel, durch Schmerzen geht der tiefere und freiere<lb/> Humor einer Roſalinde und Porzia. — So treten denn jene Grundformen,<lb/> die in der Metaphyſik des Schönen entwickelt ſind und den Unterbau des<lb/> ganzen Syſtems bilden, aus ihrer Tiefe herauf und bilden in ſcharfer Glie-<lb/> derung ebenſoſehr die Spitze der Pyramide. Das Syſtem kehrt alſo durch<lb/> die Poeſie und im höchſten Sinne durch die dramatiſche nicht nur über-<lb/> haupt in ſeinen erſten Theil als die reine, geiſtige Geſtalt des Schönen<lb/> (vergl. §. 863, Anm. <hi rendition="#sub">1.</hi>), ſondern auch ſpeziell in deſſen unterſchiedene<lb/> Formen mit gefüllter Intenſität zurück.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 901.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Der dramatiſche <hi rendition="#g">Styl</hi> entnimmt ſein Grundgeſetz aus dem Momente des<note place="right">1.</note><lb/> Fortgangs vom Charakter zur Handlung, er iſt weſentlich vorwärts drängend,<lb/> ſpannend und durchſchlagend. Danach beſtimmen ſich die einzelnen Elemente der<note place="right">2.</note><lb/> Darſtellung: das in engerem Sinn epiſche der <hi rendition="#g">Erzählung</hi> nimmt höhere Be-<lb/> wegtheit an, das lyriſche im <hi rendition="#g">Monologe</hi> darf ſich nicht in die Innerlichkeit<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1389/0253]
komiſche Act iſt nur im Dichter, wir folgen ihm und ſtehen als die Lauſcher
über den Belauſchten und Lauſchern im Stücke: die komiſche Scala, welche
in §. 182 aufgewieſen iſt. Die ganze Lehre vom Komiſchen, namentlich
von der Poſſe und vom Humor, wies überall ſchon auf das Drama hin,
klang fühlbar dramatiſch, da in jedem Sinn ein Wechſel-Act zwiſchen Spieler
und Zuſchauer geſetzt war. Wir haben im Epos komiſche Beſtandtheile,
wir haben einen komiſchen Roman, komiſche Lyrik gefunden; die letztere iſt
doch kein häufiger, kein reicher Klang, dieß widerſpräche der Poeſie der
Empfindung; die epiſche Breite iſt ein Hinderniß, daß ein Moment, das
auch hier noch, wie im Tragiſchen, beſonders hervorgehoben werden muß,
nämlich die abſolute Plötzlichkeit des Komiſchen recht zum Durchbruch komme.
Der komiſche Blitz iſt der Form der Gegenwart vorbehalten, die ſich nach
der Zukunft ſpannt. Wie das Schickſal in den Reibungen des komiſchen
Charakters mit der Außenwelt zum Zufalle wird und an die Stelle der
Nemeſis die bloße Verlegenheit tritt, iſt in der Lehre vom Komiſchen aus-
einandergeſetzt und kann danach ein Schein des Widerſpruchs mit dem Satze,
daß das Drama den Zufall aufhebe, wie keine andere Kunſtform, nicht
entſtehen. — Die Schönheit der harmloſen Anmuth wird im tragiſchen
und komiſchen Prozeß ihre weſentliche Stelle finden; ſie wird wie eine Blume
am ſchäumenden Waſſerſturze ſtehen und gerettet oder mit in ſeine Wirbel
hineingeriſſen werden. Dieſes Schickſal wird ein mehr äußeres oder mehr
inneres ſein, Clärchen folgt dem Geliebten durch freien Entſchluß in den
Tod, Gretchen im Fauſt wird erſt innerlich zerriſſen, um dann in erhabener
Faſſung zu ſterben; im Komiſchen theilt die naive Luſtigkeit der Anmuth
harmlos das komiſche Spiel, durch Schmerzen geht der tiefere und freiere
Humor einer Roſalinde und Porzia. — So treten denn jene Grundformen,
die in der Metaphyſik des Schönen entwickelt ſind und den Unterbau des
ganzen Syſtems bilden, aus ihrer Tiefe herauf und bilden in ſcharfer Glie-
derung ebenſoſehr die Spitze der Pyramide. Das Syſtem kehrt alſo durch
die Poeſie und im höchſten Sinne durch die dramatiſche nicht nur über-
haupt in ſeinen erſten Theil als die reine, geiſtige Geſtalt des Schönen
(vergl. §. 863, Anm. 1.), ſondern auch ſpeziell in deſſen unterſchiedene
Formen mit gefüllter Intenſität zurück.
§. 901.
Der dramatiſche Styl entnimmt ſein Grundgeſetz aus dem Momente des
Fortgangs vom Charakter zur Handlung, er iſt weſentlich vorwärts drängend,
ſpannend und durchſchlagend. Danach beſtimmen ſich die einzelnen Elemente der
Darſtellung: das in engerem Sinn epiſche der Erzählung nimmt höhere Be-
wegtheit an, das lyriſche im Monologe darf ſich nicht in die Innerlichkeit
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