Das Subject, welches allen Gegenstand aufgehoben in sich trägt, kann in der Kunst nur das fühlende sein. Vermöge innerer Nothwendigkeit besteht daher im Leben der Phantasie eine besondere Form, worin dieselbe mit ihrem ganzen Wesen sich auf den Standpunct des Moments der Empfindung stellt und blos innerhalb derselben bildet (vergl. §. 404). Die Auffassung der empfindenden Phantasie ist schlechthin eigenthümlich, durch keine andere zu ersetzen und eben- dadurch berufen, eine selbständige Kunstform zu begründen.
Zuerst ein Wort zum Schutze des Wechsels zwischen den Ausdrücken: Gefühl und Empfindung. Die psychologische Terminologie ist gewohnt, Empfindung vom sinnlichen, Gefühl vom geistigen Innewerden zu gebrauchen. Allein die Sprache bezeichnet unbestritten auch rein sinnliche Erregungen der Lust und Unlust als Gefühle, und umgekehrt wendet sie mit solcher Bestimmt- heit das Wort Empfindung im intensiven, geistigen Sinn an, daß wir uns schon in §. 404. jener Schulvorschrift nicht bequemen konnten. Ist eine Unterscheidung im Sprachgebrauche wahrzunehmen, so scheint sie uns darin zu bestehen, daß man mit dem Ausdruck Empfinden gewöhnlich den An- eignungs-Act eines Objects bezeichnet, Gefühl aber absolut von dem ganzen Verhalten der Seele zu gebrauchen vorzieht; man sagt lieber: dieß im Ge- mälde, Gedicht u. s. w. ist empfunden, als: gefühlt. Da nun die Unter- schiede der Phantasie in §. 404. darauf begründet sind, daß diese sich mit ihrem ganzen Wesen in den Standpunct des einen oder andern der Acte legt, welche die Momente ihrer Thätigkeit bilden, so wurde schon dort gesetzt: empfindende Phantasie, weil diese darin besteht, daß die ästhetische Schöpfer- kraft sich auf jene Seite der Anschauung, welche im Acte des innigen An- eignens besteht, und auf jenen Anfang der bildenden Erzeugung wirft, welche den Stoff erst in das unbestimmte Weben begeisterter Stimmung taucht. -- Von blos sinnlichem Gefühle kann in der Aesthetik natürlich nicht die Rede sein. Eigentlich gibt es gar kein solches, denn was auf die Sinne so oder anders, ihre organische Stimmung fördernd oder störend einwirkt, muß erst von der Seele ergriffen, ihrem Innewerden angeeignet sein, ehe es ein bestimmtes Gefühl, Lust oder Unlust, bewirkt. Eine Seelenstimmung nun, die nur auf einem so apperzipirten bloßen Sinnen-Eindruck beruht, ist aller- dings ein blos sinnliches Gefühl zu nennen in Vergleichung mit andern. Die Kunst aber hat mit diesem Gebiete nichts zu schaffen. Das ganze System des Sinnenlebens tritt jedoch in der Einbildungskraft als ein innerlich ge- setztes noch einmal auf und so gibt es eine Welt von Stimmungen, welche eine verinnerlichte Reminiscenz der sinnlichen Gefühle darstellen. Auf diese
§. 747.
Das Subject, welches allen Gegenſtand aufgehoben in ſich trägt, kann in der Kunſt nur das fühlende ſein. Vermöge innerer Nothwendigkeit beſteht daher im Leben der Phantaſie eine beſondere Form, worin dieſelbe mit ihrem ganzen Weſen ſich auf den Standpunct des Moments der Empfindung ſtellt und blos innerhalb derſelben bildet (vergl. §. 404). Die Auffaſſung der empfindenden Phantaſie iſt ſchlechthin eigenthümlich, durch keine andere zu erſetzen und eben- dadurch berufen, eine ſelbſtändige Kunſtform zu begründen.
Zuerſt ein Wort zum Schutze des Wechſels zwiſchen den Ausdrücken: Gefühl und Empfindung. Die pſychologiſche Terminologie iſt gewohnt, Empfindung vom ſinnlichen, Gefühl vom geiſtigen Innewerden zu gebrauchen. Allein die Sprache bezeichnet unbeſtritten auch rein ſinnliche Erregungen der Luſt und Unluſt als Gefühle, und umgekehrt wendet ſie mit ſolcher Beſtimmt- heit das Wort Empfindung im intenſiven, geiſtigen Sinn an, daß wir uns ſchon in §. 404. jener Schulvorſchrift nicht bequemen konnten. Iſt eine Unterſcheidung im Sprachgebrauche wahrzunehmen, ſo ſcheint ſie uns darin zu beſtehen, daß man mit dem Ausdruck Empfinden gewöhnlich den An- eignungs-Act eines Objects bezeichnet, Gefühl aber abſolut von dem ganzen Verhalten der Seele zu gebrauchen vorzieht; man ſagt lieber: dieß im Ge- mälde, Gedicht u. ſ. w. iſt empfunden, als: gefühlt. Da nun die Unter- ſchiede der Phantaſie in §. 404. darauf begründet ſind, daß dieſe ſich mit ihrem ganzen Weſen in den Standpunct des einen oder andern der Acte legt, welche die Momente ihrer Thätigkeit bilden, ſo wurde ſchon dort geſetzt: empfindende Phantaſie, weil dieſe darin beſteht, daß die äſthetiſche Schöpfer- kraft ſich auf jene Seite der Anſchauung, welche im Acte des innigen An- eignens beſteht, und auf jenen Anfang der bildenden Erzeugung wirft, welche den Stoff erſt in das unbeſtimmte Weben begeiſterter Stimmung taucht. — Von blos ſinnlichem Gefühle kann in der Aeſthetik natürlich nicht die Rede ſein. Eigentlich gibt es gar kein ſolches, denn was auf die Sinne ſo oder anders, ihre organiſche Stimmung fördernd oder ſtörend einwirkt, muß erſt von der Seele ergriffen, ihrem Innewerden angeeignet ſein, ehe es ein beſtimmtes Gefühl, Luſt oder Unluſt, bewirkt. Eine Seelenſtimmung nun, die nur auf einem ſo apperzipirten bloßen Sinnen-Eindruck beruht, iſt aller- dings ein blos ſinnliches Gefühl zu nennen in Vergleichung mit andern. Die Kunſt aber hat mit dieſem Gebiete nichts zu ſchaffen. Das ganze Syſtem des Sinnenlebens tritt jedoch in der Einbildungskraft als ein innerlich ge- ſetztes noch einmal auf und ſo gibt es eine Welt von Stimmungen, welche eine verinnerlichte Reminiſcenz der ſinnlichen Gefühle darſtellen. Auf dieſe
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[778/0016]
§. 747.
Das Subject, welches allen Gegenſtand aufgehoben in ſich trägt, kann in
der Kunſt nur das fühlende ſein. Vermöge innerer Nothwendigkeit beſteht
daher im Leben der Phantaſie eine beſondere Form, worin dieſelbe mit ihrem
ganzen Weſen ſich auf den Standpunct des Moments der Empfindung ſtellt und
blos innerhalb derſelben bildet (vergl. §. 404). Die Auffaſſung der empfindenden
Phantaſie iſt ſchlechthin eigenthümlich, durch keine andere zu erſetzen und eben-
dadurch berufen, eine ſelbſtändige Kunſtform zu begründen.
Zuerſt ein Wort zum Schutze des Wechſels zwiſchen den Ausdrücken:
Gefühl und Empfindung. Die pſychologiſche Terminologie iſt gewohnt,
Empfindung vom ſinnlichen, Gefühl vom geiſtigen Innewerden zu gebrauchen.
Allein die Sprache bezeichnet unbeſtritten auch rein ſinnliche Erregungen der
Luſt und Unluſt als Gefühle, und umgekehrt wendet ſie mit ſolcher Beſtimmt-
heit das Wort Empfindung im intenſiven, geiſtigen Sinn an, daß wir uns
ſchon in §. 404. jener Schulvorſchrift nicht bequemen konnten. Iſt eine
Unterſcheidung im Sprachgebrauche wahrzunehmen, ſo ſcheint ſie uns darin
zu beſtehen, daß man mit dem Ausdruck Empfinden gewöhnlich den An-
eignungs-Act eines Objects bezeichnet, Gefühl aber abſolut von dem ganzen
Verhalten der Seele zu gebrauchen vorzieht; man ſagt lieber: dieß im Ge-
mälde, Gedicht u. ſ. w. iſt empfunden, als: gefühlt. Da nun die Unter-
ſchiede der Phantaſie in §. 404. darauf begründet ſind, daß dieſe ſich mit
ihrem ganzen Weſen in den Standpunct des einen oder andern der Acte
legt, welche die Momente ihrer Thätigkeit bilden, ſo wurde ſchon dort geſetzt:
empfindende Phantaſie, weil dieſe darin beſteht, daß die äſthetiſche Schöpfer-
kraft ſich auf jene Seite der Anſchauung, welche im Acte des innigen An-
eignens beſteht, und auf jenen Anfang der bildenden Erzeugung wirft, welche
den Stoff erſt in das unbeſtimmte Weben begeiſterter Stimmung taucht. —
Von blos ſinnlichem Gefühle kann in der Aeſthetik natürlich nicht die Rede
ſein. Eigentlich gibt es gar kein ſolches, denn was auf die Sinne ſo oder
anders, ihre organiſche Stimmung fördernd oder ſtörend einwirkt, muß erſt
von der Seele ergriffen, ihrem Innewerden angeeignet ſein, ehe es ein
beſtimmtes Gefühl, Luſt oder Unluſt, bewirkt. Eine Seelenſtimmung nun,
die nur auf einem ſo apperzipirten bloßen Sinnen-Eindruck beruht, iſt aller-
dings ein blos ſinnliches Gefühl zu nennen in Vergleichung mit andern.
Die Kunſt aber hat mit dieſem Gebiete nichts zu ſchaffen. Das ganze Syſtem
des Sinnenlebens tritt jedoch in der Einbildungskraft als ein innerlich ge-
ſetztes noch einmal auf und ſo gibt es eine Welt von Stimmungen, welche
eine verinnerlichte Reminiſcenz der ſinnlichen Gefühle darſtellen. Auf dieſe
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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