Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
wo der Punct nicht zu bestimmen ist, auf dem die eine Farbe aufhört, §. 672. Ein unendliches Gebiet neuer Uebergänge und Mischungen der Farbe ent- Vischer's Aesthetik. 3. Band. 38
wo der Punct nicht zu beſtimmen iſt, auf dem die eine Farbe aufhört, §. 672. Ein unendliches Gebiet neuer Uebergänge und Miſchungen der Farbe ent- Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 38
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wo der Punct nicht zu beſtimmen iſt, auf dem die eine Farbe aufhört,
die andere beginnt. Hier vorzüglich wohnt das Geheimniß des Concre-
ten, des Individuellen, des Lebens. Die ſchließliche Aufgabe dieſer allge-
meinen abtonenden, dämpfenden Behandlung ſpricht der Schluß des §.
aus. Daß die Farbe ihrem Weſen nach ein Kochungsproduct der inner-
ſten Stimmung des Individuums ſei, leuchtet am klarſten an den organi-
ſchen Körpern ein; bei allen andern Erſcheinungen müſſen wir entſchiede-
ner das Subjective hinzunehmen, die dunkle Farbenſymbolik im menſchli-
chen Gefühle, vermöge welcher ſelbſt einem ſolchen Ganzen, das objectiv
von keiner eigentlichen Stimmung weiß, eine ſolche untergeſchoben wird.
Dieſe ſubjective Leihung aber hinzugenommen werden uns ſelbſt Pflanzen,
Erde, Luft, Waſſer, Licht in ihren Verbindungen als ſo oder ſo geſtimmte
Individuen erſcheinen, auf die wir nun ebenfalls den Satz anzuwenden
haben, daß ihre Farbe als ein reifes, durcharbeitetes Kochungsproduct ih-
rer innern Stimmung erſcheinen ſoll. Nun verſchmelzt freilich die Natur
ſelbſt ihr Farbenreich in unendlich concreter Weiſe, aber dieſe Kochung
ſoll ſo zu ſagen in der Kunſt noch einmal gekocht werden, ſo daß ſich das
Ganze der künſtleriſchen Färbung zur Naturfärbung verhält wie die or-
ganiſch verkochte Farbe der Bedeckungen höherer Thiere und des Men-
ſchenleibs zu dem abſtract einfachen Farbenſchimmer des Papagais oder
Schmetterlings. Und ebendahin führt ja die Aufgabe, das Farbenmate-
rial zu bezwingen, daß es nicht wie bei dem bloßen Illuminiren, als
„eine an der Oberfläche der Erſcheinung ſelbſtändig haftende Materie“
(M. Unger a. a. O. S. 125) ſich geltend mache. — Haben falſche Idea-
liſten gegen unſer erſtes Geſetz (§. 669) durch Abſchwächung aller Farbe
in’s Matte geſündigt, ſo ſpottet umgekehrt nicht nur eine rauhe Härte,
von der wir das ziegelrothe Fleiſch als Beiſpiel angeführt haben, ſondern
auch, freilich in anderer Weiſe, eine, namentlich in der neueren Zeit ver-
breitete, Effectmalerei dieſes zweiten Geſetzes; die letztere, indem ſie durch
eine üppig kitzelnde Pracht der ungetilgten Unmittelbarkeit der Farbe reizt.
Lindert und läutert ächte Kunſt die Natur, ſo verachten dagegen dieſe
Schönfärber ſelbſt die Milde und Beſcheidenheit, welche ſie trotz und neben
dem Grellen wirklich hat, und ſofern auch ſie die Härten im Vorbilde zu
mildern ſich das Anſehen geben, thun ſie es in der Form einer Süßig-
keit, die an buntgefärbte Liqueurs und an die Werke des Zuckerbäckers
erinnert.
§. 672.
Ein unendliches Gebiet neuer Uebergänge und Miſchungen der Farbe ent-
ſteht nun durch ihre Verbindung mit Licht und Dunkel. In eigenthümlichen
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