Klangfarbe, durchläuft und andererseits unter den beschränktern Instrumenten jedes vorzugsweise den Charakter der einen oder andern Tonregion eigen- thümlich darstellt. Eine Beschränkung der Musik auf die eine oder andere Region, eine Ausschließung z. B. der höhern Stimmen vom Gesange, wie sie bei den Alten wenigstens Regel war, bringt in das Tonmaterial eine Einförmigkeit, welche die freie Bewegung der Musik nur hindern kann. So wenig das andere der neuesten Zeit angehörige Extrem, die unnöthige, gewaltsame und unnatürliche Hinaufschraubung des Gesangs zu schrillenden und zirpenden Hochtönen irgend zu entschuldigen ist, da der Umfang des Tonsystems, wie er früher gewöhnlich angenommen wurde, in der That einer Musik von Geist und Inhalt Raum genug verstattet, um die mannig- fachsten Differenzen und Gegensätze der Tonhöhe anzuwenden: so wenig ist es zu billigen, wenn dieser Raum nicht wirklich benützt wird; erst hiemit bekommt die Musik Farbe und Contrast, Leben und Mannigfaltigkeit. Natürlich muß nicht in jedem einzelnen Tonwerke diese Verschiedenheit der Tonlagen und Tonregionen zur Anwendung kommen; es gehört zur Mannigfaltigkeit der Musikformen selbst wieder, daß es auch Stücke gebe, welche in engern Grenzen, ja in nur ganz wenigen Tönen sich bewegen, um damit Ruhe, Ansichhalten oder Aehnliches auszudrücken; aber solche Stücke können nur eine einzelne und zwar untergeordnete Art der Musik bilden, die vielmehr eben in der Gegenüberstellung, dem Wechsel, dem ein- ander Antworten, dem zu einem Ganzen Zusammenwirken der verschiedenen Stimmgebiete ihre eigenthümliche Belebtheit, Kraft und Fülle gewinnt.
Von selbst versteht es sich, daß sowohl der Contrast als das Ent- sprechen und Zusammenwirken der verschiedenen Stimmen nur möglich ist, wenn die vier Tongebiete nicht beziehungslos auseinander fallen, sondern neben aller Besonderheit wiederum in einem Verhältniß der Toneinheit, des Zusammenklingens zu einander stehen; wie dieses sich bildet, zeigt der nächste Paragraph.
§. 769.
Zwischen den dem Ohre noch vernehmlichen Grenzen der Höhe und Tiefe1. liegt an und für sich eine unendliche Menge von Tönen, welche den Abstand zwischen beiden Endpuncten in stetiger Aufeinanderfolge, in unendlich kleinen, fließenden Unterschieden von einander ausfüllen. Aber die musikalische Phan- tasie, geleitet durch die natürlichen Forderungen des Gehörsinns, greift, um distincte Töne zu erhalten, aus jener unendlichen stetigen Reihe eine endliche discontinuirliche Reihe neben einander liegender höherer und niederer Tonstufen in der Art heraus, daß zwischen der tiefern und der nächstliegenden höhern Stufe zwar kleine, aber doch deutlich ansprechende Unterschiede der Lage (Intervalle) entstehen, die sich selbst wieder in weitere und engere, Ganz- und
Klangfarbe, durchläuft und andererſeits unter den beſchränktern Inſtrumenten jedes vorzugsweiſe den Charakter der einen oder andern Tonregion eigen- thümlich darſtellt. Eine Beſchränkung der Muſik auf die eine oder andere Region, eine Ausſchließung z. B. der höhern Stimmen vom Geſange, wie ſie bei den Alten wenigſtens Regel war, bringt in das Tonmaterial eine Einförmigkeit, welche die freie Bewegung der Muſik nur hindern kann. So wenig das andere der neueſten Zeit angehörige Extrem, die unnöthige, gewaltſame und unnatürliche Hinaufſchraubung des Geſangs zu ſchrillenden und zirpenden Hochtönen irgend zu entſchuldigen iſt, da der Umfang des Tonſyſtems, wie er früher gewöhnlich angenommen wurde, in der That einer Muſik von Geiſt und Inhalt Raum genug verſtattet, um die mannig- fachſten Differenzen und Gegenſätze der Tonhöhe anzuwenden: ſo wenig iſt es zu billigen, wenn dieſer Raum nicht wirklich benützt wird; erſt hiemit bekommt die Muſik Farbe und Contraſt, Leben und Mannigfaltigkeit. Natürlich muß nicht in jedem einzelnen Tonwerke dieſe Verſchiedenheit der Tonlagen und Tonregionen zur Anwendung kommen; es gehört zur Mannigfaltigkeit der Muſikformen ſelbſt wieder, daß es auch Stücke gebe, welche in engern Grenzen, ja in nur ganz wenigen Tönen ſich bewegen, um damit Ruhe, Anſichhalten oder Aehnliches auszudrücken; aber ſolche Stücke können nur eine einzelne und zwar untergeordnete Art der Muſik bilden, die vielmehr eben in der Gegenüberſtellung, dem Wechſel, dem ein- ander Antworten, dem zu einem Ganzen Zuſammenwirken der verſchiedenen Stimmgebiete ihre eigenthümliche Belebtheit, Kraft und Fülle gewinnt.
Von ſelbſt verſteht es ſich, daß ſowohl der Contraſt als das Ent- ſprechen und Zuſammenwirken der verſchiedenen Stimmen nur möglich iſt, wenn die vier Tongebiete nicht beziehungslos auseinander fallen, ſondern neben aller Beſonderheit wiederum in einem Verhältniß der Toneinheit, des Zuſammenklingens zu einander ſtehen; wie dieſes ſich bildet, zeigt der nächſte Paragraph.
§. 769.
Zwiſchen den dem Ohre noch vernehmlichen Grenzen der Höhe und Tiefe1. liegt an und für ſich eine unendliche Menge von Tönen, welche den Abſtand zwiſchen beiden Endpuncten in ſtetiger Aufeinanderfolge, in unendlich kleinen, fließenden Unterſchieden von einander ausfüllen. Aber die muſikaliſche Phan- taſie, geleitet durch die natürlichen Forderungen des Gehörſinns, greift, um diſtincte Töne zu erhalten, aus jener unendlichen ſtetigen Reihe eine endliche discontinuirliche Reihe neben einander liegender höherer und niederer Tonſtufen in der Art heraus, daß zwiſchen der tiefern und der nächſtliegenden höhern Stufe zwar kleine, aber doch deutlich anſprechende Unterſchiede der Lage (Intervalle) entſtehen, die ſich ſelbſt wieder in weitere und engere, Ganz- und
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[851/0089]
Klangfarbe, durchläuft und andererſeits unter den beſchränktern Inſtrumenten
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thümlich darſtellt. Eine Beſchränkung der Muſik auf die eine oder andere
Region, eine Ausſchließung z. B. der höhern Stimmen vom Geſange, wie
ſie bei den Alten wenigſtens Regel war, bringt in das Tonmaterial eine
Einförmigkeit, welche die freie Bewegung der Muſik nur hindern kann.
So wenig das andere der neueſten Zeit angehörige Extrem, die unnöthige,
gewaltſame und unnatürliche Hinaufſchraubung des Geſangs zu ſchrillenden
und zirpenden Hochtönen irgend zu entſchuldigen iſt, da der Umfang des
Tonſyſtems, wie er früher gewöhnlich angenommen wurde, in der That
einer Muſik von Geiſt und Inhalt Raum genug verſtattet, um die mannig-
fachſten Differenzen und Gegenſätze der Tonhöhe anzuwenden: ſo wenig iſt
es zu billigen, wenn dieſer Raum nicht wirklich benützt wird; erſt hiemit
bekommt die Muſik Farbe und Contraſt, Leben und Mannigfaltigkeit.
Natürlich muß nicht in jedem einzelnen Tonwerke dieſe Verſchiedenheit der
Tonlagen und Tonregionen zur Anwendung kommen; es gehört zur
Mannigfaltigkeit der Muſikformen ſelbſt wieder, daß es auch Stücke gebe,
welche in engern Grenzen, ja in nur ganz wenigen Tönen ſich bewegen,
um damit Ruhe, Anſichhalten oder Aehnliches auszudrücken; aber ſolche
Stücke können nur eine einzelne und zwar untergeordnete Art der Muſik
bilden, die vielmehr eben in der Gegenüberſtellung, dem Wechſel, dem ein-
ander Antworten, dem zu einem Ganzen Zuſammenwirken der verſchiedenen
Stimmgebiete ihre eigenthümliche Belebtheit, Kraft und Fülle gewinnt.
Von ſelbſt verſteht es ſich, daß ſowohl der Contraſt als das Ent-
ſprechen und Zuſammenwirken der verſchiedenen Stimmen nur möglich iſt,
wenn die vier Tongebiete nicht beziehungslos auseinander fallen, ſondern
neben aller Beſonderheit wiederum in einem Verhältniß der Toneinheit, des
Zuſammenklingens zu einander ſtehen; wie dieſes ſich bildet, zeigt der nächſte
Paragraph.
§. 769.
Zwiſchen den dem Ohre noch vernehmlichen Grenzen der Höhe und Tiefe
liegt an und für ſich eine unendliche Menge von Tönen, welche den Abſtand
zwiſchen beiden Endpuncten in ſtetiger Aufeinanderfolge, in unendlich kleinen,
fließenden Unterſchieden von einander ausfüllen. Aber die muſikaliſche Phan-
taſie, geleitet durch die natürlichen Forderungen des Gehörſinns, greift, um
diſtincte Töne zu erhalten, aus jener unendlichen ſtetigen Reihe eine endliche
discontinuirliche Reihe neben einander liegender höherer und niederer Tonſtufen
in der Art heraus, daß zwiſchen der tiefern und der nächſtliegenden höhern
Stufe zwar kleine, aber doch deutlich anſprechende Unterſchiede der Lage
(Intervalle) entſtehen, die ſich ſelbſt wieder in weitere und engere, Ganz- und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 851. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/89>, abgerufen am 21.12.2024.
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